Dieser Tage treffen sie sich wieder, um über unser Schicksal zu beraten: Bei der jährlichen Bilderberg-Konferenz entscheiden die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft angeblich, wie es weiter geht auf der Welt – so jedenfalls sehen das Verschwörungstheoretiker. Was steckt hinter dem Mythos?

Mehr zum Thema Mystery

Ursula von der Leyen kann sich freuen, denn der Verteidigungsministerin steht ein grosses Wochenende bevor: Zwar regiert Angela Merkel noch bis 2017 als Kanzlerin, aber schon in diesen Tagen wird von der Leyen zu Merkels Nachfolgerin ernannt. Und die Wahlen in zwei Jahren, die Abstimmung im Bundestag? Ach, das ist doch bloss eine Show für das dumme Volk, das sowieso nichts bestimmen darf ...

Die Welt kann so schön simpel sein, wenn man sie nur durch die Brille der passenden Verschwörungstheorie betrachtet.

Und die ist in diesen Tagen wieder besonders gefragt. Denn vom 11. bis 14. Juni treffen sich rund 140 Vertreter aus Politik und Wirtschaft zur geheimnisvollen jährlichen Bilderberg-Konferenz – diesmal in Tirol. Die Liste der Teilnehmer liest sich wie ein Who’s Who der Mächtigen: Neben von der Leyen kommen etwa NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Siemens-Chef Joe Kaeser, Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem und noch viele mehr.

Was dabei aus dem abgeschotteten Luxus-Hotel nach draussen dringt? Nichts. Und die Presse? Verboten. Mehr braucht es gar nicht, um die wildesten Mythen rund um das Treffen zu stricken. Ein Streifzug durch die Welt der Verschwörungen.

Politik als Fassade, um Beschlüsse der Bilderberger auszuführen

Wer die Theorien zu Bilderberg nachlesen will, kann das am besten im Internet auf unzähligen Websites und Blogs. Zum Beispiel bei "Macht steuert Wissen". Dort wird schon jetzt erklärt, worum es dieses Jahr bei dem Treffen gehen soll: Um die Abschaffung des Bargelds etwa oder die "Förderung der Flüchtlingsströme nach Europa". Nach der Konferenz müssten die Regierungen nur noch in aller Welt die Beschlüsse umsetzen: "Ihre Erfüllungsgehilfen in der Politik verkaufen den Bürgern dann die Vorgaben der Bilderberger als ihre Ideen."

Das ist der Kern der Bildberg-Verschwörung: Der Vorwurf, eine kleine Gruppe würde dort die Geschicke der ganzen Welt bestimmen. Alle Politik, alle Wahlen seien nur mehr eine Fassade, um die Macht der Bilderberger zu verschleiern. "Bei der Bilderberg-Verschwörung ist der Feind die globale Elite – und es geht gegen die kleinen Leute: Die Elite wird beschuldigt, unter Umgehung der demokratischen Ordnung zu entscheiden", erklärt Thomas Grüter im Gespräch mit unserem Portal. Der Autor hat mehrere Bücher zu Verschwörungstheorien und Mythen vom Untergang der Welt verfasst.

Dabei hat die eigentliche Idee von Bilderberg mit solchen Theorien nichts gemein. 1954 fand die erste Konferenz im niederländischen Hotel de Bilderberg statt, zu der Prinz Bernhard eingeladen hatte. Das Motiv: Ungezwungene Gespräche zwischen Westeuropa und Nordamerika, um aktuelle Probleme zu lösen. Mehr miteinander reden – das sollte Katastrophen wie den zweiten Weltkrieg in Zukunft verhindern. Aber wie konnte es soweit kommen, dass sich heute die wildesten Theorien um die Konferenz ranken?

Angebliche Entscheidungen: Ölkrise, Berliner Mauer, Bundeskanzler

"Vertrauliche Treffen wie die Bilderberg-Konferenz sind immer ein beliebtes Ziel von Verschwörungstheorien", sagt Grüter. "Den Verdacht auf eine Verschwörung haben manche Menschen schon, wenn zwei andere in der Firma vertraulich miteinander reden." Grüter kann weit in der Geschichte zurückgehen. Schon Kaiser Nero suchte die Schuld für den Brand Roms bei einer Verschwörung der Christen. "Ein Muster findet man bis heute: Verschwörungstheorien sehen immer einen äusseren Verschwörer gegen die eigene Gemeinschaft" – bei Bilderberg eben die globale Elite.

Und an deren vermeintlichen Machenschaften arbeiten sich die Theoretiker fleissig ab. Manche Autoren verdienen ihren Lebensunterhalt damit, immer neue Bücher zu all den Verschwörungen dieser Erde auf den Markt zu werfen. Nicht selten erscheinen die Werke im Kopp-Verlag, der auch auf seiner Website fleissig aktuelle Texte publiziert. Der G7-Gipfel der vergangenen Tage wird da gerade als "dreistes Ablenkungsmanöver" für das Bilderberg-Treffen abgestempelt.

Schon einige Jahre alt, aber noch immer beliebt ist "Bilderberger – Das geheime Zentrum der Macht" von Andreas von Rétyi. Auf mehr als 300 Seiten beschreibt er darin, welche wichtigen Entscheidungen auf das Konto der Bilderberger gehen sollen. Da ist etwa die Ölkrise von 1973, die angeblich von den Mächtigen provoziert worden sei, um Währung und Wirtschaft der USA zu schützen. Oder der Fall der Berliner Mauer, der schon Jahre zuvor beschlossen worden sei. Und auch Altkanzler Gerhard Schröder soll von dem Geheim-Treffen seines Amtes enthoben worden sein.

Was nicht ins Weltbild passt, wird passend gemacht

Überhaupt die Kanzler. Ein jeder deutscher Bundeskanzler sei in den Jahren vor seiner Wahl bei einer Konferenz dabei gewesen, sagen die Verschwörungstheoretiker. Genauso sei es nun auch mit der angeblichen Merkel-Nachfolgerin von der Leyen. Aber was ist mit Roland Koch? Was mit Peer Steinbrück? Auch die nahmen teil – schafften es aber nicht ins Kanzleramt. Was ist mit all den anderen, die einst eine Konferenz besucht hatten, aber später nie gross rauskamen?

Mit solch rationalen Argumenten ist den Anhängern der Verschwörung nicht beizukommen. Sie saugen jedes Detail auf, das zu ihrem Weltbild passt und zimmern daraus ihre Theorie. Was sich nicht ins Bild fügt, wird einfach ausgeklammert oder weggeredet. "Wenn das eigene Weltbild stark auf eine Verschwörungstheorie aufgebaut ist, würde ein Ende der Theorie natürlich das gesamte Weltbild zerstören. Deshalb werden oft die kompliziertesten Konstruktionen erfunden, um Gegenargumente zu entkräften", sagt Grüter.

Und was heisst das für Ursula von der Leyen und ihre Chancen als Kanzlerin? Zumindest auf eine Gruppe wird sie von nun an fest zählen können – die Verschwörungstheoretiker.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.