Nach den Corona-Massnahmen sollen gewaltige Konjunkturpakete die Wirtschaft wieder ankurbeln. Eine gute Gelegenheit für nachhaltigen Klimaschutz, betonen Wissenschaftler. Doch wie realistisch ist das?

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So heftig viele Corona-Massnahmen für die Menschen sind - Umwelt und Klima scheinen von etlichen Einschränkungen zu profitieren: In vielen Städten der Welt können die Einwohner statt grauem Smog wieder blauen Himmel sehen. Und in Teilen Nordindiens können Menschen zum ersten Mal seit Jahrzehnten Himalaya-Gipfel erkennen. Doch mit den Lockerungen drohen viele positive Effekte wieder zu verschwinden. Vor dem internationalen Tag der Umwelt am 5. Juni plädieren Umweltexperten dafür, beim Neustart der Wirtschaft verstärkt auf Nachhaltigkeit zu setzen.

CO2-Rückgang durch Corona ist nicht nachhaltig

Beispiel CO2-Emissionen: Anfang April war der weltweite tägliche Ausstoss des Treibhausgases im Vergleich zum Mittelwert 2019 um 17 Prozent gesunken, wie Forscher im Fachblatt "Nature Climate Change" berichteten. Für Ko-Autor Felix Creutzig vom Berliner MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) ist diese Art des Rückgangs der Emissionen allerdings nicht wünschenswert: "Der Grund für den Rückgang sind keine strukturellen Änderungen. Deshalb ist die Entwicklung nicht nachhaltig."

Selbst wenn die Corona-Massnahmen schnell gelockert würden, rechnet das Team für das Gesamtjahr 2020 mit einer Verringerung des CO2-Ausstosses um mehr als vier Prozent. Würden die Einschränkungen weitgehend bis Jahresende aufrechterhalten, gehen die Autoren von etwa sieben Prozent aus. "Eine Reduzierung der CO2-Emissionen in dieser Grössenordnung, also sieben oder acht Prozent, müsste jedes Jahr erfolgen, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015 einzuhalten", erläutert Creutzig.

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Mojib Latif vom Deutschen Klima-Konsortium (DKK) stimmt zu. Die Herausforderung bestehe darin, diese Senkung des CO2-Ausstosses zu erreichen, "ohne dabei die Wirtschaft lahmzulegen". Doch die absoluten CO2-Werte in der Atmosphäre steigen weiter, wie das DKK, dem 25 Einrichtungen zu Klimaforschung angehören, erst kürzlich betonte. Im März habe der auf der Zugspitze gemessene CO2-Wert mit 417,838 ppm (Teilchen pro Million Luftteilchen) einen neuen Rekord erreicht - er lag fast drei Punkte höher als 2019.

"Pause aufgrund des Shutdowns reicht bei Weitem nicht"

"Die kurze Pause aufgrund des Shutdowns reicht bei Weitem nicht", unterstreicht Latif. Mit dem CO2 in der Atmosphäre sei es ähnlich wie mit Staatsschulden, erklärt der Klimaexperte: "Selbst wenn in einem Jahr weniger neue Schulden aufgenommen werden, steigt der Schuldenberg dennoch weiter."

Latif sieht auch Parallelen zwischen der Corona-Krise und dem Klimawandel. Beide Herausforderungen seien nicht national zu lösen, sondern nur durch internationale Zusammenarbeit. Daran mangele es jedoch seit Jahren.

Die Corona-Krise zeige, dass die Politik bereit sei, grosse Summen zu investieren, um die Folgen für die Wirtschaft zu bewältigen. Diese Mittel sollten an Nachhaltigkeitskriterien gebunden werden, fordert Latif. Er sieht eine weitere Parallele zwischen der Pandemie und der Klimakrise: Schon länger habe es Szenarien für weltweite Epidemien gegeben – dennoch waren die Staaten unvorbereitet. Noch mehr sei über den Klimawandel geschrieben worden, doch die Gegenmassnahmen seien immer noch sehr klein.

Josef Aschbacher, Direktor für Erdbeobachtung bei der europäischen Weltraumagentur Esa, sieht andere Ähnlichkeiten zwischen der Pandemie und dem Klimawandel: So trage etwa die Abholzung des Regenwaldes zum Klimawandel ebenso bei wie zu neuen Infektionskrankheiten, die durch vermehrte Kontakte von Menschen mit Wildtieren entstehen könnten. Und weiter: "Ärmere Menschen leiden tendenziell mehr unter COVID-19, wie auch unter den Folgen des Klimawandels."

Aschbacher und sein Team haben Satellitenbilder veröffentlicht, die die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Erde dokumentieren: klarer Himmel über sonst smogbelasteten Ballungszentren, freie Parkplätze vor grossen Fabriken, geparkte Flugzeuge an Flughäfen und Rückgänge des lungenschädigenden Gases Stickstoffdioxid (NO2). In Europa halbierte sich der NO2-Ausstoss im Frühjahr gegenüber vergleichbaren Zeiträumen.

Mensch übt enormen Einfluss auf Umwelt aus und muss Augen öffnen

"Solche Messungen und Satellitenbilder können die Augen öffnen für den enormen Einfluss, den der Mensch auf die Umwelt ausübt", sagt Aschbacher. Damit will die Esa auch Daten liefern, auf deren Basis die Politik Entscheidungen treffen könne. Auch Aschbacher hofft, dass die Milliardenhilfen für die Wirtschaft an Vorgaben zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz geknüpft werden.

Zu den politischen Massnahmen vor der Corona-Krise gehörten CO2-Zertifikate: In den Wirtschaftssektoren Industrie, Strom und Flugverkehr müssen Unternehmen in der EU Zertifikate für den Ausstoss des Treibhausgases erwerben. Weil deren Menge anfangs grosszügig bemessen war, dümpelte der Wert pro Tonne CO2 lange im einstelligen Eurobereich. Die EU verknappt die verfügbaren Zertifikate jedes Jahr um 1,74 Prozent, ab 2021 sogar um 2,2 Prozent. Das soll den Preis treiben und Technologien mit hohen CO2-Emissionen unrentabel machen. Im Juli 2019 lag der Preis bei knapp 30 Euro.

Klimaforscher Latif sieht in der Verknappung der Zertifikate ein wichtiges Mittel zum Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft, auch wenn die Preise in der Corona-Krise unter 20 Euro fielen. Der Berliner Wissenschaftler Creutzig merkt an, das System werde erst dann richtig wirksam, wenn der Preis pro Tonne CO2 über 50 Euro steige.

Der europäische Emissionshandel wird ab 2021 um einen nationalen Emissionshandel für Verkehr und Gebäude ergänzt, wie das Bundeskabinett jüngst beschloss. Die Tonne CO2 soll anfangs 25 Euro kosten, der Preis soll in den Folgejahren steigen. Ab 2026 soll er durch Versteigerungen ermittelt werden, wobei für das erste Jahr ein Korridor von 55 Euro bis 65 Euro pro Tonne CO2 vorgegeben ist.

Geeinigt hat sich die Grosse Koalition auch darauf, die Deckelung der Förderung beim Ausbau von Solaranlagen aufzuheben. Was schon länger geplant war, wurde im Zuge der Corona-Sofortmassnahmen vorgezogen.

In manchen Städten beschleunigt die Pandemie klimafreundliche Projekte. So hat Brüssel die für Anfang 2021 geplanten Änderungen im Verkehr vorgezogen: In der Innenstadt dürfen Autos nur noch 20 Kilometer pro Stunde fahren und müssen Fussgängern und Radfahrern Vorfahrt gewähren. In Berlin entstanden ab März etliche provisorische Radwege im Schnellverfahren.

Jens Müller vom europäischen Dachverband der Verkehrs- und Umweltorganisationen "Transport & Environment" nennt weitere Beispiele: provisorische Radwege in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá oder neue Pläne für Radwege in Paris und London. "Teilweise sind Städte Vorreiter, während nationale Regierungen noch zögern", sagt Müller. In Deutschland hat die Berliner Aktion zunächst keine Nachahmer gefunden - lediglich Köln und Stuttgart haben einige Strassen für Autos gesperrt.

Müller sieht jedoch auch die aktuelle Tendenz, dass weniger Menschen öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Städte sollten hier dennoch investieren, rät er, insbesondere in Elektrofahrzeuge. Für bessere Luft in Städten führe an einer Senkung des Autoverkehrs kein Weg vorbei.

"Klimafreundliche Massnahmen sind kein Selbstläufer"

"Die klimafreundlichen Massnahmen sind kein Selbstläufer", mahnt Müller. Bei manchen Entscheidungen, die in der Corona-Krise schnell getroffen wurden, könne es hinterher noch politischen Druck geben, sie ganz oder teilweise zurückzunehmen. Dennoch ist er optimistisch, dass viele aktuelle Änderungen im Stadtverkehr überleben werden. Er empfiehlt zudem emissionsfreie Sharing-Angebote etwa für Elektroautos, die auf Abruf verfügbar sind.

Mobilität als Serviceleistung hat auch der DKK-Vorsitzende Latif im Blick. Damit solche Systeme funktionieren, müsse man in Deutschland die Digitalisierung voranbringen. Creutzig fordert sogar, der Digitalisierung Vorrang vor der Elektromobilität zu geben. Die Corona-Krise habe gezeigt, dass gute digitale Infrastruktur viel Verkehr überflüssig machen könne.

Karsten Neuhoff vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht Klimaschutz zwar ebenfalls als wichtige Komponente beim anstehenden Konjunkturpaket der Bundesregierung. Aber man dürfe die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland nicht vergessen. Im besten Fall könne man beides verbinden, etwa beim Recycling: Digitalisierung könne in Recyclinghöfen die Müllsortierung verbessern und die Trennung von Kunststoffen optimieren. Dann stünde der deutschen Kunststoffindustrie etwa mit recyceltem Plastik statt importiertem Erdöl eine heimische Ressource zur Verfügung.

Allerdings, so mahnt er, könnte das voraussichtlich im Herbst beginnende Konjunkturprogramm für einige Zeit das letzte sein: "Es gibt jetzt öffentliches Geld, das könnte mittelfristig knapper werden", betont Neuhoff. "Unternehmen sollten also die Chancen nutzen und schnell investieren."

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(Stefan Parsch/dpa/mgb)

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