Wer dem Wasser einer geheimnisvollen Quelle zu nahe kommt, wird wahlweise in Stein verwandelt oder von all seinen Krankheiten geheilt. Ist sie verflucht? Oder hat das Mysterium eine ganz natürliche Ursache? Der Petrifying Well im nordenglischen Knaresborough ist eine besondere Quelle mit einzigartigem Wasser, das man besser nicht trinken sollte.
Was haben eine Handtasche von Agatha Christie, ein Hut von
Bizarre Versteinerungen
Aus der Ferne erkennt man zunächst nur einen merkwürdig aussehenden Felsen. Für manche Beobachter ist er mehr als ein grosser Stein: Er erinnert sie an den Schädel eines Riesen. Die obere Hälfte ist braun und beige gestreift, die Oberfläche glatt. An ihr fliessen täglich 3.200 Liter Wasser herunter. Dort, wo die obere Gesteinsfläche endet und das Wasser in die Tiefe tropft, hängt eine lange Schnur. Es ist ein bizarrer Anblick – denn an ihr baumeln zahlreiche merkwürdige Gegenstände.
Je näher man dem Felsen kommt, desto besser kann man einzelne Objekte identifizieren: Teddybären, Tennisschläger, Teekessel, Hüte, Masken, ein Blumentopf und viele mehr. Sie alle werden vom geheimnisvollen Quellwasser bespritzt. Und nach nur drei bis fünf Monaten sind sie versteinert – jedenfalls von aussen.
Die verfluchte Quelle
Seit dem 16. Jahrhundert ist die Quelle in England berühmt – damals hiess sie noch "Dropping Well". Abergläubische Menschen warnten davor, dem magischen Wasser zu nahe zu kommen. Der Teufel habe den Ort verflucht. Eine Berührung mit dem Wasser genüge, dann würde man sich in Stein verwandeln. Die Menschen hatten Angst. Schliesslich sahen sie mit eigenen Augen versteinerte Äste, Blätter und Vögel im Wasser liegen.
Noch dazu sollte in einer Höhle ganz in der Nähe die bekannte Seherin Mother Shipton geboren worden sein, die immer noch in der Gegend hauste. Für viele galt sie als hässliche, gruselige Hexe. Womöglich gab es einen Zusammenhang zwischen ihren Fähigkeiten und dem merkwürdigen Wasser? Die Frau hatte als ausgestossene Einzelgängerin ihr Leben dem Wald, Pflanzen und Kräutern gewidmet. Sie braute Heilmittel und Arzneitränke. Das sprach sich herum, und so erfuhren auch immer mehr Menschen von der geheimnisvollen Petrifying Well.
Wasser mit übernatürlichen Kräften
Nicht alle Menschen waren abergläubisch und fürchteten sich vor der Quelle. Manche waren neugierig. Einige stellten Alltagsgegenstände ins Wasser. Sie waren beruhigt, als sie bemerkten, dass sich diese nicht sekundenschnell in Stein verwandelten. Erst ein paar Wochen später war eine Veränderung sichtbar.
Die Furchtlosen waren sicher: Die Quelle hatte besondere Heilkräfte. Sie duschten unter dem herabfallenden Wasser und tranken auch davon. Alles in der Hoffnung, von jeglichen gesundheitlichen Problemen befreit zu werden. Auch Ärzte dieser Zeit bescheinigten dem Wasser übernatürliche Kräfte. Das Gegenteil dürfte der Fall gewesen sein. Denn heute wird vom Trinken des Wassers abgeraten. Aber das stellten Wissenschaftler erst mehrere hundert Jahre später fest.
Riesiges Mineraldepot
Im 20. Jahrhundert untersuchten Wissenschaftler die Quelle gründlich. 1,6 Kilometer unter der Erdoberfläche befindet sich ein riesiger See. Auf dem Weg nach oben reichert sich das Wasser an der Gesteinsoberfläche mit Mineralien an. Besonders Calciumkarbonat - also Kalk - und Natriumsulfat sind in extrem hohen Konzentrationen enthalten. Mit 30 Metern Durchmessern sowie 30 Metern Tiefe ist die Petrifying Well ein riesiges Mineraldepot.
Was auch immer mit dem Wasser in Berührung kommt, verwandelt sich nicht in echten Stein. Aber das Wasser, das über Felsen Gegenstände fliesst, lagert die Mineralien zum Teil wieder ab. Dadurch entsteht eine Art fester Mantel, bestehend aus diesen Mineralien. Das Prinzip ist aus Tropfsteinhöhlen bekannt. So sind die obere Felsform und die scheinbar versteinerten Gegenstände zu erklären. Ungewöhnlich ist allerdings der relativ kurze Zeitraum, den die Objekte brauchen, um sich zu verwandeln.
Älteste Touristenattraktion Grossbritanniens
Die Petrifying Well ist die Quelle mit der höchsten Konzentration an Mineralien in Europa – und die grösste. Ausserdem war sie die erste bekannte Touristenattraktion in Grossbritannien. Bereits 1630 begann ein cleverer Geschäftsmann, dort bezahlte Führungen anzubieten. 1923 besuchte sogar Queen Mary den mythischen Ort und liess einen Schuh als Andenken im Wasser. Ob auch Agatha Christies Handtasche und John Waynes Hut echt sind, bleibt offen. Wer ein Andenken mitnehmen und nicht wochenlang auf die Transformation warten will, der wird im Museumsshop fündig: Für 40 Euro gibt’s dort Teddys zu kaufen, frisch versteinert.
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