Blutschwüre, verbrannte Marienbilder, bedeutungsschwangere Gelöbnisse, Küsse, die mal ein Schweigegebot und mal den Tod bedeuten: Die Mafia pflegt viele bizarre Rituale.
Wer sich der Mafia anschliessen will, muss sich zu ewiger Treue verpflichten. Einmal Mafioso, immer Mafioso – bis zum Tod. Ein Anwärter muss das schon bei der Aufnahme in die Gruppe symbolisch beweisen, mit bizarren Ritualen, die mit katholischen Anspielungen vermischt sind.
Die italienische Mafia ist kein homogenes Verbrecher-Syndikat, sondern besteht aus verschiedenen Organisationen und Gruppen, die in verschiedenen Regionen mächtige Imperien aufgebaut haben.
Die Mutter aller Mafia-Gruppierungen entstand in Sizilien im 19. Jahrhundert, sie wird auch Cosa Nostra genannt. Daneben gibt es noch die Camorra in Neapel oder die 'Ndrangheta in Kalabrien. Letztere gilt als gewalttätigste und stärkste Vereinigung der Mafia.
Allen gemeinsam ist nicht nur eine strenge Hierarchie. Ein wichtiges Element aller Mafia-Gruppen sind streng geheime und archaische Bräuche. Sie kommen zum Beispiel dann zum Einsatz, wenn neue Mitglieder rekrutiert und aufgenommen werden. Von den kultischen Vorgängen dringt aber meist nur zufällig etwas ans Licht der Öffentlichkeit.
Mafia-Ritual: Die Taufe mit Blutzoll
Zum Beispiel nach einer Verhaftung. Bei der Verhaftung von 31 'Ndrangheta-Mitgliedern fanden die Ermittler auch ein Notizbuch, das Initiationsriten in einem abgelegenen Bergdorf beschreibt. Der Text war zwar verschlüsselt, aber die Polizei konnte den Code knacken.
Unter dem Namen "Kodex von San Luca" ist genau aufgeführt, wie ein neues Mitglied in die Organisation aufgenommen wird. Das ist die sogenannte Taufe, übrigens nicht die einzige Anspielung auf den Katholizismus.
Der Ort, an dem sie stattfindet, wird als gesegnet bezeichnet. Wer immer diese Heiligkeit verletzt oder verrät, wird mit drei bis fünf Dolchstössen in den Rücken bestraft, heisst es im Buch. Es müssen immer genau fünf Menschen anwesend sein. Der Anwärter leistet einen Blutzoll: Er schneidet sich mit einem Messer in den Finger, bis Blut fliesst.
Anschliessend wiederholt er dreimal den bedeutungsschwangeren Schwur: "Ich schwöre bis in die siebte Generation hinein der kriminellen Gesellschaft, die mich als ihr Mitglied anerkennt, treu zu bleiben, um die Ehre meiner weisen Brüder zu bewahren."
Verbrannte Heiligenbilder
Vor ihm liegen ein Revolver und ein Heiligenbild, das die Jungfrau Maria oder den heiligen Georg zeigt. Dieses Bild wird nun verbrannt – eine Handlung mit hoher Symbolkraft: So wenig man die Ikone wieder herstellen kann, nachdem sie zu Asche verfallen ist, so wenig kann der Mafiosi jemals wieder zu einem normalen Bürger werden.
Dieses Ritual muss nicht bei jedem Mafia-Klan gleich sein. Die Polizei beobachtete bei einer Gruppe im amerikanischen Boston eine Aufnahmezeremonie mit ähnlichen Elementen, aber leichter Abwandlung.
Dort musste das neue Mitglied sein Blut auf das Heiligenbild tropfen lassen. Dann folgte der Schwur: "So wie dieses Heiligtum verbrennt, verbrennt meine Seele. Ich komme lebend in diese Organisation und verlasse sie tot."
Schwüre auf die Unabhängigkeitskämpfer
Auch die Schwüre unterscheiden sich von Klan zu Klan. Ein heimlich gefilmtes Video zeigt ein Aufnahmeritual in einem Bauernhaus in Süditalien: "An diesem heiligen Abend, in der Stille der Nacht, unter dem Licht der Sterne und dem Glanz des Mondes, forme ich diese heilige Kette", sagt einer der Mafiosi.
Das neue Mitglied gelobt ewige Treue und nennt dabei die Namen italienischer Unabhängigkeitskämpfer wie den von Guiseppe Garibaldi. Er gehört nun einer "heiligen Gesellschaft" an und schwört, bis "zur siebten Generation" jegliches Wissen über die Mafia zu verleugnen.
Wer das nicht tut und zum Verräter wird, dem droht der Tod, heisst es in dem Video. Er wird dann gezwungen, eine Zyanid-Kapsel zu schlucken oder sich zu erschiessen.
In manchen Clans muss ein Mafia-Anwärter sogar jemanden ermorden, um überhaupt aufgenommen zu werden. Das verriet ein ehemaliger Camorra-Boss in einem Interview. Die Opfer können etwa in Ungnade gefallene Mitglieder oder Drogendealer sein. Will jemand den Clan wechseln, muss er ein hartes Opfer bringen: Ein Mitglied seiner eigenen Familie muss sterben.
Fromme Katholiken und gleichzeitig brutale Mafiosi
Zwischen der Verwendung von Heiligenbildern und der Mitgliedschaft in einer Verbrecherorganisation besteht für die Mafia kein Widerspruch. Traditionellerweise sehen sich die meisten Mitglieder als fromme katholische Christen. Deswegen bitten sie angeblich auch oft Gott um Vergebung, bevor sie jemanden töten.
Bei vielen geschnappten Mafiabossen entdeckte die Polizei Kreuze, unzählige Heiligenbilder und Altäre. Manche hatten einen Priester zu Besuch, der gerade die Messe las, als die Beamten zur Verhaftung auftauchten.
Die zehn Gebote der Mafia
Einige Mafia-Organisationen schreiben sogar "zehn Gebote" vor. Ein solcher Verhaltenskodex wurde bei einem verhafteten Cosa-Nostra-Anführer gefunden, neben einem Heiligenbild und einem blutigen Schwur: "Ich schwöre, der Cosa Nostra treu zu sein. Wenn ich untreu werden sollte, soll mein Fleisch verbrennen, so wie dieses Bild verbrennt."
Die Liste mit Regeln war mit der Schreibmaschine in Grossbuchstaben getippt. Teilweise erinnern die Vorschriften tatsächlich an biblische Gebote: Mafiosi sollen demnach nie die Frauen von Freunden begehren. Auch die eigenen Frauen sollen sie übrigens mit Respekt behandeln.
Allerdings geht der Clan immer vor: Die Mitglieder haben immer bereit für die Cosa Nostra zu sein, selbst wenn die Frau gerade kurz vor der Entbindung steht.
Die Mafiosi müssen laut dem Kodex eine einwandfreie Sexualmoral besitzen, sollen nicht in Bars und Kneipen gehen, nie mit der Polizei kooperieren und Verabredungen mit anderen Clan-Angehörigen immer einhalten.
Strenge Hierarchien und zweifelhafte Küsse
Die Mafia steht also immer im Zentrum. Die einzelnen Clans sind zudem streng hierarchisch und sehr komplex organisiert. An der Spitze steht immer ein einzelner Anführer, auch Pate genannt. Er hat einen Sprecher, der seine Befehle weitergibt.
In der zweiten Hierarchieebene zum Beispiel bei der 'Ndrangheta gibt es einen Meister, einen Anführer der Gesellschaft und einen Buchhalter. An der Basis stehen die einzelnen Clans, zu denen jeweils die Mitglieder von Familien gehören.
Jede ist für ein bestimmtes Gebiet verantwortlich. Auch hier gibt es wieder einen Anführer, der etwa Konflikte löst oder Geld eintreibt, aber in der Gesamthierarchie weit unter dem Paten steht.
Wer ins Visier der Mafia gerät, hat schlechte Karten. Die Racheakte, beispielsweise gegenüber Abtrünnigen, gelten als besonders blutig. Ihnen werden mitunter ein Ohr, ein Finger oder die Nase abgeschnitten. Es kann auch passieren, dass ein abgeschnittener Finger als Warnung und zur Abschreckung im Bett von jemandem deponiert wird.
Drastisch ist auch eine Drohung, die durch den Blockbuster "Der Pate" Kultstatus erlangte: Dem Opfer wird kein Finger, sondern ein abgeschnittener Pferdekopf unter die Bettdecke gelegt – oder an einem anderen Ort deponiert. Ein sizilianischer Arbeiter entdeckte in den 1990er-Jahren einen Pferdekopf in seinem Auto.
Clanmitglieder sollen treu bis in den Tod sein – und die Geheimnisse der Mafia niemals verraten. Das besiegeln die Mitglieder mit einem bizarren Ritual, das in Neapel bei einer Razzia beobachtet wurde: Kurz bevor sie verhaftet wurden, küssten sich die Männer einige Sekunden lang auf den Mund.
Das ist ein Schweigepakt: Du sagst der Polizei nichts, wir kümmern uns dafür um deine Familie. Jeder Clan pflegt allerdings eigene Riten: Was bei der Camorra ein wichtiges Symbol der Verbundenheit ist, bedeutet bei der Cosa Nostra in Sizilien etwas ganz anderes. Küsst ein Mitglied jemanden auf den Mund, ist das eine Todesdrohung.
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