• Seit Jahrtausenden leben Drachen in der Vorstellung der Menschen. Sie zieren die Wappen zahlreicher Orte, in Wales und Bhutan schafften sie es sogar auf die Nationalflaggen.
  • Durch Romane, Filme oder Videospiele haben sie sich auch einen festen Platz in der Popkultur gesichert: aktuell im "Game of Thrones"-Ableger "House of the Dragon".
  • Drachenforscher, sogenannte Dracologen, versuchen schon länger hinter das Geheimnis ihres Ursprungs zu kommen. Inzwischen gibt es neue Erklärungsansätze.

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Hört man das Wort "Drache", hat man sogleich ein deutliches Bild vor Augen: Eine gewaltige Echse mit langem Hals, Schuppenpanzer, stacheligem Schwanz und Flügeln, die in Höhlen haust, Schätze hortet und Feuer speit. Was ein Drache jedoch genau ist, lässt sich hingegen schwer in Worte fassen. Im Detail können Drachen nämlich sehr verschieden aussehen: Mal haben sie vier, mal nur zwei Beine, manchmal gleichen sie einem Dinosaurier, manchmal eher einer Schlange, manche Drachen gehen aufrecht, andere hingegen kriechen. Auch die Grösse muss nicht immer gigantisch sein, so gibt es auch Drachen, die einem Menschen nur bis zur Brust reichen.

Wolfgang Schwerdt, der sich seit längerer Zeit mit dem Thema befasst, liefert im Gespräch mit unserer Redaktion folgende eigene Definition für den Drachen: "Ein natürliches Wesen, das ursprünglich die Natur beziehungsweise Naturgewalten, später auch gesellschaftliche Mächte verkörpert." In einem 2010 von ihm veröffentlichten Buch stellt er den Zusammenhang zwischen Drache und Kultur heraus: "Der Drache repräsentiert das ganze Universum der komplexen menschlichen Kultur", heisst es dort. "Gerade deshalb war und ist unsere Vorstellung von der Erscheinungsform des Drachen immer konkret, sein Wesen jedoch kaum zu fassen."

Gute Drachen, böse Drachen?

Eine weitverbreitete Ansicht ist, dass Drachen in Europa und dem Nahen Osten als böse gelten, während sie in Ostasien als gut angesehen werden. Richtiger ist es jedoch, dass der Drache als Naturgewalt Dinge bewirkt, die für den Menschen positiv oder negativ sein können. Durch den Einfluss des Christentums, in dem streng in Gut und Böse aufgeteilt wird, wurde er dann letzterem zugerechnet und wurde schliesslich zum Sinnbild des Bösen. In Ostasien, wo die einheimischen Naturreligionen fortbestanden, hielt sich hingegen das ursprüngliche Drachenbild.

Dass gerade in der frühchristlichen Kunst noch keine deutliche Abgrenzung des Drachen von Schlangen vorliegt, erklärt Schwerdt damit, dass Drachen im Christentum als von Gott besiegt betrachtet werden und damit auf die Schlange als wesentliches Merkmal reduziert werden. "Das wird auch in der Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies deutlich, in der Gott den Drachen seiner Beine und Flügel beraubt und ihn zur Strafe für die Verführung Evas dazu verdammt, fortan 'im Staube zu kriechen'." Der schlangenähnliche Drache ist somit der gefallene Drache. Im Mittelalter bildet sich in der europäischen Kunst schliesslich der Drache als eigener Bildtypus heraus. Nun wird er meist mit Flügeln, einem geschuppten Körper sowie dem Kopf und den Füssen eines Raubtiers dargestellt.

Inspirierten grosse Echsen die Menschen zum Drachenbild?

Auch wenn sich die Entwicklung des Drachenbilds gut nachverfolgen lässt, ist eine Frage nach wie vor ungeklärt: Woher stammt die Vorstellung des Menschen von Drachen? Hierbei ist zu beachten, dass der Drache über Jahrhunderte als tatsächlich lebendes Wesen betrachtet und ausführlich in Naturkunden beschrieben wurde. Die Tatsache, dass Drachen in der Bibel vorkommen als auch von römischen Autoren beschrieben werden, liess ihre Existenz lange als gesichert gelten. Dies zog sich noch weit bis in die Neuzeit hinein. Erst mit der zunehmenden Entdeckung der Erde, die um etwa 1850 herum weitgehend erforscht war, wurde der Drache ins Reich der Fantasie verortet.

Ein Bezug zu Dinosauriern, denen Drachen oft ähneln, muss aufgrund der grossen Zeitspanne zwischen deren Aussterben und dem Auftreten der ersten Menschen ausgeschlossen werden. Knochenfunde könnten zwar eine Inspiration gewesen sein, jedoch sind vollständige Skelettfunde sehr selten, einzelne Knochen lassen auch nicht auf die Gestalt eines Tieres schliessen.

Krokodile und Riesenschlangen kämen als Vorlage infrage, jedoch lässt sich nur schwer erklären, weshalb die Menschen diesen sehr bekannten, mitunter auch gefährlichen Tieren Hörner, Füsse oder gar Flügel andichten sollten. Besondere Aufmerksamkeit haben in letzter Zeit die Warane erfahren: Diese in Afrika, dem Nahen Osten, Südostasien und Australien vorkommenden Echsen ähneln äusserlich stark heutigen Drachenbildern. Ihr grösster Vertreter, der 1912 in Indonesien entdeckte Komodowaran, kann bis zu drei Meter lang werden. So wäre es möglich, dass grössere Echsen früher noch wesentlich weiter verbreitet waren. In der Antike wären sie dann bereits ausgestorben gewesen und hätten nur noch in der Erinnerung fortgelebt – wo sie im Laufe der Zeit zum Drachen geworden wären. Entsprechende Knochenfunde, um diese Annahme zu untermauern, gab es bislang jedoch nicht.

Hat der Drache seinen Ursprung im Totemismus?

Schwerdt bezweifelt allerdings grundsätzlich einen solchen Zusammenhang. "Warane sind in Indonesien ja zwar eindrucksvolle, aber sehr 'alltägliche' Echsen, ihr Aussehen ähnelt zudem weder der asiatischen noch der historischen europäischen Drachenvorstellung." Ironisch fügt er hinzu: "Und Warane tun sich mit dem Fliegen bekanntlich ausserordentlich schwer."

Er vermutet daher einen ganz anderen Ursprung. "Gerade die Tatsache, dass der Drache als bildliche Darstellung immer ein aus biologischen Wesen zusammengesetztes Mischwesen ist, schliesst die Annahme, ein spezielles Tier könne für die bildliche Vorstellung massgeblich gewesen sein, meines Erachtens aus." So lassen sich etwa beim chinesischen Drachen verschiedene Elemente bekannter Tiere wie etwa Hirsch, Adler, Schlange oder Karpfen ausmachen. Der Drache könnte daher seinen Ursprung in Totemtieren – das sind Schutzgeister oder -gottheiten in Tiergestalt – besitzen. Aus den einzelnen Tieren, die als Zeichen einer bestimmten Gemeinschaft dienten, wäre dann, wohl im Zuge von Stammeszusammenschlüssen, ein einziges Tier, der Drache, geworden.

Dass eine ähnliche Entwicklung auch in Vorderasien stattgefunden haben könnte, hält Schwerdt für möglich. Er verweist auf die bekannte Drachenabbildung am Ishtartor in Babylon, wo sich bei genauerem Hinsehen am Drachenkörper ebenfalls vertraute Elemente erkennen lassen: Der Kopf ähnelt dem eines Krokodils, die Vorderfüsse erinnern an Löwentatzen, die Hinterbeine an Adlerfänge, der Schwanz wirkt wie der Stachel eines Skorpions.

Warum aber hält sich der Drache bis heute in den Köpfen der Menschen?

"Ich denke, die anhaltende Faszination liegt in der Wandel- und Anpassungsfähigkeit des Drachen", versucht Schwerdt dies zu erklären. "Meine persönliche Faszination bezieht sich auf die Tatsache, dass er bei genauer Betrachtung die einzige archaische Gottheit ist, die aus den Kämpfen mit den vermeintlich allmächtigen Göttern der monotheistischen Religionen zwar 'körperlich' besiegt wurde, aber ihre kulturelle Existenz, wenn auch immer wieder verändert, beibehalten hat."

Über den Experten: Wolfgang Schwerdt studierte technische Chemie und Betriebswirtschaft und arbeitete danach als Journalist in den Bereichen Archäologie und Kulturgeschichte. Zu seinen Forschungsfeldern gehört die Kulturgeschichte des Drachen, er gab zu diesem Thema auch eine Zeitschrift mit dem Titel "Dracon" heraus. Seit 2010 ist er als freier Buchautor tätig.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Wolfgang Schwerdt
  • Josef Engemann, Günther Bindig, Christian Hünemörder, Alexander Sand, Rudolf Simek, Wolfgang Brückner, Klaus Wessel und Konrad Onasch: s.v. Drache, in: Lexikon des Mittelalters (Bd. 3), Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 1999.
  • Wolfgang Schwerdt: Andre Zeiten, andre Drachen. Eine Kulturgeschichte der Drachen, Vergangenheitsverlag, Berlin 2010
  • Karl Shuker: Drachen. Mythologie – Symbolik – Geschichte, Evergreen, Köln 2006
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