Um sich vor einem Fluch zu retten, baute eine exzentrische Witwe 38 Jahre lang ein Haus immer wieder aus und um. Es entstanden 160 verschachtelte Räume, die Gespenster verwirren sollten.
160 Räume und 2.000 Türen hat das kurioseste Haus der Welt, von denen manche einfach im Nichts enden und andere in Schränken versteckt sind. Eine öffnet sich in mehreren Metern Höhe hinaus in den Garten. Manche Eingänge und Flure sind so schmal oder so niedrig, dass niemand hindurchgehen kann. Nicht jedes der 10.000 Fenster bietet einen Blick nach draussen. 47 Treppen finden sich innerhalb des Hauses, aber manche führen über komplizierte Umwege nur in ein Zimmer nebenan.
Ein Raum hat keinen Fussboden, eine Treppe hört unter einer Decke auf. Eine andere geht erst sieben Stufen hoch und dann elf wieder hinab. Es gibt 40 Schlafzimmer, vier Aufzüge, zwei Keller, 17 Schornsteine, zwei Ballsäle, sechs Küchen, 47 Kamine und 13 Bäder. Nur eines davon war allerdings funktionsfähig, die anderen sollten die Geister verwirren.
Exzentrische Witwe wollte sich von Fluch befreien
Das bizarre "Winchester Mystery Haus" steht im kalifornischen San Jose - mitten im Silicon Valley, wo Tech-Firmen wie Apple und Google ihren Sitz haben. Jahrzehntelang bauten Arbeiter daran, fügten Räume hinzu, nahmen andere weg und errichteten Türme. Ursprünglich war das Gebäude im viktorianischen Stil sieben Stockwerke hoch, jetzt hat es noch vier. 600 Zimmer wurden insgesamt erschaffen, viele aber anschliessend wieder verändert.
Die Erbauerin des Hauses war die exzentrische Millionärin Sarah Winchester, die sich damit von einem Fluch befreien wollte. Es entstand Stück für Stück in 38 Jahren, ohne einen Bauplan und ohne, dass je ein Architekt beteiligt war. Eine Wahrsagerin hatte der Witwe gesagt, sie dürfe niemals aufhören zu bauen, ansonsten würden Geister sie töten. Die Arbeiten endeten erst, als Sarah 1922 im Alter von 85 Jahren starb.
Der Fluch der Winchester-Gewehre
Sarah Winchester wurde 1839 als Sarah Pardee im Osten der USA geboren. Das Mädchen stammte aus gutem Haus und galt als schön: Ihr Spitzname war "Belle of New Haven". 1862 heiratete sie William Wirt Winchester, einen reichen Erben - seine Familie hatte das Winchester-Gewehr erfunden. Doch Sarahs Glück endete, als ihre vierjährige Tochter 1866 an Proteinmangel starb. Die Mutter verliess ihr Haus nicht mehr und litt unter schweren Depressionen. 1881 folgte William seiner Tochter ins Grab, die Tuberkulose hatte ihn dahingerafft. Sarah war verzweifelt und bat eine Wahrsagerin in Boston um Rat.
Die erklärte das schreckliche Unglück mit einem Fluch, der auf den Winchester-Gewehren liege. Die Geister aller Menschen, die durch die Waffe ums Leben kamen, würden nun die Familie verfolgen. Und das waren viele, denn die Gewehre wurden auch "The Gun That Won The West" genannt. Unzählige Indianer wurden damit während der Eroberung des Wilden Westens getötet.
Ein Haus, um die Geister zu besänftigen
Die Wahrsagerin wusste aber eine Lösung: Sarah solle in den Westen ziehen und ein Haus für all die Geister errichten. Solange sie mit dem Bau beschäftigt sei, würde sie vom Fluch nicht getroffen. Andernfalls drohe auch ihr der Tod. Die Witwe nahm sich den Rat zu Herzen. Sie zog nach San Jose und kaufte ein schlichtes Farmhaus mit acht Zimmern.
Die folgenden 38 Jahre lang baute sie das Gebäude immer weiter aus – mit immer seltsameren Konstruktionen. Die vielen verwinkelten Treppen und zahlreichen Zimmer sollten die bösen Geister verwirren. Jeden Tag und rund um die Uhr war nun das Hämmern und Sägen der Zimmerleute und Maurer zu hören, aber gesehen werden sollten sie nicht: Eine riesige Hecke schirmte das Gebäude vor neugierigen Blicken ab.
Auch die Hausherrin wollte nicht gesehen werden: Nicht nur trug sie stets schwarze Kleider, sondern auch einen Schleier. Erhaschte ein Angestellter versehentlich einen Blick auf ihr unverschleiertes Gesicht, wurde er sofort gefeuert. Dafür bekamen die Bediensteten im Spukhaus doppelt so viel Lohn wie zur damaligen Zeit üblich: drei Dollar pro Tag.
Ausgeklügelte Erfindungen und die Zahl 13
Geld genug hatte Sarah: Als Erbin des Winchester-Imperiums standen ihr 1.000 Dollar pro Tag zur freien Verfügung. Die Arbeiten an dem Haus verschlangen insgesamt fünfeinhalb Millionen Dollar. Die Einrichtung war teuer, sie bestand unter anderem aus kostbaren Tapeten, Mahagoni, Teak und Rosenholz sowie wertvollen Tiffany-Gläsern.
Ihr Geld investierte Sarah aber auch in ausgeklügelte technische Erfindungen: Eine Warmwasserdusche und Knöpfe zum Anschalten der Gaslampen waren damals alles andere als alltäglich. Mit der Kutsche und später mit dem Auto konnte man direkt in die Eingangshalle fahren. Es gab eine Waschanlage für den Wagen und ein Bewässerungssystem für die Blumen und Pflanzen.
Die Bauherrin lebte aber auch ihr Faible für okkulte Dinge aus. So tauchen die Zahl 13 und ein merkwürdiges Spinnwebmuster in verschiedenen Formen immer wieder auf, etwa auf den Tapeten. Einige Räume besitzen 13 Fenster, viele davon mit 13 Scheiben, manche mit einem Spinnwebmuster. Ein teurer Leuchter mit ursprünglich zwölf Kerzenhaltern wurde so verändert, dass er 13 aufnehmen konnte. Die Abflusslöcher in den Becken enthalten ebenfalls 13 Löcher.
Im Séance-Raum erhielt Sarah Bauanweisungen
Das Herz des Hauses war der sogenannte Séance-Raum: 13 Kleiderhaken hingen an der Wand, für die 13 Roben, die Sarah angeblich zu ihren nächtlichen spiritistischen Sitzungen trug. Zu erreichen war das Zimmer nur über eine geheime Tür in einem Schrank. Ein Bediensteter musste jede Nacht um Mitternacht und um zwei Uhr eine grosse Glocke auf einem Turm läuten, um die guten Geister zu den Séancen zu rufen. Diese übermittelten Sarah angeblich dabei die Anweisungen für den weiteren Bau.
Das war aber noch nicht bizarr genug: Das Glockenseil führte bis in den Keller. Damit kein Unbefugter daran ziehen konnte, war es in einem komplizierten Labyrinth verborgen. Nur ein einziger Angestellter kannte den Weg. Nach den spiritistischen Sitzungen ging Sarah ins Bett, und zwar jede Nacht in einem anderen der 40 Schlafzimmer, um die bösen Geister zu verwirren.
Nach dem Erdbeben baute Sarah in die Breite
Beim verheerenden Erdbeben in San Francisco 1906 stürzten grosse Teile des damals sechsstöckigen Hauses ein. Die Hausherrin wurde erst Stunden später unter Trümmerteilen entdeckt. Sie interpretierte die Katastrophe als Warnung der Geister: Hatte sie vorher vor allem in die Höhe gebaut, liess sie das Haus nun nach allen Seiten hin wachsen. Die gerade erst fertiggestellten monumentalen Eingangstüren wurden versiegelt und nie wieder benutzt.
Nach Sarahs Tod am 5. September 1922 hörten die Arbeiter sofort mit dem Bau auf – sie liessen sogar halb in die Wand geschlagene Nägel so, wie sie waren. Ihre Nichte erbte das Mobiliar und verkaufte einen Grossteil. Die Menge an Möbeln war so gewaltig, dass angeblich sechs Laster sechs Wochen lang täglich acht Stunden lang fahren mussten, um alles zu transportieren.
Schon zu ihren Lebzeiten rätselten Zeitgenossen und Zeitungen, ob Sarah wirklich an Geister glaubte. Die wildesten Spekulationen kamen auf, aber keiner ihrer Angestellten oder Verwandten hat sich jemals dazu geäussert. Sarah selbst hinterliess kein Tagebuch oder Testament, das Aufschluss über ihre Motive geben könnte. Vielleicht stürzte sie sich auch in die endlosen Bauarbeiten, um sich von ihren Verlusten abzulenken?
Im Haus soll es heute noch spuken: Manche Besucher behaupten, sie hätten Hände gespürt, die sie berührten, obwohl niemand zu sehen war. Auch sollen in manchen Räumen wispernde Geräusche zu hören sein. Schon seit 1923 ist das kuriose Gebäude eine Touristenattraktion, seit 1974 ist es denkmalgeschützt. Bei den Besichtigungstouren werden Besucher bis heute gewarnt, sich nicht von der Gruppe zu entfernen. Zu gross ist die Gefahr, sich dort zu verlaufen.
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