Eisbären, Lederschildkröten und Störe gibt es nicht mehr viele. Im "Living Planet Report 2020" wird die Entwicklung der Populationsgrösse vieler weiterer Arten über einen längeren Zeitraum betrachtet. Lateinamerika weist besonders schlechte Werte auf. Dort sind über 90 Prozent der Tiere bereits verloren.
Der Niedergang vieler Tierbestände weltweit setzt sich laut einer Untersuchung seit Jahrzehnten unvermindert fort. Der Schwund bei rund 21.000 beobachteten Populationen von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien zwischen 1970 und 2016 beträgt im Durchschnitt 68 Prozent.
Das geht aus dem am Donnerstag veröffentlichten "Living Planet Report 2020" der Umweltstiftung WWF und der Zoologischen Gesellschaft London hervor. "Wir verlieren die Vielfalt des Lebens auf der Erde", sagte der Vorstand Naturschutz beim WWF, Christoph Heinrich, der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Nicht alle Tier- und Pflanzenarten werden konsequent überwacht
Als besonders gefährdete Tiere nennt der WWF den Östlichen Flachlandgorilla im Kongo, Lederschildkröten in Costa Rica und Störe im Jangtse - bei den letztgenannten liege der Rückgang seit 1970 bei 97 Prozent. In Deutschland sind laut Heinrich zum Beispiel Rebhuhn und Kiebitz von massiven Bestandsrückgängen betroffen.
Diese beiden stünden nur stellvertretend für die Vogel- und Insektenarten in der Agrarlandschaft. Hintergrund sei die landwirtschaftliche Nutzung.
Es ist die 13. Ausgabe des Reports zur weltweiten Biodiversität seit 1998. Einbezogen wurden Bestände von mehr als 4.400 Wirbeltierarten, darunter bedrohte und nicht bedrohte. Das sei nur ein kleiner Ausschnitt der biologischen Vielfalt, erläuterte Heinrich.
Angenommen würden zwischen 10 und 20 Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit. Davon werden aber nicht alle konsequent überwacht. Wie es um Insekten steht, wird bisher nicht einberechnet.
Entwicklung ist "extrem besorgniserregend"
Die genutzten Daten - laut Report wurden fast 4.000 Quellen herangezogen - sind Heinrich zufolge repräsentativ gut verteilt. Berücksichtigt worden seien etwa Bestände aus allen Klimazonen, Kontinenten und aus verschiedenen Lebensräumen, von Wäldern bis Süsswasser.
Der Datensatz verbessere sich auch von Bericht zu Bericht. Laut Report sind es zunehmend auch sogenannte Bürgerwissenschaftler, die sich beim Zählen von Tieren engagieren.
Naturzerstörung und -Überbeanspruchung geschehen laut Report in beispielloser Geschwindigkeit. Heinrich sagte, statt dass die Dramatik nachlasse, sei noch eine Beschleunigung der Entwicklung zu befürchten.
Beim Bericht von 2018 habe der gemessene Rückgang der beobachteten Populationen im Schnitt noch bei 60 Prozent gelegen. Die Entwicklung sei "extrem besorgniserregend". Besonders schlechte Werte weist der Bericht für die Tropen aus.
Nur wenige Orte ohne menschlichen Fussabdruck
Lateinamerika stehe "herausragend schlecht" da. "Sie haben über 90 Prozent ihrer Tiere verloren", sagte Heinrich mit Blick auf die dort untersuchten Arten. In Europa liegt das Minus laut Bericht bei 25 Prozent.
Die stärksten Eingriffe in die Landschaft seien hier vor 1970 und damit vor Beginn des Untersuchungszeitraums geschehen, erklärte Heinrich den vergleichsweise guten Wert. Wie es im Report heisst, liegen die meisten Orte ohne menschlichen Fussabdruck in nur wenigen Ländern: Russland, Kanada, Brasilien und Australien.
Noch gravierendere Entwicklungen als aus Regenwäldern kämen aus Feuchtgebieten wie Mooren, sagte Heinrich. Bei den dort lebenden untersuchten Arten liege der Rückgang durchschnittlich bei mehr als 80 Prozent.
Gründe seien zum Beispiel, dass Wasser häufig für die Bewässerung der Landwirtschaft entnommen werde oder Flüsse zur Gewinnung von Elektrizität angestaut würden. Das Anstauen etwa verändere alles für Fische, Muscheln und andere Organismen.
Schwindende Bestände sind nicht harmlos
Untersucht wird im Bericht nicht das Aussterben von Arten. Aber auch schwindende Bestände sind nicht harmlos: Es gehe um Lebensgrundlagen, betonte Heinrich, um Ökosysteme wie sauerstoffliefernde Wälder und fruchtbare Böden zum Beispiel.
"Boden ist keineswegs nur Sand." Unheimlich viele Organismen, auch Pilze, Würmer und Insekten, wirkten zusammen und seien so Basis für den Anbau unserer Nahrung.
Der WWF-Vorstand betonte, ein Gegensteuern sei möglich, aber die nötigen Schritte politisch nicht einfach durchzusetzen. Vor allem drei Massnahmen hält Heinrich für wichtig: mehr Schutzgebiete, verträglichere Landnutzung vor allem in der Landwirtschaft und Aufhalten des Klimawandels, der als neue Belastung dazukomme, aber noch nicht die dominierende Gefahr sei.
Positivbeispiele gibt es laut Heinrich schon: Bestände grosser Vogelarten wie des Seeadlers hätten sich in Deutschland dank gezielter Schutzmassnahmen erholt. (ff/dpa)
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