Invasive Arten sind auf dem Vormarsch - ob Muscheln, Ameisen oder Waschbären. Entlang globaler Warenströme gelangen Arten in neue Lebensräume. Oft richten die Neuankömmlinge immense Schäden an. Mehr als 80 Forscherinnen und Forscher warnen jetzt vor den Gefahren und sehen "dringenden Handlungsbedarf".

Mehr zum Thema Natur & Umwelt

Gegen invasive Arten muss es einer Gruppe aus mehr als 80 Forschenden zufolge dringend mehr Massnahmen geben. Derzeit werden jedes Jahr weltweit etwa 200 Arten durch menschliche Aktivitäten in Regionen eingeführt, in denen sie zuvor nicht vorkamen, wie das Team im Fachjournal "Nature Ecology & Evolution" erläutert: "Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Volumen der Wareneinfuhren und der Zahl der gebietsfremden Arten in einer Region und Muster in der globalen Ausbreitung von Arten spiegeln die Netze des Schiffs- und Flugverkehrs wider."

Gebietsfremd und invasiv

  • Als gebietsfremd werden Arten bezeichnet, die in einem bestimmten Gebiet nicht heimisch sind, sich dort aber etablieren. Manche gebietsfremden Arten sind invasiv, das heisst, dass sie sich schnell vermehren, das Ökosystem negativ beeinflussen und heimische Arten verdrängen. Teilweise gibt es direkte Schäden auch für den Menschen, etwa in der Landwirtschaft.

Zunahme gebietsfremder Arten um 36 Prozent bis 2050 befürchtet

Dem Beitrag in "Nature Ecology & Evolution" zufolge könnte die Gesamtzahl gebietsfremder Arten bis 2050 im Vergleich zu 2005 um 36 Prozent zunehmen. Mit Blick auf die heute zu beobachtenden Folgen würden die künftig zu befürchtenden wahrscheinlich unterschätzt. Ein wichtiger Faktor sei der Klimawandel, unter anderem, weil er die Ansiedlung und Ausbreitung in zuvor unpassenden Regionen erleichtere. Extremwetterereignisse wie Dürren, Überschwemmungen, Waldbrände und tropische Stürme verschärften diesen Trend, da die Ökosysteme immer weniger resistent gegen neu ankommende Arten seien.

"In einigen Gebirgsregionen hat der Klimawandel in Verbindung mit anderen Ursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt dazu geführt, dass invasive Arten ihr Verbreitungsgebiet doppelt so schnell wie einheimische Arten in höhere Lagen ausdehnen konnten", erläutert die Gruppe um Helen Roy vom UK Centre for Ecology & Hydrology in Lancaster. Die Analyse der 88 Autorinnen und Autoren von 101 Institutionen aus 47 Ländern stützt sich auf den Bewertungsbericht des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) zu invasiven Arten und ihre Kontrolle, der im vergangenen Jahr vorgestellt wurde.

Vorsichtigen Schätzungen zufolge wurden demnach bisher rund 37.000 gebietsfremde Arten durch das Einwirken des Menschen aus ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet in andere Regionen gebracht. Etwa 3.500 davon richten Schäden an, sind also invasiv. Die globalen wirtschaftlichen Kosten lägen bei mehreren Hundert Milliarden Euro jährlich, sie hätten sich seit 1970 in jedem Jahrzehnt vervierfacht.

"Invasive gebietsfremde Pflanzen, Tiere und andere Organismen haben Ökosysteme auf der ganzen Welt drastisch verändert [...] und zu 60 Prozent der bekannten Aussterbefälle beigetragen."

Studienautoren

Immens sind auch die Folgen für die Natur. "Invasive gebietsfremde Arten sind eine der Hauptursachen für den anhaltenden weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt, die sich in allen Regionen der Erde negativ auf Mensch und Natur auswirken", so die Gruppe um Roy. "Invasive gebietsfremde Pflanzen, Tiere und andere Organismen haben Ökosysteme auf der ganzen Welt drastisch verändert, eine Homogenisierung des Lebens auf globaler Ebene verursacht und zu 60 Prozent der bekannten Aussterbefälle beigetragen."

Anfällig seien insbesondere abgelegene Inseln mit einem hohen Anteil nur dort vorkommender Spezies - etwa 90 Prozent der weltweit dokumentierten Aussterbefälle durch eingewanderte Arten beträfen Insel-Spezies. "So verursachte beispielsweise die Braune Nachtbaumnatter (Boiga irregularis) das Aussterben fast aller Waldvögel auf Guam, einschliesslich des Guam-Fliegenschnäppers (Myiagra freycineti)."

Invasive Arten auf dem Vormarsch

Einige invasive Arten verbreiten sich rasant, Krankheitserreger wie das Zika-Virus und der Chytridpilz Batrachochytrium dendrobatidis zum Beispiel, aber auch Tiere wie die Rotfeuerfische (Pterois). Quagga-Muscheln breiten sich regional - etwa am Bodensee - ebenfalls schnell aus, verdrängen heimische Muscheln und blockieren Wasserleitungen.

Eingeschleppt wurde die etwa vier Zentimeter lange Muschel Experten zufolge vor rund zehn Jahren aus dem Schwarzmeerraum durch Boote, an denen sie sich festgesetzt hatte. Die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) schätzt, man könne am Bodensee nur noch etwa 15 Jahre von der Situation am US-amerikanischen Lake Michigan entfernt sein. Dort habe sich die Muschel so stark verbreitet, dass sie nun 90 Prozent der Biomasse ausmache. Der Verlauf der Ausbreitung sei in beiden Seen bisher vergleichbar.

Nicht nur Seen, auch riesige Meeresgebiete sind betroffen. Eine im Fachjournal "NeoBiota" vorgestellte Studie zeigte kürzlich, wie der Indische Rotfeuerfisch (Pterois miles) das Mittelmeer kapert. Die Art vertilgt demnach in grossem Umfang einheimische Arten, darunter solche, die nur dort vorkommen. Diego Kersting von der spanischen Forschungseinrichtung CSIC zufolge ist das Mittelmeer ein Hotspot für biologische Invasionen und beherbergt die meisten eingeschleppten Arten der Welt. Die Zahl nachgewiesener eingeführter Arten habe sich zwischen 1970 und 2014 mehr als verdoppelt und in den letzten Jahren habe sich die Entwicklung noch beschleunigt.

Auf der italienischen Mittelmeerinsel Sizilien ist ein weiterer Einwanderer heimisch geworden: die gefürchtete Rote Feuerameise (Solenopsis invicta). Forschende befürchten, dass sich die invasive Spezies, begünstigt durch den Klimawandel, rasch auch in anderen europäischen Ländern ausbreiten könnte. Zunächst seien insbesondere Städte im Mittelmeerraum und Städte mit grossen Häfen wie Amsterdam oder London in Gefahr, hiess es 2023 im Fachjournal "Current Biology".

Ursprünglich aus Südamerika stammend, wurden Rote Feuerameisen zunächst in den USA eingeschleppt. Die Tiere gelten als sehr aggressiv, sie vertilgen eine Vielzahl anderer Insekten und verursachen hohe Ernteschäden. In den USA verbreiteten sich die Ameisen ab etwa den 1930er-Jahren rasant. Im Zuge von weltweitem Handel und Tourismus gelangte die Feuerameise später auch in viele andere Länder wie Japan, China, Australien und Neuseeland.

Lesen Sie auch

Asiatische Hornisse und Waschbär bereiten Forschenden in Deutschland Sorgen

Für Deutschland gibt das Bundesamt für Naturschutz (BfN) 900 gebietsfremde Arten an, von denen etwa 90 invasiv sind. Eine sehr bekannte Spezies ist die Asiatische Hornisse (Vespa velutina), die 2014 erstmals in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz und damit auch erstmals in Deutschland nachgewiesen wurde. Sie breitet sich mit hoher Geschwindigkeit immer weiter aus, frisst Honigbienen und andere Insekten. Welche Schäden durch die Art entstehen werden, lässt sich Experten zufolge noch nicht absehen. Wieder verschwinden wird die Art wohl ebenso wenig wie etliche andere.

Weniger bekannt ist, dass neben dem Nutria auch der Waschbär zu den invasiven Arten zählt. Seit vor 90 Jahren zwei Waschbär-Paare in Nordhessen und später weitere Tiere freigesetzt wurden, haben sich die Tiere bundesweit enorm ausgebreitet. Geschätzt zwei Millionen Exemplare gibt es inzwischen, Tendenz steigend, wie der Wildtierbiologe Norbert Peter von der Universität in Frankfurt kürzlich sagte. Die Allesfresser sind eine Gefahr unter anderem für seltene Amphibien und Reptilien.

KORREKTUR! Grosse Verwechslungsgefahr: Woran erkennt man die Asiatische Hornisse?

Grosse Verwechslungsgefahr: Woran erkennt man die Asiatische Hornisse?

Die sogenannten Asiatischen Gelbfuss-Hornissen sollten gemeldet werden. Das Problem: Laut Naturschutzbund Deutschland (Nabu) sind die meisten Meldungen falsch. So können Sie die Arten unterscheiden.

Auch Hauskatzen können zum Problem werden

Manche Experten nennen auch ein beliebtes Tier eine hochproblematische invasive Art, das viele Menschen nur als kuscheligen Fellflausch sehen: die Katze. Hauskatzen haben ein sehr breites Beutespektrum und gefährden vielerorts die Artenvielfalt, wie Forschende Ende 2023 im Fachjournal "Nature Communications" erläuterten. Sie frässen quasi jedes Tier, das sie in irgendeinem Lebensstadium erbeuten könnten. Freilaufende Katzen zählten damit zu den problematischsten invasiven Arten der Welt.

Katzen leben, mit Ausnahme der Antarktis, auf allen Kontinenten und wurden auf hunderten Inseln eingeführt, was sie zu einer der am weitesten verbreiteten Tierarten der Erde macht. Allein in Deutschland leben nach Schätzungen derzeit mehr als 15 Millionen Hauskatzen, die dem Naturschutzbund (Nabu) zufolge jährlich Dutzende Millionen Vögel töten. Weltweit gibt es laut Hochrechnungen hunderte Millionen Hauskatzen.

Vorbeugung ist die beste Massnahme

Viele potenzielle künftige Einschleppungen könnte man verhindern, sind die Expertinnen und Experten um Helen Roy überzeugt. "Vorbeugung ist nach wie vor die kosteneffizienteste Option zur Verringerung der Bedrohung durch biologische Invasionen." Auch gilt es, aus Fehlern in der Vergangenheit zu lernen: Viele invasive Arten würden absichtlich eingeführt, weil sie als vorteilhaft empfunden würden. "Zum Beispiel werden gebietsfremde Arten häufig in Forstwirtschaft, Landwirtschaft, Gartenbau, Aquakultur und als Haustiere verwendet."

Ebenso wichtig wie die Vorbeugung sei die Vorbereitung auf den Fall, dass es zur Einschleppung komme. Einen wichtigen Beitrag könne dann die Bürgerwissenschaft leisten, wie Programme zur Früherkennung der Marmorierten Baumwanze (Halyomorpha halys) in Europa und Neuseeland zeigten. Die Wanze verursacht Schäden an Obstarten, Beeren, Reben und Gemüse. In Grossbritannien leiste die Öffentlichkeit über eine App einen wichtigen Beitrag zur Früherkennung der Asiatischen Hornisse und zur schnellen Reaktion auf neue Populationen.

Eine einmal eingewanderte Art wieder ausrotten zu wollen, ist den Experten zufolge oft extrem kostspielig und die Erfolgsquoten seien vielfach äusserst gering. "In der Meeresumwelt ist eine Ausrottung fast unmöglich." Besser sehe es bei Inseln aus: Dort sei es schon mehrfach gelungen, invasive Arten wieder gänzlich auszumerzen. (Annett Stein, dpa/sbi)

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.

Teaserbild: © Getty Images/iStockphoto/BoukeAtema