Anfangs schlugen nur besorgte Meeresforscher Alarm, aber inzwischen kann es auch kaum ein Strandurlauber mehr übersehen: Das Plastikmüllproblem in unseren Ozeanen wird immer grösser. Das hat dramatische Folgen.
"Bei uns an den Küsten sieht es noch relativ übersichtlich aus, weil wir Strandreinigung betreiben", sagt der Biologe Dr. Lars Gutow vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). "Aber wenn Sie in andere Länder gehen, die einfach nicht die finanziellen Mittel dafür haben, sieht das an den Stränden schon ganz anders aus."
Vielerorts hinterlässt die Flut einen bunt gesprenkelten Streifen aus Sand, Plastik und Treibgut, wenn sich das Meer bei Ebbe zurückzieht.
80 Prozent des Mülls kommt von Land
Mit Plastik bezeichnet man ganz allgemein Kunststoffe aus der Polymerchemie. Sie haben ihren Siegeszug um die Welt angetreten, weil sie nahezu ewig haltbar sind und sich spottbillig herstellen lassen.
Ein Teil des Plastiks stammt aus dem Schiffsverkehr und der Fischerei, aber das macht nicht den Löwenanteil aus: "Derzeit sieht es eigentlich so aus, dass 80 Prozent des Mülls, den wir im Meer finden, von Landseite kommt", so Lars Gutow.
Und das sind nicht nur Küstenanwohner, sondern der Müll wird auch weit aus dem Landesinneren über Flüsse ins Meer getragen.
Natürlich könnte man sagen: Der Grossteil der Plastikteile in den Meeren gelangt aus Ländern mit schlechter Müllentsorgung ins Meer. Dazu zählen Lände rin Europa meist nicht, also müssen wir uns nicht verantwortlich fühlen.
Doch wo werden die Kunststoffe hergestellt? "Es macht keinen Sinn auf andere Staaten zu zeigen. Ich denke, dass der Grossteil des Kunststoffs aus der hochentwickelten, westlichen Welt kommt", erklärt Gutow.
Plastik mit dramatischen Folgen
Und selbst wenn bei uns nur ein winziger Bruchteil des Mülls ins Meer gelangt, hat das dramatische Folgen: Die meisten Kunststoffe verrotten langsam, so dass wir uns noch hunderte Jahre an dem bereits vorhandenen Müll "erfreuen" können.
Herumtreibende Geisternetze fangen weiter, Kleinstmüll lässt Meeresbewohner und -vögel qualvoll verenden, Tüten sinken auf den Meeresboden und lassen dort das Leben förmlich ersticken.
Eigentlich werden solche Kunststoffe grossindustriell erst seit etwa 60 Jahren produziert. "Und wenn man sich das vor Augen führt, ist es eigentlich unfassbar, dass wir das mittlerweile überall im Ozean finden – nicht nur in den gemässigten Breiten oder in den Tropen, wo viele Menschen leben, sondern auch weit draussen auf dem Ozean, in der Tiefsee und in den Polargebieten", so der Biologe.
Plastik abfischen als Lösung?
Doch was lässt sich dagegen tun? Einfach abfischen mit Netzen? "Ich würde das verneinen", sagt die Biologin Dr. Melanie Bergmann vom AWI. "Wer Plastik rausfischt, fischt auch andere Lebewesen mit aus dem Meer."
Das könnte sogar schlimmere Folgen haben als das Plastik selbst. Durch das Abfischen würde sich das natürliche Gleichgewicht immer mehr zu kleineren Lebewesen hin verschieben – bis die gesamte Nahrungskette ge- bzw. zerstört wäre.
Auch für die Ernährung der Menschen hätte das schlimme Folgen. Natürlich könnte man kleinräumig Müll an den Stränden wegsammeln.
Aber darin und in den in vielen Medien gehypten Abfisch-Techniken sehen die Meeresforscher wenig Sinn. "Man muss sich dabei Mengen des Mülls in den Ozeanen vor Augen halten, und dann wird eigentlich klar, dass wir mit unseren Mitteln derzeit an diesem globalen Problem substanziell nichts ändern können, ohne dem Meer Schaden zuzufügen", sagt Gutow.
Industrieländer verschmutzen ebenfalls
Mikroplastik ist ein weiteres Stichwort. So heissen alle winzigen Plastikteilchen im Mikrometer- und Nanometerbereich.
Und hier tragen Industrieländer einen grossen Anteil an der Verschmutzung. Mikroplastik stammt nämlich nicht nur aus in winzige Teile zermahlenen Plastiktüten und -flaschen.
Mikroplastik findet sich auch in meist preisgünstigen Shampoos, Peelings, Zahnpasten, weil die winzigen Teilchen eine zusätzliche Reinigungswirkung erzielen sollen und meist weniger teuer sind als Naturstoffe.
Auch aus unserer Wäsche kommen solche kleinsten Plastikteile. "Es gibt eine Studie, die zeigt, dass um die tausend Fasern je Waschgang freigesetzt werden", erklärt Melanie Bergmann.
Vieles davon könne von den Kläranlagen nicht herausgefiltert werden. Mikroplastik sei längst kein marines Problem mehr. Es wird nicht nur in Klärschlamm gefunden, auch in Flüssen und sogar in Honig und im Trinkwasser konnte es schon nachgewiesen werden.
Kunststoff schädlich für Menschen?
Je kleiner die Partikel werden, desto tiefer können sie bis in den Zellen des Körpers eindringen. Natürlich könnte man sagen, bisher sind keine flächendeckenden, gravierenden Schäden nachgewiesen, also weiter wie bisher.
"Das Problem ist, wir haben hier eine Veränderung der Umwelt, die vom Menschen in grosser Geschwindigkeit vorgenommen wurde, und wir wissen nicht genau, was das Plastik macht. Und deshalb müssen wir eigentlich aus Vorsorge erstmal versuchen, das Ganze einzudämmen, bevor wir Entwarnung geben können", erklärt Gutow.
Plastik gehöre einfach nicht in die Umwelt, nicht in die Tiefsee und nicht ins Meereis in der Arktis.
Hinzu kommt, dass einige Kunststoffe eine schädliche Wirkung auf Menschen haben können, manche haben etwa eine hormonartige Wirkung oder können das Entstehen von Krebs begünstigen.
Sorgloser Umgang ist Problem
Einigen Kunststoffen wurden gesundheitsschädliche Weichmacher oder Flammschutzmittel hinzugefügt. Die Zunahme des Plastiks im Meer bedroht also nicht nur Meerestiere, sondern auch uns Menschen.
"Die einzige Möglichkeit, dass wir das Problem langfristig in den Griff bekommen, ist, dass wir den Plastikeintrag substanziell minimieren oder stoppen", sagt der Biologe.
Er verteufelt nicht grundsätzlich die Nutzung von Kunststoffen, die schliesslich für uns alle eine wichtige Rolle spielen, aber den sorglosen Umgang damit.
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