Im Himalaya-Gebirge liegt der Roopkund-See, der von den Einheimischen auch Skelett-See genannt wird. Auf seinem Grund liegen die Gebeine Hunderter Menschen. Forscher haben die Skelette untersucht und sind zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen. Ergebnissen, die alle bisherigen Annahmen widerlegen.
Der Roopkund-See liegt 5.000 Meter über dem Meeresspiegel im indischen Himalaya-Gebirge und wird von den Einheimischen auch Skelett-See genannt. Hier liegen die Knochen Hunderter Toter. Woher diese stammen, wurde bisher nicht aufgeklärt. Zunächst wurde vermutet, dass der Grund für den bislang rätselhaften Tod der Menschen eine Naturkatastrophe sein könnte.
In der Volkskunde wird hingegen die Geschichte einer Pilgerreise erzählt. Eine Königin und ein König sollen einst mit ihrem Gefolge zum nahe gelegenen Schrein der Berggöttin Nanda Devi gepilgert sein.
Da die Pilger sich nicht angemessen verhalten haben, sind sie vom Zorn der Berggöttin getroffen worden. Andere sehen die vielen Gebeine als Überreste einer Armee oder einer Gruppe von Händlern, die zeitgleich in einem schweren Sturm umgekommen sind.
Zwischen den Todesfällen liegt ein Jahrtausend
Nun haben Wissenschaftler allerdings neue Erkenntnisse über ihre Herkunft gewonnen. Die Knochen in dem See sind unterschiedlich alt und die Menschen hatten auch nicht die gleiche Herkunft. Ihre Erkenntnisse hat das internationale Forscherteam im Fachmagazin "Nature Communications" veröffentlicht.
Die Wissenschaftler untersuchten zahlreiche Knochen mit bio-archäologischen Methoden. Sie analysierten das Erbgut von 38 Individuen, um etwas über die Herkunft der Toten zu erfahren, und bestimmten das Alter der Überreste.
Die Auswertung zeigte, dass die Menschen zu drei genetisch verschiedenen Gruppen gehörten und zu unterschiedlichen Zeitpunkten an den See gekommen waren. 23 von ihnen wiesen eine genetische Verwandtschaft mit Menschen aus Südasien auf. Sie waren zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert am See gestorben.
Das Erbgut von 14 weiteren Menschen liess auf eine Herkunft im östlichen Mittelmeerraum schliessen. Sie selbst oder ihre Vorfahren könnten aus der Region um die griechische Insel Kreta stammen, berichteten die Forscher. Sie trafen 1.000 Jahre nach den Südasiaten ein - zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert. Das Erbgut eines weiteren Menschen zeigte südostasiatische Ursprünge. Er starb ebenfalls in diesem Zeitraum.
Einige könnten Pilger gewesen sein
"Die Genetik der Skelette überraschte uns sehr. Dass hier Individuen aus dem Mittelmeerraum gefunden wurden, lässt vermuten, dass der Roopkund-See nicht nur von lokalem Interesse war, sondern dass Menschen aus der ganzen Welt hierherkamen", sagte Éadaoin Harney von der Harvard University in Cambridge (USA).
Und David Reich von der Harvard Medical School in Boston ergänzte: "Es stellt sich unweigerlich die Frage, wie Migranten aus dem östlichen Mittelmeerraum, mit einem sehr untypischen Abstammungsprofil für diese Region, hierhergelangten und an diesem Ort verstarben."
Die Forscher vermuten, dass zumindest einige Menschen der ersten Gruppe als Pilger an den See gekommen und möglicherweise gemeinsam gestorben sind. Heute werde in der Region alle zwölf Jahre eine Pilgerreise unternommen, bei der sich die Pilger entlang der Strecke zum Beten und Feiern versammeln.
Beschreibungen des Rituals seien aus dem späten 19. Jahrhundert bekannt, Inschriften in nahe gelegenen Tempeln aus dem 8. und 10. Jahrhundert legen aber einen älteren Ursprung nahe. Dass alle Individuen dieser Gruppe gleichzeitig starben, schliessen die Forscher aus, da das Alter der Knochen zum Teil zu weit auseinander liege.
In Archiven könnte Antwort zu finden sein
Die zweite Gruppe gebe noch mehr Rätsel auf: Dass sie ebenfalls als Pilger an den See kamen, wäre eine Überraschung, schreiben die Wissenschaftler. Hindu-Praktiken seien im östlichen Mittelmeerraum nicht verbreitet gewesen.
Da die Angehörigen der zweiten und dritten Gruppe erst um 1800 herum gestorben seien, könne ein möglicher Weg zur Lösung des Rätsels darin bestehen, Archive nach Berichten über ausländische Reisegruppen zu durchforsten, die in der Region in den vergangenen Jahrhunderten gestorben sind. (ff)
Verwendete Quellen:
- Nature Communications: "Ancient DNA from the skeletons of Roopkund Lake reveals Mediterranean migrants in India"
- dpa
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