- Das Plastikmüllproblem in den Meeren ist schon seit über 50 Jahren bekannt, wurde jedoch ignoriert.
- Zusammen können Unternehmen und Verbraucher die Plastikflut im Alltag stoppen.
- Corona-Krise befeuert die Plastikproduktion, neue Umweltinitiativen geben aber Hoffnung auf ein Umdenken.
Cola-Flaschen in den Meeren, Schokoriegelverpackungen am Strand, Instantkaffeetüten in Flüssen, Einkaufstüten am Strassenrand: Die Liste des Plastikmülls in unserer Natur könnte länger nicht sein. Seit Jahrzehnten benutzen wir dieses Material in jeder denkbaren Alltagssituation und oft nur für kurze Zeit – obwohl es eigentlich 500 Jahre braucht, um sich zu zersetzen.
Als wäre das nicht genug, landen nur neun Prozent der jemals produzierten Plastik in Recyclingsystemen, 12 Prozent werden verbrannt und der Rest findet seinen Weg schliesslich in die Meere. Die unübersehbaren Folgen bekommen wir nun im wahrsten Sinne des Wortes zu sehen: Unser Planet ist innerhalb von nicht einmal einem Jahrhundert mit Kunststoff zugemüllt. Die Geister, die wir riefen, werden wir nicht mehr los. Wie konnte Plastik sich so in unseren Alltag fräsen und welche Wege gibt es aus der Plastikfalle?
Das Plastik in der Umwelt ein riesiges Problem ist und nicht einfach so verschwindet, ist uns immer mehr klar. Das globale Umweltbewusstsein wächst, doch nicht überall sind die Menschen über die Nachteile von Plastik im alltäglichen Gebrauch aufgeklärt. Wirtschaftliche Interessen von Unternehmen und verbesserungswürdige Recyclingsysteme erschweren zudem den Weg aus der Kunststoff-Falle. Dennoch weisen neue Umweltinitiativen vielversprechende Wege aus der globalen Plastikflut.
Warum ist Plastik als Material so beliebt?
Um nachzuvollziehen, wie Plastik sich in unseren Alltag fräsen konnte, muss man erkennen, dass die Verwendung von Kunststoff eng mit der Entwicklung der industriellen Kultur verknüpft ist. Je fortschrittlicher eine Gesellschaft, desto mehr Plastik nutzt sie. Im Jahr 1950 wurden zum Beispiel weltweit jährlich "nur" 1 Million Tonnen Kunststoff produziert, 2000 waren es 200, heute sind es fast 400 Millionen Tonnen weltweit – und das jedes Jahr.
Das Geheimnis des Siegeszuges: Das auf Erdöl basierende Plastik ist erheblich leichter als viele andere Verpackungsmaterialien; es ist elastisch, hitzebeständig und unkompliziert zu handhaben. Jedoch kann es häufig nicht wiederverwendet werden und braucht ein halbes Jahrtausend, um zu verrotten. Warum fand es trotzdem vor vielen Jahrzehnten den Weg in unseren Alltag?
"Bei dem massenhaften Einsatz von Plastik wurde der Kreislauf nicht zu Ende gedacht, ähnlich wie damals mit dem Asbest oder den FCKW. Es wurde zu sehr und vor allem zu lange auf die vorteilhaften Eigenschaften des Materials geschaut, obwohl es schlecht abbaubar und auch nicht leicht zu recyceln ist. Hinzu kommt, dass manche Kunststoffverwendungen mit Schadstoffen wie bromierten Flammschutzmitteln oder Weichmachern einhergehen, die zu erheblichen Umwelt- und Gesundheitsproblemen führen können", erklärt Manfred Santen, Chemieexperte bei Greenpeace Deutschland.
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Warum rutschten wir immer tiefer in die Plastikfalle?
Das Problem der Plastikflut in den Meeren und Mägen der Tiere ist nicht neu, sondern schon seit den 1970er Jahren bekannt. Damals fanden junge Forscher in den USA heraus, dass grosse Mengen an Plastik in den Ozeanen landeten. Dennoch hinderte dies Getränke-Unternehmen nicht daran, 1978 die erste Einweg-Plastikflasche zu lancieren. Diese zählt bis heute zur häufigsten Plastikmüllverpackung in der Natur weltweit.
Manfred Santen von Greenpeace begründet dieses Verhalten unter anderem mit dem Zeitgeist: "Das Umweltbewusstsein war zu der Zeit noch schwach ausgeprägt. Alle mussten erst lernen, dass man Plastikmüll nicht einfach in der Natur entsorgen kann. Hierzulande hat sich im Vergleich zu damals – wenn auch mühsam - ein grösseres Umweltbewusstsein herausgebildet. In einigen Regionen gibt es noch Nachholbedarf.
Aber auch in Europa werden wir mit dem anfallenden Müll offenbar nicht fertig, sonst würden wir nicht immer wieder Plastikmüll aus den USA, dem Vereinigten Königreich oder auch aus Deutschland auf wilden Deponien in Südostasien oder der Türkei finden. Die riesigen Mengen Plastik, die derzeit produziert werden, sind ein riesiges Problem, uns steht noch ein richtiger Plastikmüllboom bevor."
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Das Ergebnis der Plastikflut: Müllinseln grösser als Europa
Die unaufhörliche Plastikproduktion hat deutliche Folgen: Im Jahr 1997 entdeckte man im Pazifik den ersten Müllstrudel. Heute gibt es fünf dieser Müllinseln, zwei im Pazifik, zwei im Atlantik und eine im Indischen Ozean. Die grösste im Pazifik, mittlerweile von Instagram und Co. als Ort namens "Great Pacific Garbage Patch" erfasst, soll sich über eine Fläche grösser als Europa erstrecken.
Und mit jeder unachtsam weggeworfenen Plastikflasche, Mülltüte und Plastik-to-go-Tasse wachsen die Inseln jeden Tag weiter: Im Meer mündende Flüsse transportieren den Müll in die Meere und sorgen so für Nachschub. Strömungen tragen diesen schliesslich in den letzten Winkel unserer Ozeane.
Um die Gewässer davon zu befreien, sammelte der junge Niederländer Boyan Slat mittels Crowdfunding Millionen ein und gründete die Initiative The Ocean Cleanup. Mit den Mitteln baut er seit 2018 dutzende Spezialschiffe, die auf dem Meer und in den Flüssen als Plastikstaubsauger im Einsatz sind.
Gewinn geht vor Umweltschutz: Die Rolle der Unternehmen
Die grösste Verantwortung in der Plastikkrise tragen allerdings die Unternehmen. Da die Herstellung von Kunststoff im Vergleich zu anderen Materialien sehr günstig ist, ist Plastik für sie das Mittel der Wahl. Ob die Verpackungen dann auch recycelbar sind, ist für sie nachrangig.
"Es geht hier schlichtweg um das Geschäft", erklärt Manfred Santen von Greenpeace. "Die Firmen suggerieren durch Werbung & Co., das alles was neu und in schönem Plastik eingepackt ist, zu mehr Lebensqualität und einem höheren Lebensstil beiträgt. Bei der Entsorgung geben die Unternehmen dann ihre Verantwortung ab, obwohl sie wissen, dass das unverantwortlich ist. Oder sie schmücken sich mit gut gemeinten Greenwashing-Initiativen wie Flaschen aus Papier, wie das aktuell bei Coca-Cola der Fall ist. Dabei könnte das Unternehmen seine Mehrwegsysteme von heute auf morgen weltweit hochfahren – das wäre sehr wirksam, doch man tut es nicht. Gewinn geht wie so oft vor Umweltschutz."
Aufgrund der Corona-Krise aktuell niedrige Erdöl-Preise begünstigen diese Entwicklung noch. Neue Plastikverpackungen lassen sich jetzt noch billiger aus dem fossilen Rohstoff herstellen als vor der Krise. Für die Nutzung von recyceltem Plastik anstelle von Erdöl fehlt es den Unternehmen momentan schlichtweg an Motivation: Eine Tonne des häufigen Kunststoffes PET kostet derzeit rund 700 Euro, vergleichbares recyceltes Material bis zu 1.500 Euro. Die Folge: Derzeit hat sich die Menge der leichten Verpackungsabfälle durchschnittlich noch einmal um 20 Prozent erhöht.
Ein besseres Recyclingsystem kann helfen, mehr Plastik wiederzuverwerten
In der Plastikfalle stecken wir aber auch, weil unser Recyclingsystem nicht besonders gut funktioniert. Oft können die Sortiermaschinen die vielen ökologisch unvorteilhaft designten Verpackungen gar nicht erst erkennen. Schwarze Plastik ist eine der grössten Hürden, aber auch durchsichtige Obstschalen können schon Schwierigkeiten bereiten. Oder die Verpackungen sind mit zu vielen Schichten versehen, was ebenfalls ein K.o.-Kriterium ist.
Die Konsequenz: Insgesamt werden von den über 5 Millionen Tonnen Plastikabfall bei uns jährlich nur 17 Prozent zu recyceltem, wiederverwendbarem Plastik verarbeitet. Der Rest wird aufgrund der zu komplizierten bis unmöglichen Recycelbarkeit verbrannt – ganz abgesehen von der 1 Million Tonnen Plastikmüll, die auf legale Weise insbesondere nach Asien exportiert werden. Dort gelten häufig niedrigere Anforderungen an Arbeits- und Umweltschutz; das Recycling kann deshalb mit deutlich höheren Umweltbelastungen verbunden sein.
Ausserdem findet sich immer wieder Plastikmüll, der nicht oder nur schwer recycelt werden kann und illegal entsorgt wird. Forderungen nach sortenreineren, ungefärbten, besser sortierbaren, standardisierten Verpackungen werden deshalb – selbst aus den Reihen der Plastikindustrie – immer lauter.
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Wie können wir aus der Plastikfalle aussteigen?
Die Plastikfalle ist menschengemacht und deshalb theoretisch leicht zu stoppen. Funktionierende Mehrwegsysteme und genügend Verpackungsalternativen für Plastik sind für Unternehmen verfügbar, allen voran Metall, Papier und Glas. Es gibt auch vielversprechende Ansätze aus der Forschung. In den USA wird eine biologische Alternative zu Styropor entwickelt, die mithilfe von biologischen Abfällen und Pilzen hergestellt wird. Auch an Folien aus Zuckerrohr, Algen oder Milchsäure, bestehend aus Zucker und Stärke, arbeitet man.
Doch nicht nur die Unternehmen sind gefragt, über Plastikalternativen nachzudenken, sondern auch die Verbraucher. Schliesslich entscheidet jeder Konsument jeden Tag aus Neue, wie viel Plastik er kauft und wie er das richtig entsorgt. Hier findet aktuell ein Umdenken in der Gesellschaft statt: Neue Einkaufskonzepte wie die zahlreichen Unverpackt-Läden, die gerade vielerorts aus dem Boden spriessen, vermitteln eine Idee davon, wie unser Einkaufen und unser Konsum von morgen aussehen könnte. Diese Geschäfte verzichten komplett auf Plastikverpackungen und setzen auf wiederverwendbare Metall- und Glasbehälter.
Und auch die Politik kann helfen und regulieren. Das Lieferkettengesetz, nach dem Unternehmen für Verstösse unter anderem gegen nachhaltiges Wirtschaften zur Rechenschaft gezogen werden können, ist zumindest ein erster politischer Versuch, dem ungebremsten Plastikkonsum einen Riegel vorzuschieben.
Am Ende, so Manfred Santen "ist die Plastikfalle das Produkt eines kapitalistischen, unregulierten Systems. Unternehmen, Verbraucher und Politiker müssen deshalb gemeinsam an einem Strang ziehen. Die Zeit der Ausreden, der Bequemlichkeit, der Gewohnheit ist vorbei."
Verwendete Quellen:
- ZDF: Corona stürzt Plastik-Recycling in die Krise
- Tagesschau: Von wegen Recycling-Weltmeister
- National Geographic: Kommt nicht mehr in die Tüte: Wie nachhaltig sind Unverpackt-Läden?
- Deutschlandfunk: Schon 1972 schlugen Forscher Alarm
- FAZ: Warum Plastik nicht weniger werden muss
- Ellen Macarthur Foundation: The New Plastics Economy
- Statista
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