Mitten in Moskau soll es ein riesiges geheimes U-Bahn-Netz geben: die Metro Zwei. Angeblich hat Stalin den Bau angeordnet, aber fertiggestellt wurde sie erst in den 1980er-Jahren. Tatsächlich gibt es im Moskauer Untergrund seltsame Schächte und grosse Gitter mit versperrten Wegen dahinter. Wohin sie wirklich führen, bleibt rätselhaft.
Bewachte Schächte, mit Gittern versperrte Gänge und Treppen, abzweigende Gleise mit unbekanntem Ziel: Wer sich im Moskauer Untergrund umsieht, entdeckt einige Merkwürdigkeiten. Offiziell verbinden zwölf Metro-Linien verschiedene Stationen in der russischen Hauptstadt. Doch angeblich existieren vier weitere Strecken, die allerdings nicht öffentlich zugänglich sind. Sie sollen Teil der sagenumwobenen Metro 2 sein – einem streng geheimen Netz von U-Bahn-Verbindungen.
Obwohl es keinerlei Beweise gibt, keine Baupläne, keine offiziellen Beschlüsse und keine Fotos, existieren viele Spekulationen über die vier Linien. Während der erste Zug der offiziellen U-Bahn 1935 unter der Moskauer Erdoberfläche unterwegs war, rollten den Gerüchten zufolge 1967 die ersten der geheimen Züge. Die letzten Stationen entstanden allerdings erst Ende der 1980er-Jahre, heisst es.
Die geheimen und die offiziellen Strecken kreuzen sich
Ein eingleisiges System soll die wichtigsten Machtzentren der Stadt verbinden: Dazu gehören unter anderem der Kreml, der Regierungsflughafen Moskau-Wnukowo und die unterirdischen Kommandostellen der Luftabwehr sowie des Generalstabs ausserhalb des Zentrums. Die Eingänge liegen angeblich in den Gebäuden, zum Teil auch versteckt in den normalen U-Bahnhöfen. An manchen Stellen sollen sich die geheimen und die normalen Strecken kreuzen, dann sieht man Gleise, die scheinbar ins Nichts führen.
Josef Stalin höchstpersönlich soll den Bau angeordnet haben. Schon die Errichtung der offiziellen U-Bahn galt als Lieblingsprojekt des Sowjetführers. Eine wichtige Rolle spielte sie während des Zweiten Weltkrieges: Die Schächte und Stationen dienten als grösster Luftschutzbunker Russlands. 500.000 Einwohner fanden dort Schutz vor Bomben. Aber nicht nur sie: Die russischen Befehlshaber bezogen Quartier in zwei U-Bahn-Stationen, die zur neuen Kommandozentrale umfunktioniert wurden.
Ein 150 Kilometer langes geheimes Schienennetz
Zahlreiche unterirdische Schutzräume entstanden, das ist eine Tatsache. Aber womöglich wurde im Lauf der nächsten Jahrzehnte zusätzlich ein 150 Kilometer langes geheimes Schienennetz gebaut – jedenfalls, wenn man den Spekulationen glaubt. Zum Vergleich: Das reguläre Metro-System kommt auf eine Strecke von 333,5 Kilometern.
Über die Metro 2 könnten hohe Regierungsbeamte jederzeit schnellstmöglich und heimlich aus der Metropole evakuiert werden, glauben Verschwörungstheoretiker. Aber die geheime U-Bahn ist nicht dauerhaft in Betrieb: Sie wurde nur für Notfälle, Krisen und Kriege gebaut.
Tatsächlich gibt es ein paar Indizien, die auf das versteckte Verkehrsnetz hinweisen. In Regierungsbeschlüssen ist von einem "speziellen Transportsystem" die Rede, das nicht näher erklärt wird. Die vage Bezeichnung dient den Verschwörungstheoretikern schon fast als Beweis, dass es die Metro 2 tatsächlich gibt.
Merkwürdige Gitter, andere Züge
Angeheizt werden die Spekulationen auch durch merkwürdige, grosse Gitter in der offiziellen Moskauer Metro. Wohin die Wege, Treppen und Gleise hinter ihnen führen, ist unklar. Es soll mindestens eine scheinbar sinnlose Sackgasse in einer Station geben. Womöglich ist der Weg dort aber gar nicht zu Ende. Und im Moskauer Metro-Depot haben Beamte offenbar Züge inspiziert, die anders aussehen als die im regulären Betrieb.
Aber das ist noch nicht alles: So sind an einigen Orten Moskaus verwaiste Eingänge in Stollen und Schächte zu finden. Zum Beispiel an Plätzen, unter denen offiziell keine Metro verläuft. Deren Funktion liegt für Verschwörungstheoretiker auf der Hand: Das müssen Zugangsschächte zur Metro 2 sein. Augenzeugen wollen beobachtet haben, dass die Stollen von Soldaten bewacht werden. Andere sagen, sie hätten dort sogar das Klackern von Militärstiefeln gehört.
Der russische Geheimdienst und mutierte Riesenratten
Aber müsste es nicht zahlreiche Menschen geben, die entweder am Bau beteiligt oder mit den Zügen unterwegs waren? Ein paar meldeten sich zu Wort, allerdings ebenfalls ohne Beweise. Der Ex-Vizepremier Michail Poltoranin behauptete, dass er schon oft im geheimen Tunnelsystem unterwegs gewesen sei. Eine ehemalige Putzfrau des KGB wollte regelmässig mit den Metro-2-Linien gefahren sein, wie sie in den 1990er-Jahren erklärte.
Eine offizielle Bestätigung zum versteckten U-Bahn-System gibt es bis heute nicht. Aber gerade die Geheimniskrämerei beflügelt die Fantasie – und bietet Stoff für Romane: Mehrere Werke drehen sich darum. Der Autor Vladimir Ganik taufte es in den 1990er-Jahren in einem Buch "Metro Zwei". Darin beschrieb er die unterirdische Schienenwelt Moskaus so detailliert, dass er laut eigener Aussage Ärger bekam: Der russische Geheimdienst verhörte ihn demnach.
Die Parallel-U-Bahn war nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ausserdem ein Lieblingsthema der russischen Boulevard-Presse. Die Zeitungen berichteten über wildeste Spekulationen: So hausten in den versteckten Tunneln angeblich sogar mutierte Riesenratten. Die sind heute zwar kein Thema mehr. Aber die Gerüchte, dass es eine versteckte Moskauer Metro geben könnte, halten sich im Internet hartnäckig.
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