In Zeiten von Corona treibt es viele Menschen in die scheinbar unberührte Natur auf der Alm. Diese ist aber alles andere als unberührt. Was dahinter steckt - und warum ohne menschliches Zutun das ökologische Gleichgewicht rasch kippen würde.

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Anfang Mai geht es los. Zu Beginn der warmen Jahreszeit kontrolliert und repariert Wolfgang Feistritzer die Zäune auf der 330 Hektar grossen Kärntner "Plischalm", die er zusammen mit einem guten Dutzend anderer Bauern betreibt.

Dann folgt die lästigste Arbeit: Beim "Schwenden" werden Latschenkiefern und andere niedrige Bergsträucher per Hand ausgeschnitten. "Das dauert einige Tage", erzählt Feistritzer. Erst dann können seine 75 Rinder auf die Alm getrieben werde, wo sie bis Ende September die besonders nahrhaften Almgräser und Kräuter fressen können.

"Es ist schon eine sehr anstrengende Arbeit", sagt der Landwirt und Kabarettist, der sich unter dem Pseudonym "Hans Petutschnig" auf YouTube in breitem Dialekt und mit beachtlichem Furor über grossstädtische Arroganz gegenüber seiner Zunft empört.

Unterschätzte Arbeit der Almbewirtschafter

So zum Beispiel neulich, als der Tierschützer Martin Balluch in einem Blogbeitrag konstatierte, dass Almen "Lebensräume zerschneiden" und das "Klima schädigen". Die Kuhfladen seien eine Verschandelung der Natur und eine Gefahrenquelle für Wanderer, die darauf ausrutschen und sich verletzen könnten.

Feistritzers Kunstfigur Petutschnig zürnte auf YouTube: "Man muss sich von Leuten, die absolut keinen Tau haben, als Tierquäler und Umweltverschmutzer beschimpfen lassen. Das ist nur noch Hetze."

Die Almbewirtschafter würden für schmales Geld einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts im Alpenraum und zur Schaffung von Erholungsräumen leisten. Dieser wichtige Beitrag für Umwelt und Gesellschaft werde viel zu wenig gewürdigt. Wer weiss schon, was die Bewirtschaftung einer Alm bedeutet?

Es sind beachtliche Fläche, die in Österreich, der Schweiz und Süddeutschland als Bergweiden genutzt werden. In der Schweiz und Österreich machen Bergweiden mit 500.000 beziehungsweise einer Million Hektar je rund ein Achtel der gesamten Landesfläche aus. In Bayern sind es laut Bayerischem Staatsministerium immerhin rund 40.000 Hektar, die als Almfläche bewirtschaftet werden.

Meist werden in den Sommermonaten Rinder auf den Berg getrieben, seltener Pferde, Schafe und Ziegen. Die Tiere ernähren sich von Gräsern und Kräutern, trinken Wasser aus Bächen oder aus Quellwasser gespeisten Trögen.

Vor allem in diesem Sommer, wo die Mobilität für Urlauber aufgrund der Corona-Pandemie eingeschränkt ist, teilt sich das Vieh die Almen mit Wanderern, die es in die scheinbar unberührte Natur in luftiger Höhe zieht.

Almen als Kulturlandschaften

Scheinbar, weil von unberührter Natur keine Rede sein kann, sagt der studierte Landschaftspfleger Wolfgang Ressi. "Almen sind Kulturlandschaften, die durch den Menschen entstanden sind." Ohne diese Eingriffe würde es auf vielen Bergen viel monotoner aussehen: Statt saftiger Wiesen gebe es Wälder bis weit nach oben, mit wenigen Freiflächen.

Aus Sicht der Artenvielfalt sei die Bewirtschaftung positiv zu bewerten, meint Ressi. "Erst die Gestaltung der Lebensräume hat Nischen für unterschiedliche Pflanzen und Tiere geschaffen, die es vorher nicht gab. Almen sind ein Mosaik aus unterschiedlichen Lebensräumen."

Mit anderen Worten: Durch die traditionelle Bewirtschaftung der Berge entsteht neues Leben. "Das menschliche Handeln ist in diesem Fall der ausschlaggebende Faktor für die hohe Diversität." Ohne die durch Menschen ermöglichte Beweidung würde sich das ökologische Gleichgewicht massiv verändern und zahlreiche Lebewesen würden ihr Habitat verlieren. "Die Vegetation würde sich innerhalb weniger Jahre verändern, der Wald sich den Raum zurückerobern, womit vielen anderen Pflanzen der Lebensraum fehlen würde. Und an einer Pflanze hängen im Schnitt zehn Tiere, die sie als Futter brauchen oder um ihre Eier abzulegen."

Zunehmendes Sterben von Kleinbauern

Aber besteht denn die Gefahr, dass die Bewirtschaftung der Almen abnimmt? Davor warnt der Landwirt und Lehrer Josef Obweger. Er ist Vorstand der "Almwirtschaft Kärnten" und sagt: "Durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft geht die Zahl der aufgetriebenen Tiere zurück."

Wie Feistritzer treibt auch er jeden Juni sein Vieh auf die Bergweide. Die Situation der Almbauern beobachtet er genau. In den letzten Jahren habe in Österreich die Zahl der Rinder, Pferde, Schafe und Ziegen, die allsommerlich auf die Almen getrieben werden, um rund acht Prozent abgenommen. Ähnliche Tendenzen gebe es auch in der Schweiz und in Bayern.

Es sind vor allem kleinere Bauern in Talregionen, die ihr Vieh im Sommer auf die Alm bringen. Doch davon gibt es in allen drei Ländern immer weniger.

Alleine in Österreich hat sich in den vergangenen 50 Jahren die Zahl der Landwirtschaften laut der "Austria Presse Agentur" (APA) halbiert. Zwischen 2012 und 2019 warfen fast 20.000 Bauern das Handtuch. In Bayern gaben im selben Zeitraum rund 14.000 Bauern auf.

In der Schweiz schien das Bauernsterben zuletzt zwar etwas gebremst zu werden. Möglich wurde das aber nur durch Zusammenlegung von grossen Flächen. Die Zahl der Kleinbauern, die ihren Hof oft im Nebenerwerb bewirtschaften, sinkt in ganz Mitteleuropa.

Konflikte mit Kühen durch Tourismus

Was aber passiert, wenn Almen nicht mehr bewirtschaftet werden? "In steileren Bereichen droht Lawinengefahr, wenn das hohe Gras vor dem Winter nicht geweidet wird", sagt Obweger. "Das ist eine ideale Rutschbahn für den Schnee."

Dazu kämen die Auswirkungen auf den Tourismus: "Die Menschen schätzen an der Alm die Aussicht und die offene Landschaft. Das würde sich ändern, wenn alles zugewachsen ist."

Und der Bedarf nach dem Naherholungsgebiet Alm ist vorhanden. "Heuer zieht es coronabedingt besonders viele Leute auf die Alm", sagt Obweger. Das führe immer wieder zu Problemen, weil manch Wanderer, manch Wanderin den Freiraum der weidenden Kühe zu wenig respektiert. Viele von ihnen haben Kälber, die sie durch Mountainbiker oder auch Hunde bedroht fühlen. Entsprechend gereizt reagieren sie bisweilen.

So wurde im Juni eine 37 Jahre alte deutsche Urlauberin im Tiroler Tannheim von einer Mutterkuh frontal attackiert. Bald darauf gingen vier Kälber auf ein vierjähriges Kind los. Das Kleinkind kam mit einigen Prellungen davon, die Frau musste mit dem Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen werden.

Die Tiere hätten die Urlaubermassen nicht vertragen, sagte der zuständige Almmeister Ludwig Lochbihler in einem Interview mit dem ORF. "Die Gäste sind durch die Viehherde gelaufen, ohne Rücksicht auf Verluste. Wir haben das nicht verhindern können." Er überlegt nun, die Weide aufzugeben, um solche Zwischenfälle in Zukunft zu verhindern.

Klimawandel als Bedrohung der Almbewirtschaftung

Doch gelegentliche Konflikte zwischen Besuchern und Kühen sind nicht die einzigen Probleme der Almbauern. Seit einigen Jahren macht sich auch der Klimawandel bemerkbar.

Durch die Erwärmung verändere sich die Vegetation, sagt Experte Ressi. "Die Baumgrenze wandert nach oben, der Almauftrieb findet bereits früher statt."

Was zunächst wie eine gute Nachricht für Bauern klingt, macht die Almbewirtschaftung nicht einfacher. Früher wurde das Vieh immer zum selben Datum im Juni nach oben getrieben und stets am selben Tag im September nach unten. Die Wetterkapriolen machen eine Planung fast unmöglich. Wenn aber das Gras länger wächst, als es von den Kühen und Schafen gefressen werden kann, kommt das ökologische Gleichgewicht ins Kippen.

Am Ende ist der menschengemachte Klimawandel auch eine Bedrohung für die von Menschenhand geschaffenen Kulturlandschaften in den Bergen.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Wolfgang Feistritzer
  • Gespräch mit Landschaftspfleger Wolfgang Ressi
  • Gespräch mit Josef Obweger
  • Broschüre: "Almwirtschaftliches Basiswissen"
  • Broschüre: Alm- und Alpwirtschaft in Bayern

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