Immer mehr Medikamente gelangen ins Abwasser – mit Folgen für die Umwelt. Forscher haben den Einfluss von Medikamentrückständen in Gewässern anhand von Lachsen untersucht und konnten feststellen: Die Fische gehen höhere Risiken ein. Doch nicht nur auf Fische hat der hohe Medikamentenkonsum Einfluss.
Tablette geschluckt, Schmerzen weg, alles gut? Nicht ganz. Medikamente und ihr Konsum haben Folgen, die weit über die Person hinaus gehen, die ihre Beschwerden lindern will. Im Körper wird oft nur ein Bruchteil verarbeitet, der Rest gelangt über Ausscheidungen ins Abwasser – oder auch deshalb, weil Menschen Medikamente über Abfluss oder Toilette entsorgen.
Weil auch Kläranlagen nicht alle Stoffe herausfiltern können, bleiben diese in den Gewässern – mit Folgen. Was das für Tiere bedeuten kann, zeigt eine im Fachmagazin "Science" veröffentlichte Studie: Die dabei beobachteten Atlantischen Lachse (Salmo salar) wurden den Forschern zufolge durch die Rückstände von Arzneimitteln im Wasser risikofreudiger. Konkret untersucht wurde unter anderem der etwa in Epilepsie- und Angststörungs-Medikamenten enthaltene Benzodiazepin-Wirkstoff Clobazam, der das Verhalten der Fische veränderte.
Die Lachse wurden dazu im Labor einer Dosis des Wirkstoffs ausgesetzt, wie sie auch in der Umwelt vorkommen kann. Dann markierte das internationale Team um Jack Brand und Michael Bertram – unter anderem von der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaft in Uppsala – die Fische mit Sendern, ebenso wie eine Kontrollgruppe, die keine pharmazeutischen Stoffe bekommen hatte. Anschliessend wurden die Tiere in dem schwedischen Fluss Dalälven ausgesetzt.
Lachse gehen höhere Risiken ein
Clobazam hatte der Studie zufolge sowohl positive als auch negative Folgen: Im Vergleich zur Kontrollgruppe überwand eine höhere Anzahl der damit behandelten Fische die Dämme im Fluss und erreichte die Ostsee. Gleichzeitig bewegten sich diese Lachse – mutmasslich wegen höherer Risikobereitschaft – weniger als üblich in Gruppen fort, was sie nach Einschätzung der Studienautoren zu einer leichteren Beute für Fressfeinde macht. Die Ergebnisse verdeutlichten, wie sich Wirkstoffe auf überlebenswichtige Verhaltensweisen auswirken könnten, heisst es in der Studie.
In Gewässern auf der ganzen Welt sind nach Angaben der Forscher bislang mehr als 900 pharmazeutische Wirkstoffe oder Verbindungen gefunden worden. Dem Umweltbundesamt zufolge werden besonders häufig Schmerzmittel, Antibiotika, Hormone, Betablocker, Kontrastmittel und Antidepressiva nachgewiesen. Nahezu flächendeckend und ganzjährig sind Wirkstoffe nicht nur etwa in Seen und Flüssen, sondern auch im Grundwasser zu finden. Vereinzelt kommen demnach sogar im Trinkwasser Spuren vor.
Und wie sieht es mit dem Trinkwasser aus?
Gerd Maack vom Umweltbundesamt gibt hierbei jedoch leichte Entwarnung: "Im Trinkwasser sind die Konzentrationen noch mal geringer, weil Trinkwasser ja noch aufgearbeitet wird." Er nennt ein Beispiel: "Um die Menge einer 400-Milligramm-Tablette Ibuprofen über das Trinkwasser aufzunehmen, müsste man 40 olympische Swimmingpools austrinken."
Klaus Kümmerer, Experte für nachhaltige Chemie und Pharmazie sowie stoffliche Ressourcen von der Leuphana Universität Lüneburg, weist allerdings darauf hin, dass je nach Verfahren der Aufbereitung auch neue, teils giftige Stoffe entstehen können. Ausserdem könnten Arznei-Rückstände im Körper landen, wenn etwa Gemüse mit verunreinigtem Klärschlamm gedüngt oder kontaminiertem Wasser gegossen wird.
Beide Experten sprechen sich dafür aus, Medikamente sparsamer zu verschreiben und zu verwenden. Maack sagt: "Wir haben natürlich logischerweise das Problem, dass wir nicht einfach sagen können: Diese Arzneimittel können wir verbieten oder wollen wir verbieten, wie wir es zum Beispiel bei Pflanzenschutz- oder Biozidprodukten machen können."
"Das Problem wird mit der alternden Gesellschaft definitiv grösser."
Verschärft wird das Problem durch die demografische Entwicklung. Die Gruppe der Senioren in der deutschen Gesellschaft wird in einigen Jahren, wenn die letzten Babyboomer diese Schwelle erreicht haben, noch deutlich anwachsen. Im Schnitt nehmen Ältere deutlich mehr Medikamente als Jüngere.
"Das Problem wird mit der alternden Gesellschaft definitiv grösser", hält Maack vom Umweltbundesamt fest. "Aber das ist nicht nur die alternde Gesellschaft, das sind auch die Wetterextreme. Der Klimawandel macht sich auch dabei bemerkbar. Die Hitzeperioden werden mehr. Dadurch gibt es alleine schon Kreislaufprobleme – nochmal verstärkt bei der älteren Bevölkerung." Dies könne den Arzneikonsum noch erhöhen.
Zu stabile Medikamente seien "Teil des Problems"
Der Chemiker Kümmerer hat bei Pharmaunternehmen darauf hingewirkt, die Zusammensetzung von Medikamenten umweltfreundlicher zu gestalten. Diese seien häufig stabiler konzipiert als nötig - etwa um die Haltbarkeit zu steigern. Das sei "Teil des Problems". Stattdessen müsse eher gefragt werden: "Unter welchen Bedingungen muss es wie lang stabil sein?"
Die EU hat Ende vergangenen Jahres in einer neuen Richtlinie festgelegt, dass Pharmaunternehmen unter bestimmten Bedingungen für die Aufrüstung von modernen Kläranlagen anteilig aufkommen müssen. Die Mitgliedsstaaten sollen bis Ende 2028 entsprechende Massnahmen umsetzen. Dagegen haben mehrere Pharmaunternehmen bereits Klage eingereicht. Kümmerer sieht in den neuen EU-Vorgaben hingegen einen weiteren Antrieb für Unternehmen, die Zusammensetzung ihrer Medikamente zu prüfen.
Das Umweltbundesamt betont, dass auch die Art der Entsorgung von abgelaufenen oder nicht benötigten Arzneien eine wichtige Rolle spielt, damit Wirkstoffe gar nicht erst in die Gewässer kommen. Dabei gilt: keinesfalls in die Toilette oder den Ausguss werfen oder schütten. Ob Medikamente in den Hausmüll gehören oder auf den Recyclinghof, ist regional unterschiedlich geregelt. Die offizielle Website der Arzneimittelentsorgung hilft bei der Suche nach der je nach Wohnort richtigen Lösung. (dpa/bearbeitet von mak)