Die Wissenschaft hat nicht immer einen guten Ruf: Oft wird sie gleichgesetzt mit theorieverliebten Themen und muss den Makel der Besserwisserei ertragen. Mark Benecke hat einen Doktortitel und arbeitet als Wissenschaftler, aber mit langweiligen Forschungsgebieten oder neunmalklugen Vorträgen hat er gar nichts am Hut.
Stattdessen zieht der forensische Entomologe als "Herr der Maden" durch die Lande und verbreitet in gut gefüllten Sälen das Image der interessanten, spannungsgeladenen Seite der Wissenschaft. Dabei geht es nicht um Aushängeschilder wie Techniktrends, kuschelige Tierbabys oder sensationelle Experimente, sondern um nüchterne Kriminalistik.
Bei der forensischen Entomologie stehen Insekten auf Leichen im Mittelpunkt: Die Feststellung, welche Krabbeltiere in welchem Entwicklungsstadium die Toten bevölkern, ermöglicht Rückschlüsse auf den Tathergang. Der Kriminalbiologe Mark Benecke plauderte in Karlsruhe über seinen interessanten Alltag.
Sie präsentieren immer wieder ihr Fachwissen in Clubs und Stadthallen. Als Wissenschaftler ist es nicht gerade üblich, ausserhalb der Universität Vorträge zu halten. Wie kamen Sie dazu?
Mark Benecke: Das habe ich schon immer gemacht. Bei einem neuen Buch fragen Buchhändler nach. Die denken dann immer, man könnte was zu den neuen Texten machen. Ich habe aber keine Lust, nur vorzulesen. Die Leute können ja selber lesen. Deswegen habe ich angefangen, einfach etwas zu erzählen und habe etwas zusammengebastelt, dass es nicht so langweilig für mich selber ist.
Ich erzähle über das, was die Leute interessiert. Bei uns in Nordrhein-Westfalen gab es zum Beispiel den Fall mit dem Serientäter Jürgen Bartsch. Das vergleiche ich dann mit dem kolumbianischen Serientäter Luis Alfredo Garavito Cubillos. In Städten, wo Schulattentate waren, will das Publikum zum Teil wissen, wie schnell man stirbt. Diese Fragen haben gar nichts mit mir zu tun, aber ich versuche die Verbindung zur Kriminalbiologie zu knüpfen.
Das hört sich gruselig an. Aber Ihre Shows sind gar nicht so, da wird auch viel gelacht. Gibt es darüber hinaus aussergewöhnliche Reaktionen vom Publikum?
Benecke: Ja, Frauen um die 50 fragen, wie man jemand unauffällig vergiftet. Die sagen natürlich, das interessiert mich ganz allgemein. Aber wir fragen uns schon, was das soll.
Räusper, zurück zu den Themen: Gibt es ein spezielles Thema, nach dem in Ihren Vorträgen immer wieder gefragt wird?
Benecke: Nein, das kann man so nicht sagen. Deswegen habe ich mittlerweile eine Art Einleitung, bei der ich erzähle, was ein Kriminalbiologe alles macht. Dass man zusammenarbeiten muss, dass man nicht wie Superman im Fernsehen - so wie bei CSI oder so - alles alleine lösen kann, dass das sehr langweilig ist und überhaupt nicht spannend. Dass man nicht mit dem Polizeiauto rumfährt, dass ich keinen Führerschein habe und noch nie in meinem Leben geschossen habe. Damit die das verstehen, dass das nicht wie im Kino ist.
Lesen Sie auf der folgenden Seite über Mark Beneckes Verhältnis zu Speichel-, Blut- und Urinspuren.
Ihre Schilderung hört sich nicht besonders attraktiv an. Gibt es trotzdem einen besonderen Reiz, Kriminalbiologe zu werden?
Benecke: Es gibt keinen besonderen Reiz. Entweder Du interessierst Dich für Spuren, also Haare, Sperma, Blut, Speichel, Urin, Kot, Insekten, oder nicht.
Leichen, dazu noch Sperma, Speichel und Blut. Das löst bei vielen Leuten Ekel aus. Als Sie mit der Arbeit an Leichen begonnen haben, haben Sie da Ekel empfunden?
Benecke: Nein, das war nie so. Das darf auch gar nicht so sein. Wer denkt, er könnte sich das abtrainieren, der ist im falschen Film. Man hat das oder man hat das nicht. Das ist eine Charaktereigenschaft.
Auf Fotos mit Toten sind Sie manchmal mit Schutzkleidung zu sehen, manchmal nicht. Wann ziehen Sie etwa Handschuhe an?
Benecke: Handschuhe ziehe ich an, wenn die Leichen zum Beispiel stark verfault sind, so dass der Geruch sonst an den Händen bleiben würde. Leichen sind nicht giftig, sonst dürfte man auch kein Schnitzel essen. Das ist eine Leichenscheibe, Gulasch besteht aus Leichenwürfelchen. Es ist nicht wegen dem Leichengift, sondern wegen dem Geruch.
Schutzanzüge zieht man auch an, wenn die Polizei sagt, an der Leiche sind noch Spuren dran. Dann muss man sich einen Schutzanzug anziehen, damit da nicht die eigenen Haare oder ähnliches drauffallen. Wenn die Leiche aber verspurt ist, das heisst, es sind keine Spuren mehr drauf, die die Polizei interessieren, dann darf man auch ohne Schutz dran.
Ich habe aber, wie Sie sehen, nur Polyestersachen an. Der Grund dafür ist, dass man das waschen kann. Wenn du Baumwollsachen hast und der Geruch reingezogen ist, dann kannst du das wegschmeissen. Deswegen lachen wir über die Leute in Kinofilmen, die zum Beispiel Kaschmirpullöverchen und Lederslipper aus Italien anhaben. Die kannst du dann direkt wegschmeissen.
Entdecken Sie nach dem Umblättern, was der Kriminalbiologe über die Schönheit von Insekten sagt.
Bei der forensischen Entomologie geht es um Insekten. Wann haben Sie sich zum ersten Mal für Insekten interessiert oder war das Interesse schon immer da?
Benecke: Nein, ich habe früher mit Tintenfischen gearbeitet. Wirbellose Tiere allgemein mag ich, im Gegensatz zu Wirbeltieren. Aber das mit den Insekten kam durch die Rechtsmedizin, weil dass die einzigen Tiere sind, die an der Leiche eine Bedeutung haben.
Insekten faszinieren Sie also, oder?
Benecke: Klar, die sind super. Alleine, dass die eine Metamorphose durchmachen. Die können sich in ein komplett anderes Lebewesen verwandeln. Da wird aus der Larve ein Tier mit Flügeln und Beinen, die vorher nicht da waren. Sie können auch sehr viele Bilder pro Sekunde sehen. Im Kino sehen sie nur Dias, wo wir einen Film sehen, weil sie eine so hohe zeitliche Auflösung haben. Sonst würden sie ständig irgendwo dagegenfliegen.
Haben Sie ein Lieblingsinsekt?
Benecke: Märzfliegen finde ich schön: Bibio marci, die haben einen schönen schwarzen Pelz. Schmeissfliegen sind auch schön. Meine Assistentin hat sich eine Blaue, also die Calliphora, tätowieren lassen. Die Diplomandin meiner Assistentin hat sich die Mundwerkzeuge der Calliphora tätowieren lassen.
Zu Hause haben Sie in Ihrer Küche ein Terrarium mit Fauchschaben. Büxen die schon mal aus?
Benecke: Ja, die kleinen schon. Aber die können draussen nicht überleben. Die verstecken sich meistens unter dem Ofen oder dem Schrank. Dort finden sie nichts zu fressen und kommen nach ein paar Tagen raus und dann kannst Du sie wieder einsammeln.
Was verbindet Mark Benecke mit der Body-Farm? Weiterlesen.
Die Universität des US-Bundesstaates Tennessee betreibt eine Body-Farm, auf der die Verwesung von Leichen wissenschaftlich beobachtet wird. Was verbindet Sie mit diesem Versuchsgelände?
Benecke: Ich war da mal Trainer für das FBI. Das war nur für ein Jahr. Man lernt da auch selbst viel. Das ist nicht wie an der Uni. Man lernt von den Polizisten genauso viel, wie die von dir lernen.
Zu dem Gelände selbst: Gibt es da verschiedene Zonen wie etwa den Gartenbereich oder eine Strasse?
Benecke: Es gibt eine Seite die liegt am Fluss, eine Seite die liegt auf einem Berg, eine Seite, die ist eher trocken und eine Seite, die ist bewaldet. Es gibt also verschiedene Zonen. Das Gelände ist echt gross. Je nachdem, wo die Leiche liegt, zersetzt sie sich ganz anders. Man kann zwar anhand der Insekten die Liegezeit bestimmen, aber aus der Zersetzung alleine nicht. Man muss also die Hinweise der Insekten nutzen.
Die Leichen stammen alle von Körperspendern. Das Team auf der Body-Farm nimmt deswegen hin und wieder Rücksicht auf den letzten Willen der Spender. Wie sieht das genau aus?
Benecke: Man will natürlich nett zu den Körperspendern sein. Das ist ja klar. Eine Frau wollte im Angesicht der Sonne liegen. Dann haben die Kollegen das gemacht, weil sie es sowieso interessant fanden, zu sehen, wie dass dann aussieht. Aber man kann nicht immer Rücksicht auf die Spender nehmen.
Die Leichen werden also betreut. Wie muss man sich das vorstellen?
Benecke: Das sind immer Experimente. Ursprünglich haben die Kollegen die Leichen auf die Body-Farm gebracht, weil sie die Knochen haben wollten, weil sich die Knochen der Amerikaner so stark verändert haben. Die Leute sind richtig fett geworden. Dadurch hat sich der Knochenbau so verändert. Das heisst, wenn du jetzt eine Leiche im Freien findest, wo du nur Knochen hast, und du nimmst eine Tabelle von 1850, dann kannst du die überhaupt nicht mehr zuordnen.
Mark Benecke im Auftrag der Industrie- und Handelskammer - auf der nächsten Seite.
Es gibt berufsspezifische Eigenheiten. Sie haben als Kriminalbiologe viel mit Gerüchen zu tun. Wenn Sie privat in einen Raum kommen, nehmen Sie diesen dann erst Mal nach den Duftmarken auseinander?
Benecke: Nein, an das Thema Geruch gehe ich anders heran. Es stimmt schon, dass ich da noch etwas rieche, wo andere nichts mehr wahrnehmen. Aber mein Spinnensinn geht bei Gerüchen an, wenn sie mit Fäulnis zu tun haben. Zum Beispiel bei Käsegeruch oder wenn Kuchen gebacken und da nicht gelüftet wurde oder bei Ammoniak. Aber bei normalen Gerüchen ist mir das egal.
Bei mir geht der Spinnensinn an, wenn eine tote Taube im Raum liegt oder wenn irgendwo alter Käse ist. Oder: Hier an dieser Stelle auf dem Boden ist mal eine Leiche ausgelaufen.
Ich bin ja bei der Industrie- und Handelskammer vereidigt, die geben mir Aufträge, bei denen ich wie ein Hund durch Gebäude laufe, in denen Leichen ausgelaufen sind. Dann markiere ich mit einer Sprühdose bis zu welchem Bereich das Gebäude abgetragen werden muss. Wenn das in den Estrich läuft, kriegst du den Geruch nie wieder raus.
Kann man das Riechen trainieren oder hat man das einfach?
Benecke: Ja, gut Riechen muss man im Vorhinein können, aber die Unterschiede bei den Leichengerüchen lernst du. Man sagt doch, dass die Leute im Amazonas unterschiedliche Sorten von Grün unterscheiden können, viel mehr als wir. Angeblich können Eskimos viele Sorten Weiss unterscheiden. So ist das bei mir auch: Ich kann viele verschiedene Gerüche unterscheiden, wo jeder nur sagt "Das stinkt". Da kann ich zum Beispiel sagen, da ist eine bestimmte Sorte Käse ausgelaufen.
Zum Schluss noch was ganz anderes: Sie haben mal in einer Schlager-Punkband, Die blonden Burschen, gespielt. Sie haben sich Belcanto Bene (übersetzt: schöner, guter Gesang) genannt. Hat das was mit Oper zu tun?
Benecke: Das war ein Witz. Ich singe gar nicht gut, ich war aber der Sänger. Das war also eigentlich eine Beleidigung. Das haben sich die Kollegen aus der Band ausgedacht.
Auf Ihrer Homepage sieht man Sie auf Fotos mit dem Sänger von Geothes Erben und Ville Valo von Him. Hören Sie solche Musik?
Benecke: Härter, viel härter. Bei Geothes Erben fängt das an, geht aber dann Richtung Elektronik. Bei Ville Valo ist das eher so, dass ich seinen Lifestyle cool finde. Die Musik ist mir aber ein bisschen zu soft. Aber ich leg auch selbst als DJ auf, zum Beispiel für Radio RBB. Dann aber EBM (Electronic Body Music, red).
Vielen Dank für das Gespräch.
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