Immer wieder hört man von einer gigantischen Plastik-Müll-Insel, die im Pazifik umher schwimmt. Mal heisst es, sie sei so gross wie Mitteleuropa, mal so gross wie ein ganzer Kontinent, ein anderes Mal dreimal so gross wie die USA. Was ist dran an der Geschichte?
Fakt ist: Immer mehr Müll, vor allem Plastik, sammelt sich in den Weltmeeren an. Tiere fressen ihn und sterben elendiglich daran, Meeresschildkröten zum Beispiel. Auf diesen Missstand hat das Sea Life Timmendorfer Strand heute mit einem Weltrekordversuch aufmerksam gemacht - dort wurde die längste Plastiktütenkette der Welt geknüpft.
Bei dieser Aktion geht es nicht nur um Schildkröten. Auch andere Meerstiere und Vögel verschlingen Müll und verhungern nach einiger Zeit elend. Zudem sind wir Menschen betroffen, denn Plastikpartikel gelangen über Fischkonsum ebenso in unsere Körper.
Unsichtbare Gefahr im Meer
Das perfide ist jedoch: Die Gefahr, die von Müll in den Ozeanen ausgeht, ist grösstenteils für uns unsichtbar.
Es gibt keine durchgängige Megainsel aus zusammengebackenen Abfallresten. Genauso ist die Vorstellung eines riesigen zusammenhängenden Teppichs, der auf dem Wasser schwebt, schlicht und ergreifend falsch. Natürlich schwimmen auch grössere Müllstücke umher, zum Beispiel Plastiktüten oder -Flaschen. Sie können sich auch ineinander verheddern. Der Grossteil der Plastikreste ist jedoch in kleinere Stücke zermahlen. Der Löwenanteil des Kunststoffabfalls auf hoher See ist mikroskopisch klein, kleiner als Sandkörner, und deshalb mit dem blossen Auge nicht sichtbar, klärt NOAA, die Wetter- und Ozeanografiebehörde der USA auf.
Der Müll und die Plastikschnipsel schwimmen nicht nur an der Meeresoberfläche. Sie setzen sich auch auf dem Meeresgrund ab oder werden an die Strände geschwemmt. Dazu kommt, dass sich die Meeresströmungen ständig verändern und aus diesem Grund auch die Lage und Grösse der Müllstrudel unentwegt variieren. Es gibt also keine Satellitenbilder, die das verheerende Ausmass abbilden könnten.
Das macht die Gefahr extrem schwer greifbar. Und viele Menschen reagieren dementsprechend wie der ungläubige Thomas in der Bibel: Was ich nicht sehe, glaube ich nicht - oder es ist mir zumindest egal.
Wie gross sind die Müllstrudel?
Auch wenn die Bezeichnung Müllinsel irreleitend ist, die Fläche, auf der sich der Müll in den Weltmeeren ansammelt, ist sehr wahrscheinlich gigantisch gross. Der bekannteste Strudel treibt im Nordpazifik zwischen Nordamerika und Asien. Er wird als "Great Pacific Garbage Patch" (übersetzt: Grosser Pazifikmüllfleck) bezeichnet. Aber auch in den anderen Meeren haben sich Müllstrudel gebildet, zum Beispiel im Nordatlantik. Über sie ist jedoch noch weniger bekannt.
Die genauen Abmessungen der Müllstrudel und die Masse des Abfalls zu bestimmen, der die Ozeane verschmutzt, ist bisher gescheitert. Es fehlt nach wie vor an weltweit vergleichbaren Untersuchungsmethoden und Daten. Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Alfred-Wegener-Instituts hat deshalb letztes Jahr einen Leitfaden erstellt. Damit soll die Aussagekraft von künftigen Studien über die Verschmutzung durch Mikroplastikpartikeln steigen.
Grobe Anhaltspunkte gibt es dennoch. Der Meeresstrudel im Nordpazifik ist nach ungefähren Schätzungen des NOAA 18 bis 23 Millionen Quadratkilometer gross. Das entspricht in etwa der dreifachen Grösse der USA. Zu bestimmen, wie genau sich der Müll darin verteilt und welches Gewicht er hat, hält NOAA aber für praktisch unmöglich.
Das deutsche Umweltbundesamt (UBA) spricht von Schätzungen, laut denen zirka 140 Millionen Tonnen Abfall weltweit in den Meeren treibt. Das entspricht einem vollgestopften Güterzug mit einer Länge von der Erde bis zum Mond und die halbe Strecke zurück, erklärt der UBA-Präsident "Spiegel online". 70 Prozent davon sinkt dem Umweltbundesamt zufolge zu Boden, 15 Prozent wird an die Strände gespült und die restlichen 15 Prozent treiben demnach an der Wasseroberfläche.
Das UN-Umweltprogramm UNEP geht davon aus, dass durchschnittlich ungefähr 13.000 Plastikmüllpartikel auf jedem Quadratkilometer Meeresoberfläche zu finden sind.
Kann man den Müll aus dem Wasser entfernen?
Lässt sich das Problem nicht irgendwie in den Griff bekommen? Leider nein. Ideen gibt es zwar viele, doch momentan ist keine Lösung in Sicht. Allein der Pazifik nimmt 30 Prozent der Erdoberfläche ein. Die US-Behörde NOAA hat berechnet, dass man 68 Schiffe bräuchte, die ein Jahr lang täglich zehn Stunden im Einsatz sind, um weniger als ein Prozent der Pazifikoberfläche nach Müll zu durchkämmen.
Auf diese Weise könnte man aber nur die groben Müllstücke aus dem Wasser fischen. Mikropartikel könnte man vielleicht einmal mit Hilfe von speziellen Organismen aus den Ozeanen entfernen, die Kunststoff abbauen oder zu grossen Klumpen verkleben. So erforscht zum Beispiel der US-Biologe Tracy Mincer bestimmte Meeresbakterien, die sich durch Plastik fressen. Das wäre eine praktikable Anwendung, ist aber noch Zukunftsmusik. Grossflächig Bakterien ins Meer zu schütten, ist sicher auch ökologisch nicht sinnvoll, da die Folgen für die Umwelt nicht vorhersehbar sind. Andere Visionäre träumen von künstlichen Inseln aus Müll, die zu neuem Lebensraum für Menschen werden könnten.
85 Prozent des Mülls landet aber wohl sowieso am Meeresgrund oder an den Stränden. Dort kann man den Abfall nicht einfach abschöpfen, ohne den Lebensraum zu zerstören.
Fazit: Momentan ist nicht viel mehr möglich, als zu verhindern, dass noch mehr Kunststoff in die Meere gelangt. Der Grossteil stammt zwar von Hochseeschiffen. Doch auch jeder einzelne kann einen kleinen Beitrag leisten. Ein erster Schritt wäre, weniger Plastiktüten und –Flaschen zu benutzen und auf Kosmetikprodukte wie Peelings und Zahncremes zu verzichten, die Inhaltsstoffe wie Polyethylen (PE) oder Ethylen-Vinylacetat-Copolymer (EVA) enthalten - das nämlich sind nichts anderes als die eben beschriebenen, gefährlichen Mikroplastikteilchen.
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