Hauskatzen sind nicht nur süss und kuschelig, sondern vor allem auch kleine Raubtiere. Nach Ansicht zweier Juristen aus den Niederlanden gefährden sie daher die Artenvielfalt. Ein "Ausgehverbot" soll helfen. Tierschützer sehen das kritisch.

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Allein in Deutschland leben einer Schätzung des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) zufolge etwa 15 Millionen Katzen. Ein kleiner Teil von ihnen - ein bis zwei Millionen ist verwildert. Ähnlich verhält es sich in Österreich und der Schweiz: Hier leben jeweils rund 1,5 Millionen Katzen.

Nach Ansicht niederländischer Juristen sollten alle Katzen im wörtlichen Sinne nur noch als Stubentiger gehalten werden und nicht mehr umherstreunen dürfen.

Denn die Tiere gefährdeten die Artenvielfalt insbesondere von Vögeln, begründen Arie Trouwborst und Han Somsen von der Universität Tilburg ihren Vorstoss. Rechtliche Handhabe für ein solches Verbot bieten demnach Richtlinien der Europäischen Union.

Nabu: "Das Katzenproblem muss man ernst nehmen"

Der Naturschutzbund Deutschland bewertet die Forderung skeptisch. "Das Katzenproblem muss man ernst nehmen", sagt Nabu-Vogelexperte Lars Lachmann. Ein Ausgehverbot könne bei der Gefährdung lokaler Populationen mancherorts durchaus sinnvoll sein. Flächendeckend sei eine solche Massnahme rechtlich aber nicht begründbar.

Die österreichische Tierschutzorganisation Pfotenhilfe bekommt seit dem Bekanntwerden der Forderung aus den Niederlanden zahlreiche Anrufe besorgter Katzenhalter und verweist auf die Unmöglichkeit der praktischen Umsetzung eines solchen Verbots. Dazu fehlten etwa die Kontrollressourcen, wie die Organisation in einer Pressemitteilung schreibt.

"Den vielen scheuen, verwilderten Katzen, die meist aus unkastrierten Bauernhofpopulationen stammen und keinem Halter zuzuordnen sind, kann man ohnehin nichts verbieten", spricht die Geschäftsführerin der Pfotenhilfe, Johanna Stadler, gar von einem "wirklich schlechten Scherz". Katzen seien extrem neugierige, freiheitsliebende Tiere, denen man ihren ureigensten Jagdtrieb in der Praxis gar nicht verbieten könne: "Das ist absurd."

Trouwborst und Somsen argumentierten in ihrem kürzlich im "Journal of Environmental Law" veröffentlichten Beitrag, Katzen seien eine invasive Art, die vor Jahrtausenden von Vorderasien nach Europa gebracht wurde.

Inzwischen zählten sie global zu den am weitesten verbreiteten Räubern und richteten riesige Schäden an. Dies liege auch daran, dass die Tiere sehr zahlreich seien und eine wesentlich höhere Populationsdichte aufwiesen als Fleischfresser ähnlicher Grösse.

Hauskatzen in Deutschland töten jährlich bis zu 100 Millionen Vögel

"Weltweit waren Hauskatzen an der Ausrottung von mindestens zwei Reptilienarten, 21 Säugetierarten und 40 Vogelarten beteiligt - das heisst an 26 Prozent aller bekannten derzeitigen Ausrottungen in diesen Tiergruppen", schreiben Trouwborst und Somsen. "Derzeit stellen Hauskatzen eine Gefahr für mindestens 367 bedrohte Arten dar."

Mit Zahlen aus den USA unterstreicht das Duo die Grössenordnung. Dort töten Katzen demnach jährlich geschätzt knapp 100 bis 300 Millionen Amphibien, rund 260 bis 820 Millionen Reptilien, 1,3 bis 4 Milliarden Vögel und 6,3 bis 22,3 Milliarden Säugetiere.

Nabu-Experte Lachmann schätzt, dass Katzen in Deutschland pro Jahr 25 bis 100 Millionen Vögel - bei einem Gesamtbestand von 500 Millionen - erlegen. "Das ist schon eine grosse Zahl."

Für die Pfotenhilfe soll die Katze allerdings zum Sündenbock gemacht werden. Das eigentliche Problem der Wildtiere würden Trouwborst und Somsen nicht erkennen oder gar bewusst verschweigen: die intensive Bewirtschaftung der Lebensräume.

Feldhasenbabys etwa, zählte Stadler auf, würden "mit Gülle zugeschüttet". Dazu kämen "Monokulturen und Gift, sogar in den extrem übergepflegten Hausgärten". Damit würden Nahrungsgrundlage und Lebensräume der Vögel und anderer Wildtiere zerstört.

Katzen an die Leine - oder ins Gehege

Trouwborst und Somsen verweisen jedoch nicht nur Katzen als Jäger. Schon die pure Gegenwart einer Katze verschrecke Vögel und gefährde den Bruterfolg etwa von Amseln und Rauchschwalben. Die Folgen seien für die Bestände ähnlich gravierend wie die Jagd selbst, so die Autoren.

Ihr Vorschlag daher: Streunende und verwilderte Katzen sollten aus der Landschaft nach Möglichkeit entfernt werden, Besitzer sollten ihre Tiere nicht mehr nach draussen lassen - es sei denn, angeleint oder in Gehegen.

Die juristische Grundlage für ein derart radikales Vorgehen liefern die Forscher mit - etwa die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU, Artikel 6 sowie 22b, demzufolge eingeführte Arten die heimische Fauna nicht gefährden dürfen.

Zusätzlich biete die Vogelschutz-Richtlinie, Artikel 2 und 5, eine Handhabe: Insbesondere Artikel 5 fordert ein Verbot des absichtlichen Störens, Tötens oder Fangens von Vögeln.

Dass Katzen einzelne Individuen geschützter Tierarten töten, ist für Lachmann allerdings keine Grundlage für ein generelles "Ausgehverbot". Dann müsse man auch gegen alle Fensterscheiben in Gebäuden vorgehen - dadurch kommen laut Nabu in Deutschland jährlich rund 100 Millionen Vögel ums Leben. Wenn Katzen aber lokal Bestände geschützter Arten bedrohten, befürworte der Nabu auch strenge Massnahmen.

Die Pfotenhilfe schlägt indes eine Kastrationspflicht vor, die bisher in Deutschland, den Niederlanden oder anderen europäischen Ländern nicht existiert. (hau/dpa)

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