Toulouse - Die Gesamtmenge an Mikroplastik in der Umwelt könnte sich bis zum Jahr 2060 vervielfachen. Dieses Szenario gelte sogar für den Fall einer aktiven Bekämpfung des weltweiten Missmanagements in der Abfallwirtschaft, berichten französische Forscher im Fachmagazin "Science Advances". In der Studie simulierte die Gruppe um Jeroen Sonke von der Forschungseinrichtung Géosciences Environnement in Toulouse die Entwicklung der globalen Kunststoffkreisläufe im Zeitraum 1950 bis 2100.
Demnach könnte 2045 der Höchststand jener Plastikmenge erreicht sein, die jährlich ins Meer gelangt: mit insgesamt 23 Millionen Tonnen. Auch die Konzentrationen von Mikroplastik dürften demnach deutlich zunehmen – vor allem, weil sich die grösseren Kunststoffe mit der Zeit zersetzen.
Studie unterscheidet drei Grössenkategorien von Kunststoffen
Ausgangspunkt für die Berechnungen der Forscher war eine 2022 erschienene Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für Kunststoffe. Darin untersuchte das OECD-Team die Entwicklung der Kunststoffabfälle für verschiedene Szenarien – von "weiter wie bisher" bis zu "weltweiten ambitionierten Massnahmen".
"Die politischen Instrumente aller vier Szenarien basieren auf der Besteuerung von Kunststoffprodukten, verstärktem Recycling und höherer Haltbarkeit, dem Ausbau von Deponien, einer stärkeren Herstellerverantwortung und finanzieller Unterstützung für Entwicklungsländer", schreiben Sonke und Kollegen dazu.
Für ihre neuen Berechnungen unterschieden sie drei Grössenkategorien von Kunststoffen:
- Makroplastik (grösser als 5 Millimeter)
- Grosses Mikroplastik (0,3 bis 5 Millimeter) und
- Kleines Mikroplastik (kleiner als 0,3 Millimeter).
Berechnungen beruhen auf Messungen und Schätzungen
Die ermittelten Werte des Teams um Sonke sind zum Teil erheblich höher als in der OECD-Studie. So geht die OECD-Studie für das Jahr 2019 etwa von 1,7 Millionen Tonnen Makroplastik aus, die jährlich ins Meer gelangen. Sonke und Kollegen kommen sogar auf 6,1 Millionen Tonnen. Das grosse und kleine Mikroplastik hinzugerechnet, sind es sogar 16 Millionen Tonnen Kunststoff, die derzeit jedes Jahr ins Meer gelangen.

Den Unterschied zu den OECD-Daten begründen die Forscher damit, dass sie von Messungen und Schätzungen der Mengen an Kunststoff in den Meeren ausgegangen sind. Die OECD dagegen habe ihre Werte aus Bevölkerungsdichte, Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und länderspezifischen Statistiken zum kommunalen Abfallaufkommen abgeleitet.
Insgesamt steigt der aktuellen Studie zufolge die Gesamtmenge der Kunststoffe in den Meeren von 263 Millionen Tonnen im Jahr 2015 auf 1.200 Millionen Tonnen im Jahr 2060. Diese Menge gilt der Studie zufolge für das Szenario mit ambitionierten politischen Gegenmassnahmen. Bei den anderen Szenarien liegen die Werte sogar noch höher.
In den Meeren vorhandener Kunststoff zersetzt sich allmählich
Die Menge an kleinem Mikroplastik in der obersten Wasserschicht der Meere – bis in 50 Meter Tiefe – wird demnach pro Liter im günstigsten Fall von 2015 bis 2060 von 6,2 Nanogramm – also Millionstel Milligramm – auf 19 Nanogramm steigen, im ungünstigsten Fall sogar auf 27 Nanogramm. In der Atmosphäre wird sich der Anteil von diesem kleinen Mikroplastik in dem Zeitraum pro Kubikmeter Luft von 23 Nanogramm auf 74 bis 100 Nanogramm erhöhen.
Selbst wenn ab 2060 kein Kunststoff mehr durch Abfallmissmanagement ins Meer gelangen sollte, werde die Menge an Mikroplastik dennoch weiter steigen, betont die Forschungsgruppe. Denn der in den Meeren vorhandene Kunststoff wird sich weiter zerkleinern – mit einer Rate von etwa drei Prozent pro Jahr.
Wie sich die Situation in den Ozeanen weiter entwickelt, hängt dem Team zufolge nicht zuletzt von der Lagerung der Plastikabfälle ab – insbesondere in Küstenregionen. "Schätzungen zufolge gibt es weltweit 100.000 Deponien in Küstennähe in tiefliegenden Gebieten, die häufig nicht abgedichtet sind und der Gefahr der Erosion ausgesetzt sind", schreiben die Studienautoren. Dadurch gelangten Kunststoffe in die Meeresumwelt. Die Erholung der Ökosysteme hänge auch von der Effizienz solcher Deponien ab, Kunststoff- und Mikroplastikabfälle zurückzuhalten. © Deutsche Presse-Agentur