Ein riesiges Netzwerk aus kerzengeraden Linien bildet das grösste Kunstwerk der Welt: die Sajama-Linien. Die rätselhaften Zeichnungen in den Anden von Bolivien haben vor 3.000 Jahren Menschen in die Erde gekratzt. Sie sind so riesig, dass man sie erst aus der Luft erkennt.

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Schnurgerade ziehen sich die Linien über das unwirtliche Land am höchsten Berg Boliviens. Sie bilden keine Figuren, sondern verlaufen teilweise kilometerlang einfach nur geradeaus.

Wer auch immer sie geschaffen hat, arbeitete extrem präzise. Und das war gar nicht so einfach in dieser hügeligen Umgebung mit Bäumen und Sträuchern. Die Sajama-Linien in Bolivien bilden das grösste Kunstwerk der Welt – und das mysteriöseste.

Denn wie konnten die Menschen vor Tausenden von Jahren so gerade Striche in den Boden ritzen? Wer waren die Baumeister, und welchen Zweck hatte ihr Gemälde? Diese Fragen beschäftigen Wissenschaftler bis heute.

Das Wunder am Vulkan

Das westliche Hochland Boliviens ist das Zuhause von gleich zwei spektakulären Sehenswürdigkeiten. Die eine ist nicht zu übersehen, die andere ein fast unsichtbares Wunder.

Aber die beiden Attraktionen gehören zusammen. Über alles erhaben ragt der mit 6.542 Metern höchste Berg des Landes empor: der Sajama. Er ist einer der höchsten Vulkane weltweit, zuletzt aktiv war er aber vor 25.000 Jahren.

In seinem Schatten liegen die seltsamen Sajama-Linien. Wer zu Fuss unterwegs ist, kann sie leicht übersehen. Steht man oben auf dem Berg, entdeckt man mit etwas Glück Teile davon.

Viel besser sieht ein Betrachter das Wunder aus einem Flugzeug oder auf Satellitenaufnahmen: Nur aus der Luft erkennt man das unfassbare Ausmass der Sajama-Linien.

Gigantisches Netzwerk

Auf einer Fläche von fast 23.000 Quadratkilometern erstreckt sich ein gigantisches Netzwerk aus Linien. Es besteht aus tausenden kerzengeraden Strichen.

Sie wirken wie riesige Radierungen in der Erdoberfläche, sind aber in den Boden geritzt. Zwischen einem und drei Metern breit sind die Linien, die längsten von ihnen sind 20 Kilometer lang.

Zusammen messen sie knapp 16.000 Kilometer. Zum Vergleich: So viele Kilometer würde man nicht einmal zurücklegen, wenn man die USA von Osten nach Westen durchquert, wieder zurückfährt und noch einmal zur gegenüberliegenden Küste reist.

Wegweiser auf Pilgerreisen

Wer auch immer diese Linien erschaffen hat, musste einen Grund gehabt haben. Die exakten Striche sind kein Zufall, dazu war es zu aufwendig, sie zu ziehen.

Denn die Gegend ist schroff, und es gibt viele Hindernisse in Form von Büschen, Bäumen und Steinen. Die Baumeister haben gleichmässig die obere, dunkle Erdschicht abgetragen, bis eine hellere Schicht sichtbar wurde. Diese bildet die Linien.

Hunderte Menschen mussten in mehreren Generationen mit viel Kraft und Geschick an den Linien gearbeitet haben. Aber wie?

Beinah das Einzige, was Forscher über die exakten Striche wissen, ist das ungefähre Alter: Seit mindestens 3.000 Jahren existieren die Zeichnungen.

Aber zu dieser Zeit gab es keine Werkzeuge, mit denen genaue Messungen und Ritztechniken möglich gewesen wären.

Was haben die Linien mit Peru zu tun?

Ebenso merkwürdig ist, dass die Linien an ein weitaus bekannteres Kunstwerk im Nachbarland Peru erinnern. Gibt es zwischen den beiden womöglich einen Zusammenhang?

Die peruanischen Nasca-Linien bestehen allerdings nicht nur aus Strichen, sondern auch aus geometrischen Figuren. Sie sind weltberühmt und weitaus besser erforscht.

Und das, obwohl die Sajama-Linien eine beeindruckendere Grösse aufweisen – und sich über ein 15-mal grössere Fläche erstrecken.

Immerhin gibt es Indizien, die etwas über den Zweck der seltsamen Linien verraten: An ihren Knotenpunkten sind die Reste von Schreinen und Grabtürmchen gefunden worden, ebenso wie die Überreste eines kleinen Dorfes.

Das könnte darauf hinweisen, dass die Ureinwohner Boliviens die Sajama-Striche als Navigationshilfe oder Fusswege auf ihren Pilgerreisen genutzt haben. Rund 450 Pfade wurden bisher entdeckt.

Die Striche werden immer noch vermessen

Es gibt aber keinerlei schriftliche Überlieferungen zu den rätselhaften Zeichnungen, auch nicht aus späterer Zeit. Es tauchten keine sonstigen archäologischen Funde auf, die etwas über die Erschaffer verraten könnten.

Ausländische Besucher erwähnten die Linien erstmals 1932 schriftlich. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Gegend unwirtlich ist, dort leben nicht viele Menschen.

Die Linien sind so rätselhaft, dass sich nicht einmal viele Legenden und Sagen um sie drehen. Einige UFO-Gläubige sind sicher, dass die Zeichnungen Wegweiser für Ausserirdische gewesen sein müssen.

Andere glauben, dass sie Sternbilder zeigen sollen. Aber die meisten, die über die Striche berichten, sind selbst ratlos. Beweise für diese Hypothesen gibt es ohnehin nicht.

Die genaue wissenschaftliche Erforschung der Linien begann erst 2003 mit dem "Tierra Sajama Projekt". Mit Hilfe moderner Werkzeuge analysieren, beschreiben und vermessen Forscher die Striche – bis heute.

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