Niemandem gelang je die Flucht von der Gefängnisinsel Alcatraz – ausser drei waghalsigen Männern, die mit Hilfe von Löffeln und Regenmänteln entkommen sind. Doch ob sie den Ausbruch überlebt haben, ist noch heute ein Rätsel.
1.576 Häftlinge sassen in 30 Jahren auf der berüchtigten Gefängnisinsel Alcatraz ein – aber nur drei Männern gelang in dieser Zeit die Flucht. Jedenfalls wahrscheinlich. Denn das Rätsel um den Ausbruch der Brüder John und Clarence Anglin sowie Frank Morris ist bis heute nicht gelöst.
Noch immer ranken sich viele Gerüchte und Legenden um das Geschehen am 11. Juni 1962. Haben die drei überlebt oder sind sie doch ertrunken? Die Geschichte ist sogar zum Plot eines Hollywood-Films geworden: Der Blockbuster "Die Flucht von Alcatraz" von 1979 dreht sich um den Ausbruch der drei Männer.
Alcatraz galt bis dahin als absolut ausbruchsicher. Das Gefängnis lag nicht nur auf einer 8,5 Hektar grossen Insel zwei Kilometer vor San Francisco, es war auch umgeben von eiskaltem Wasser und tückischen Strömungen. Von 1934 bis 1963 wurden dort Schwerverbrecher wie Al Capone oder der deutsche Spion Erich Gimpel gefangen gehalten.
34 Insassen versuchten im Lauf der Zeit zu fliehen, aber fast alle wurden entweder gefasst oder tot aufgefunden. Fünf Häftlinge galten als verschollen. Aber vielleicht haben doch zwei oder drei von ihnen überlebt: Die Anglin-Brüder und Frank Morris.
Mit Stahllöffeln gegraben
Die drei Bankräuber waren seit 1960 und 1961 in Alcatraz gefangen. Die 31-, 32- und 35-jährigen Männer bereiteten ihre Flucht wochenlang lang vor. Das FBI rekonstruierte später, wie sie vorgegangen sind. Den Plan ausgedacht hat sich der Älteste und offenbar intelligenteste der drei, Morris. Mit Hilfe von Stahllöffeln kratzten sie drei Monate lang den Zement an den Belüftungsgittern weg, so dass Öffnungen entstanden.
Ihr Glück: Der Mörtel war sowieso vom Meersalz angegriffen und deshalb brüchig. Das Besteck hatten die drei in ihre Zellen geschmuggelt. Anschliessend krabbelten sie in den Lüftungsschacht, gelangten so auf das Dach und von dort aus ins Gefängnisgebäude. Eigentlich waren die Ausbrecher zu viert. Doch Allen West schaffte es nicht, das Gitter des Lüftungsschachts zu entfernen, er blieb zurück.
Ein Schlauchboot aus Regenmänteln
Nun waren die drei Verbrecher zwar aus ihren Zellen entkommen, aber immer noch auf der Insel. Was sie dann taten, klingt unglaublich, ist aber wahr: Sie bastelten sich auf kreative Art ein Schlauchboot, indem sie 50 gestohlene Regenmäntel zusammennähten. Ausserdem bauten sie sich Holzpaddel und stahlen einem Mitgefangenen eine Ziehharmonika. Beinah ebenso unfassbar: Die Näharbeiten erledigten die Anglins und Morris in einer kleinen, geheimen Werkstatt, die sie im Gefängnis-Hauptgebäude einrichteten.
Damit sie während ihrer Abwesenheit nicht entdeckt wurden, bastelten sie aus Klopapier Pappmaschee-Köpfe und legten sie in ihre Betten. Am 11. Juni 1962 war das Werk vollendet. Die Ausbrecher kletterten aufs Dach und von da in den Hof. Mit Hilfe der Luft aus der Ziehharmonika bliesen sie das 1,80 mal 4,20 Meter grosse improvisierte Schlauchboot auf – und verschwanden übers Wasser. Der Pappmaschee-Trick sorgte dafür, dass die Flucht erst neun Stunden später entdeckt wurde.
Das FBI entdeckte 17 Jahre lang keine heisse Spur
Fischer entdeckten später Teile des Schlauchbootes, ausserdem wurde eine Tasche mit persönlichen Gegenständen an Land gespült. Die Männer aber blieben verschwunden. Das FBI ermittelte 17 Jahre lang. Es gab unzählige Hinweise und Spuren.
Der vierte Verschwörer, Allen West, verriet den Beamten den angeblichen Fluchtplan: Sie wollten Kleider und ein Auto stehlen, sobald sie Angel Island, eine Insel vor San Francisco, erreicht hatten. Aber in der Gegend wurde kein Diebstahl gemeldet.
Für Spekulationen sorgten nicht identifizierbare Knochen, die nach der Flucht an der Küste vor Alcatraz angespült wurden. Ein weiterer Anglin-Bruder war bei einem Ausbruchsversuch aus einem anderen Gefängnis gestorben. Die Behörden verglichen seine DNA mit den Erbinformationen aus den Knochen. Es gab keine Gemeinsamkeiten. Ein Beweis dafür, dass die Anglins überlebt hatten? Die Knochen könnten dann von Morris stammen. Beweise dafür gibt es nicht.
1979 erklärte das FBI schliesslich, die Ausbrecher seien mit grosser Wahrscheinlichkeit ertrunken. Die starke Strömung hätte die Leichen dann in Richtung Pazifik getrieben. Tatsächlich stehen die Männer angeblich bis heute auf geheimen Fahndungslisten der Behörden. Ein Indiz, dass das FBI selbst nicht daran glaubt, dass sie tot sind?
Lebten die Anglins später in Brasilien?
Das Schicksal von Morris ist ungeklärt. Doch die Anglins könnten die waghalsige Flucht überlebt haben. Jahre später meldeten sich zwei ihrer Neffen und behaupteten, ihre Onkel hätten ein neues Leben in Südamerika begonnen. Ihre Mutter habe in den Jahren nach dem Ausbruch Weihnachtskarten der Brüder erhalten. Tatsächlich stimmten die Handschriften mit denen der Brüder überein. Doch die Karten hatten weder ein Datum, noch waren sie frankiert.
Als weiteren Beweis legte die Familie ein Foto vor, das die Brüder 1975 in Brasilien zeigen soll. Dort sollen sie angeblich eine Farm besessen haben. Die Männer darauf sehen den Anglins durchaus ähnlich. Ein Freund will das Bild in einer Bar aufgenommen haben. Er sass allerdings selbst jahrelang im Gefängnis und zeigte den Angehörigen das Foto deshalb erst 1992.
An dem Foto scheiden sich die Geister: Einige Experten halten die Porträtierten mit grosser Wahrscheinlichkeit für die Anglins. Andere sagen, man könne das wegen der schlechten Qualität des Bildes nicht feststellen, zudem tragen die Männer darauf Sonnenbrillen. Die Anglins hatten noch mehr Brüder. Einer von ihnen soll auf dem Sterbebett gestanden haben, dass er zwischen 1963 und 1987 engen Kontakt zu den Ausbrechern hatte.
Angebliche Cousins und weitere Fluchtpläne
Aber es gab noch andere Hinweise. 1993 erklärte ein ehemaliger Alcatraz-Häftling in einem Interview, dass Clarence Anglins Freundin die Männer aufgesammelt und nach Mexiko gefahren habe. Anderen Hinweisen zufolge soll in der Nacht der Flucht tatsächlich ein Auto gestohlen worden sein, obwohl der FBI-Bericht das Gegenteil behauptet. 2011 behauptete ein Cousin von Frank Morris, er habe die Wärter bestochen, um den Ausbruch zu ermöglichen, und seine Verwandten kurze Zeit später in einem Park in San Diego getroffen.
Die Ermittler hielten all diese Hinweise für nicht glaubwürdig. Mehrere Fernsehsender versuchten, das Vorgehen der cleveren Verbrecher nachzustellen – und benutzten dafür die gleichen Materialien. Ihr Urteil: Die Flucht hätte gelingen können. Forscher an einer Universität analysierten mit Hilfe eines Computermodells die Strömungen in der Nacht des Ausbruchs. Sie kamen zu dem Schluss, dass die drei überlebt haben können, wenn sie um Mitternacht mit dem Schlauchboot in See gestochen waren. In den Stunden davor oder danach wäre die Strömung zu stark gewesen, so dass sie wahrscheinlich ertrunken sind.
Oder hat sich alles doch ganz anders zugetragen? Ein Fernsehsender stellte eine Theorie auf, wie die Flucht ebenfalls abgelaufen sein könnte. Diese klingt allerdings noch skurriler als die Version, die das FBI rekonstruiert hat. Demnach könnten die drei Ausbrecher zusätzlich ein Stromkabel gestohlen haben. Das befestigten sie an einer Passagierfähre – und liessen sich von ihr in die Freiheit ziehen.
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