Die grösste Mumiensammlung Europas befindet sich in der Unterwelt von Palermo, in der Kapuzinergruft. Ein besonders gruseliger Anblick, denn die toten Körper in unterschiedlichen Verwesungsgraden tragen nicht nur Kleider und hängen an der Wand - sie posieren auch noch.
Hunderte tote Körper hängen in Nischen an den Wänden, manche gehalten von einem Draht. Manche haben den Mund geöffnet, bei anderen ist das Kinn auf die Brust gesackt. Was sie noch gruseliger macht: Fast alle haben etwas an, zum Beispiel Rüschenkleider, Spitzenhauben, Anzüge oder Uniformen, von Motten zerfressen und voller Löcher. 1.100 Mumien sind in den weitverzweigten "Catacombe dei Cappuccini" der Kapuzinermönche in Palermo erhalten geblieben. Dazu kommen noch einmal geschätzte 900 in Särgen und unter Grabplatten. 200 Jahre lang wurden in den Katakomben Menschen beerdigt. Heute wirkt das wie eine morbide Ahnengalerie.
Die Leichen befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Verwesung. Manche Gesichter sehen aus, als würden sie für immer lachen. Manche Köpfe sind von einer ledrigen Haut überzogen, von anderen ist nur der Schädel übrig geblieben, verziert mit einem Hut und ein paar Haaren. Viele Körper wurden wohl von Insekten angenagt, bevor sie mumifizierten. Andere sind halb verfault und trockneten dann aus, sie haben dann Gesichter, die wie zerlaufen aussehen. Auch die Kleider sind manchmal noch einigermassen gut erhalten, mitunter hängen aber auch sie in Fetzen herunter. Die Mumien befinden sich in verschiedenen Kammern, sortiert nach Männern, Frauen, Jungfrauen und Priestern. In einem Raum sind nur mumifizierte Babys, Kinder bis etwa vier Jahre und Totgeburten zu sehen. Ein Korridor war den Kapuzinern vorbehalten, ein anderer Ärzten, Anwälten, Lehrern, Politikern sowie Offizieren.
Statussymbol: Mumienbeerdigung in der Gruft
Die Gruft war einst ein Friedhof für die Kapuziner, die ihr Kloster 1534 errichteten. Nur durch Zufall hatten die Geistlichen entdeckt, dass die Umgebung in der Grotte die Toten so gut konservierte. Der damalige Abt kam auf die Idee, die toten Brüder aufrecht hinzustellen. Sie sollten die Lebenden ermahnen, sich auf den Tod vorzubereiten. 1599 fand die erste Bestattung statt, bis etwa 1670 fanden nur Mönche hier ihre letzte Ruhe.
Doch dann meldeten die Adeligen und Reichen der Stadt ihre Ansprüche an: Sie forderten, dass sie nach ihrem Tod ebenso wie die Mönche hier ihre letzte Ruhestätte finden sollten. Aber nicht nur das: Sie wollten ausgestellt werden, mit ihren Kleidern und noch dazu nicht liegend, sondern aufrecht. Wer hier beerdigt wurde, musste viel Geld zahlen, und es galt als Statussymbol für die Hinterbliebenen, wenn ein Verwandter in der Gruft verblieb. Einmal pro Jahr stiegen sie hinab, um den Toten neue Kleider anzulegen. Neben Mönchen und Priestern sind deshalb die Reichen und angesehenen Bürger dort zu finden - und viele herausgeputzte Kinderleichen.
Unter den besonderen Bedingungen der Katakomben vertrockneten die Toten eher, als dass sie verfaulten. Das liegt vor allem am Tuffstein, der Feuchtigkeit absorbiert. Die Mönche entnahmen den Toten die Eingeweide und liessen sie in einer Trockenkammer bis zu zehn Monate hängen. Danach wurden die Leichen mit Essig gewaschen, teilweise mit Stroh ausgefüllt und angezogen. Erst dann bekamen sie einen festen Standplatz in einer der Nischen. Im 19. Jahrhundert wurden die Körper manchmal auch einbalsamiert sowie geschminkt und manchmal mit falschen Augen ausstaffiert.
Das Rätsel der schönsten Mumie der Welt
Der älteste noch erhaltene Leichnam ist der des Bruders Silvestro da Gubbio, gestorben 1599. Im Korridor der Frauen liegt die berühmteste Mumie der Gruft: Die zweijährige Rosalia Lombardo, die eine rosa Schleife im Haar trägt und in einem Glassarg liegt. Verblüffend: Sie sieht mit ihren fast geschlossenen Lidern aus wie ein schlafendes Mädchen, das jeden Moment erwachen könnte. Dabei ist sie schon seit fast 100 Jahren tot. Sie ist die besterhaltene Mumie in Palermo - und wird auch die schönste Mumie der Welt genannt.
Sie starb 1920 an der spanischen Grippe. Ihr Vater liess sie vom besten Einbalsamierer der Stadt für die Nachwelt konservieren und sorgte mit viel Geld dafür, dass sie in die Gruft kam. Eigentlich verboten die Behörden diese Art der Bestattung im Jahr 1837. Bis 1881 wurden zwar immer noch Menschen in der Gruft beerdigt, aber nur in Särgen. Erst 2009 wurde das Geheimnis gelüftet, wieso Rosalia so gut erhalten ist: Der Präparator Alfredo Salafia ersetzte ihr Blut durch eine Mischung aus Glyzerin, Formalin und Zinksulfat - das war damals revolutionär.
Ebenfalls berühmt ist Antonio Prestigiacomo, ein Frauenheld, der 1844 bei einem Duell ums Leben kam. Erschossen hat ihn angeblich der Ehemann einer seiner Geliebten. Der Mann war für die damalige Zeit ungewöhnliche 1,90 Meter gross. Er hatte selbst gewollt, dass sein Körper der Nachwelt erhalten bleiben sollte. Unter den Toten waren einige damals berühmte Menschen, etwa der Schriftsteller Alessio Narbone, der Bildhauer Filippo Pennino sowie Ayala, der Sohn eines tunesischen Königs.
Rund um die Mumien gibt es auch viele Verschwörungstheorien und Gerüchte. Wahr ist, dass einige Teile der Kapuzinergruft 1943 bei einem Luftangriff zerstört wurden. Angeblich sollen die US-Soldaten damals aber mehrere Mumien gestohlen und als Souvenir mitgenommen haben - bewiesen ist das nicht. Noch gruseliger ist ein Phänomen, das die kleine Rosalia betrifft: Im Internet hält sich das Gerücht, dass sie mehrmals täglich die Augen öffnet und schliesst und den Besucher mit intakten blauen Augen anblinzelt. Der Kurator der Gruft erklärte das allerdings mit einer optischen Täuschung, die durch das einfallende Licht eines Seitenfensters entsteht.
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