Bilder der extremen Überschwemmungen in Spanien haben in den vergangenen Wochen schockiert. Erst rund zwei Monate zuvor hatten ähnliche Bilder aus Mittel- und Osteuropa für Entsetzen gesorgt. Ist die globale Erwärmung schuld daran, dass solche Wetterereignisse extremer werden? Ein Forschungsteam gibt die Antwort.
Mitte September wütete Sturm "Boris" in Mittel- und Osteuropa. Vor allem Tschechien, Polen, Rumänien und Österreich waren betroffen von den sintflutartigen Regenfällen und Überschwemmungen. Auch in Deutschland stiegen die Pegel der Flüsse an.
"Boris" hinterliess in Mittel- und Osteuropa nicht nur grosse Verwüstung. Es kamen mindestens 27 Menschen ums Leben, Tausende mussten ihre Häuser verlassen. Danach standen viele vor den Trümmern ihres Zuhauses. Eine Ausnahmesituation.
Doch genau solche Ausnahmesituationen könnten in den kommenden Jahren häufiger auftreten. Meteorologinnen, Meteorologen und Klimaforschende warnen seit Jahren vor mehr extremen Wetterereignissen aufgrund des Klimawandels und der Erderwärmung.
Wäre das Ausmass von "Boris" also weniger extrem gewesen, gäbe es die globale Erwärmung nicht? Eine Analyse des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, die jetzt im Fachmagazin "Nature Communications Earth & Environment" publiziert wurde, gibt Aufschluss darüber.
Ohne Erderwärmung hätte "Boris" neun Prozent weniger Regen gebracht
Mit neuen Simulationen können Forschende am AWI reale Wetterereignisse in verschiedenen Klimaszenarien vergleichen und aufzeigen, welche Rolle die globale Erwärmung bei den Extremereignissen spielt.
Laut einer Analyse hätte Sturm "Boris" in einer Welt ohne die heutige Erderwärmung rund neun Prozent weniger Regen gebracht, heisst es in einer Mitteilung zur Untersuchung. Das zeigte ein Vergleich von Szenarien. "Der anthropogene [menschengemachte; Anm.d.Red.] Klimawandel hat also wesentlich zur Intensivierung dieses extremen Niederschlagsereignisses beigetragen", schreiben die Forschenden in der Publikation.
"Boris" habe sich auf dem Weg nach Mitteleuropa über dem östlichen Mittelmeer und dem Schwarzen Meer deutlich stärker auftanken können, weil dort das Wasser im Vergleich zur vorindustriellen Zeit um zwei Grad Celsius wärmer geworden ist, erklärt das Forschungsteam. Entsprechend sei mehr Wasserdampf in der Luft über der Region vorhanden gewesen.
Forschungsteam arbeitet nach dem Was-wäre-wenn-Prinzip
Die Frage, ob der Klimawandel schuld an der Katastrophe war, könne die Forschung seit einigen Jahren schon recht gut beantworten, sagt Leitautorin und Physikerin Marylou Athanase. "Bereits ein oder zwei Wochen nach dem Ereignis liefern sogenannte Attributionsstudien erste Aussagen dazu, in welchem Masse ein solches Ereignis durch den Klimawandel wahrscheinlicher geworden ist."
Allerdings seien Wahrscheinlichkeiten oft schwer zu greifen, "besonders wenn sie auf konkrete, erlebbare Ereignisse treffen", schreibt das Forschungsteam. Die Schwierigkeit liegt darin, den Einfluss des Klimawandels auf das tatsächliche Wetter vor Ort leicht verständlich zu zeigen.
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Die Forschenden des AWI arbeiteten deshalb nach dem "Storyline"-Ansatz, erzählt Ko-Leitautor der Studie und Physiker Antonio Sánchez-Benítez: "Im Kern arbeiten wir dabei nach dem Was-wäre-wenn-Prinzip. Wie hätte ein konkretes Ereignis in einer Welt ohne Klimawandel ausgesehen? Und wie in einem noch wärmeren Klima? Durch den Vergleich der Was-wäre-wenn-Szenarien mit der Realität können wir dann sehr konkret den Fingerabdruck des Klimawandels bestimmen – nicht nur für Extremereignisse, sondern auch für das alltägliche Wetter."
"Nudging"-Technik macht Einfluss der globalen Erwärmung sichtbar
Mithilfe der sogenannten "Nudging"-Technik (Englisch: Anstupsen) können die Forschenden Klimamodellrechnungen mit konkretem lokalen Wetter verbinden. "Klimamodelle simulieren normalerweise eine ganz eigene, quasi zufällige Abfolge von Wetterzuständen, die konsistent ist mit den physikalischen Gesetzen, auf denen ihre Programmierung beruht", sagt Helge Gössling, Klimaphysiker und Leiter der Storyline-Forschung am AWI.
Um Unterschiede im Klima zu bestimmen, müsse man über einen langen Zeitraum und entsprechend viele Wetterzustände anschauen, ob sich die Mittelwerte und Verteilungen änderten. "Auch bei Wettermodellen hat der simulierte Zustand nach ein paar Wochen ja nicht mehr viel mit der Realität zu tun, das konkrete Wetter ist eben nur begrenzt vorhersagbar."
Beim "Nudging" geben Forschende dem Modell real gemessene Winddaten und "schubsen" es Stunde für Stunde ein Stück weit in Richtung der echten Winde. "So können wir reales Wetter im realen Klima sehr gut simulieren. Dann versetzen wir das Modell in eine Welt ohne Klimawandel, indem wir unter anderem die Treibhausgaskonzentration herunterfahren, und wiederholen das Experiment", erklärt Gössling.
Online-Tool zeigt Zusammenhang von Klimawandel und Wettergeschehen
Mittlerweile laufen auf dem Hochleistungsrechner des Deutschen Klimarechenzentrums (DKRZ) tägliche Analysen zum aktuellen Wettergeschehen, berichtet Athanase. Die Daten würden auf ein frei zugängliches Online-Tool übertragen. Mit drei Tagen Verzug seien die Analysen dort verfügbar.
"So kann sich jede und jeder Interessierte das 'Klimawandel-Signal des Tages‘ für extremes und alltägliches Wetter weltweit und in Nahe-Echtzeit in Form von Karten und Zeitreihen interaktiv anschauen, wobei zunächst Temperatur und Niederschlag für Tage ab dem 1.1.2024 zur Verfügung stehen", erzählt die Physikerin. Ziel des Online-Tools sei es, zu einem besseren Verständnis des Zusammenhangs von Klimawandel und Wettergeschehen beizutragen.
Verwendete Quellen
- Pressemitteilung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung: "Wie viel Klimawandel steckt im Wetter?"
- Nature Communications Earth & Environment: "How climate change intensified storm Boris’ extreme rainfall, revealed by near-real-time storylines"
- Online-Tool AWI Climate Storylines
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