Seit über 100 Jahren gibt es in Frankreich No-go-Areas, die roten Zonen. Millionen Granaten und Munitionsreste aus dem Ersten Weltkrieg stecken dort noch immer in der Erde, viele Gebiete sind chemisch verseucht. Betreten kann tödlich sein.

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Giftgasgranaten, Knochen, Munition, Minen: All das steckt in einem 10.000 Hektar grossen Gebiet im Nordosten Frankreichs bis heute in der Erde. Das ist die sogenannte rote Zone, seit über 100 Jahren eine "No-go-Area". Es dürfen dort keine Menschen wohnen, Landwirtschaft ist verboten.

Es ist zu gefährlich – Millionen von Granaten wurden dort verschossen. Ein Fünftel von ihnen, rund 20 Millionen, explodierte nicht, die Reste befinden sich immer noch zum Teil tief in der Erde.

Das Gebiet war eine der Hauptkampfzonen des Ersten Weltkriegs. Aber die unentdeckten Bomben, Waffen und Munitionsreste sind nicht das einzige Problem: Unzählige Granaten enthielten gefährliches Giftgas. Die chemischen Stoffe sickerten in den Boden. Kupfer, Eisen, Blei, Quecksilber, Zink, Arsen und andere Chemikalien und Schwermetalle verseuchen die Natur bis heute.

Und immer wieder werden Überreste von Soldaten gefunden, Knochen oder Helme und Uniformteile. 2013 wurden durch heftige Regenfälle die Gebeine von 26 französischen Soldaten freigelegt.

Die verbotene Zone war sogar schon mal grösser. Direkt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs umfasste sie 179.000 Hektar, war also fast 18-mal so gross wie heute. Nach und nach wurde immer mehr Land wieder freigegeben, 1927 war die rote Zone noch 49.000 Hektar gross.

Schlacht von Verdun dauerte 300 Tage

In der roten Zone lag die Westfront, hier fanden einige der blutigsten Schlachten der Weltgeschichte statt. Die wohl grausamste war jene bei Verdun. In einem gnadenlos brutalen Stellungskrieg standen sich zwischen dem 21. Februar und dem 19. Dezember 1916 französische und deutsche Truppen gegenüber.

Das Deutsche Reich wollte Frankreich erobern, der Angriff stockte aber vor Paris. Beide Seiten setzten damals neue Waffentechnologien ein - so auch Giftgas.

Allein in Verdun sollen 60 Millionen Granaten verschossen worden sein. Umgerechnet sind das 150 auf jeden Quadratmeter des Schlachtfeldes. Die Heftigkeit des Artilleriefeuers stellte alles bisher Bekannte in den Schatten.

Hügel, Häuser und Bäume wurden flächendeckend zerstört. Die Gegend wurde durchzogen von unterirdischen Gängen, denn deutsche Truppen bauten kilometerlange Stollen als Schutz vor dem Trommelfeuer. In den Gängen legten sie Abertausende Minen aus.

Der zermürbende monatelange Krieg machte Dörfer und Städte dem Erdboden gleich. Aber auch die Landschaft wurde zerstört, Bäume entwurzelt, die Erde für die Schützengräben und Stellungen umgepflügt, Strassen und Eisenbahnstrecken zerstört.

In den 300 Tagen der Schlacht starben 300.000 Soldaten, von denen 80.000 nicht identifiziert werden konnten. Weitere 400.000 wurden verletzt. Letztlich verschob sich die Front aber immer nur um wenige Kilometer - mal vor, mal zurück.

Menschliches Leben unmöglich

Nach dem Krieg wurden die Kriegsorte im Nordosten des Landes in drei Zonen aufgeteilt: eine rote "verbotene Zone" sowie eine gelbe und eine blaue mit schweren, aber nicht ganz so katastrophalen Zerstörungen. Die rote Zone galt unter Experten als "komplett verwüstet" und "unmöglich zu säubern". Die bittere Folge: Menschliches Leben wurde dort als "unmöglich" bezeichnet.

Der französische Staat kaufte einen Grossteil der stark betroffenen Gebiete und pflanzte Wälder, ohne sich um die chemische Verseuchung und die Folgen für die Umwelt zu kümmern. So entstand etwa der Foret de Guerre bei Champagne. Die Wälder überliess man vielfach einfach sich selbst.

Dörfer wie beispielsweise Fleury-devant-Douaumont wurden nicht wieder aufgebaut, heute existieren nur noch ein paar Steinhaufen – und eine Postleitzahl, in Erinnerung an das Grauen.

"Gas-Platz" erst seit 2012 verbotene Zone

Es gibt Orte, die besonders viel abbekommen haben, die aber längst wieder freigegeben worden waren – ein Fehler, der erst Jahrzehnte später korrigiert wurde. Hunderttausende Blindgänger wurden zum Beispiel nach Kriegsende von den Schlachtfeldern gesammelt und auf eine Lichtung bei Verdun gebracht.

Allein 200.000 dieser nicht explodierten Granaten enthielten chemische Kampfstoffe. Doch bei der Entsorgung nahm man es nicht immer so genau. 2004 untersuchten Wissenschaftler den Boden der Lichtung, den die Bevölkerung "Gas-Platz" nennt.

Sie stellten extrem hohe Konzentrationen von Schwermetallen, Quecksilber, Blei, Zink, Arsen und Ammoniumperchlorat fest.

Die beiden letztgenannten Chemikalien steckten in den Zündern der Granaten. Die Arsen-Konzentration in der Gegend ist bis zu 2000-fach höher als normal, das Grundwasser ist ebenfalls kontaminiert. Die Böden stecken voller Blei aus den Schrapnellgeschossen.

Betroffen ist auch die Tierwelt: In den Lebern von Wildschweinen stellten Wissenschaftler viel zu hohe Bleiwerte fest. Nur zwei Pflanzenarten wachsen dort: Flechten und Moose. Bis 2005 wurde in der Gegend noch gejagt, Jäger und Förster waren dort unterwegs. Das Betreten des "Gas-Platzes" und seiner Umgebung ist erst seit 2012 verboten.

Bis in die 1970er-Jahre wurden Tausende von Giftgasgranaten auch an anderen Orten einfach zur Explosion gebracht, in einem See versenkt oder in Höhlen vergraben – ohne Rücksicht darauf, dass sich die chemischen Stoffe in der Erde und im Wasser absetzen. Es kann zehntausend Jahre dauern, bis sich die Chemikalien neutralisiert haben.

Die Menschen in den Gebieten müssen mit den Vermächtnissen des Krieges leben: In 500 Gemeinden wurde 2012 der Verzehr des Trinkwassers verboten, weil die Ammoniumperchlorat-Werte viel zu hoch waren.

Aufräumarbeiten dauern vielleicht 900 Jahre

Die Behörden versuchen seit vielen Jahren, die Gegend von Granaten, Munition und Minen zu säubern. Aber die Aufräumarbeiten gehen wegen der unvorstellbaren Menge an gefährlichem Kriegsmaterial nur sehr langsam voran.

Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte, würden diese Arbeiten andauern, heisst es von Experten. Manche gehen sogar von 900 Jahren aus.

Die Arbeit der Minenräumer ist extrem gefährlich: 620 starben im Lauf der Jahre bei der Arbeit. Auch heute noch werden bei Bauarbeiten oder der Feldarbeit Minen und Granaten gefunden – morbider Alltag für die Menschen in einer von mörderischen Kämpfen verwundeten Landschaft.

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