Die Nordsee nagt insbesondere an der Westküste von Sylt und lässt so die Insel schrumpfen. Dagegen helfen Sandaufspülungen. Jahr für Jahr sorgen sie dafür, dass die Substanz der Insel erhalten bleibt.
Langgezogen wie eine Nadel liegt die Insel Sylt in der Nordsee. An ihr nagen die Gezeiten: Jedes Jahr trägt die Nordsee durch Sturmfluten und Brandung bis zu vier Meter Strand an der Westseite der Insel ab. Sylt verliert dadurch in jedem Jahr rund eine Million Kubikmeter Sand.
"Die Insel liegt sehr exponiert", sagt Arfst Hinrichsen, Diplom-Geophysiker beim Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein. Es fehlt eine natürliche Barriere gegen die Nordsee, wie zum Beispiel Sandbänke sie bieten würden: Der Meeresboden vor der Insel ist sehr tief, erst kurz vor Sylt steigt er steil an. Das führt dazu, dass die Wellen nicht vor der Küste brechen, sondern mit voller Wucht auf die Strände treffen und loses Material mit sich reissen.
Früher galt Sandflug als das grösste Problem auf Sylt
"Wenn wir keine Gegenmassnahmen ergreifen würden, würde Sylt immer mehr schrumpfen", sagt der Experte. Die Bemühungen, die Küste auf Sylt zu schützen, reichen weit zurück. "Im 17. Jahrhundert war das Problem der Inselbewohner vor allem, dass die Dünen immer weiter nach Osten wanderten und Flugsand sich als Staub über die gesamte Insel legte", sagt Hinrichsen.
Der Sand wehte unter anderem auf die Dächer aus Stroh und Schilf. Wurde er feucht, brachen die Dächer nicht selten unter dem Gewicht zusammen oder wurden beim nächsten Sturm auseinandergerissen. Deshalb gingen die Bewohner damals dazu über, die Dünen mit Strandhafer zu bepflanzen, um sie zu befestigen.
Das verhinderte aber vor allem, dass die Dünen über die Insel wanderten. Das Material, das abbrach, ging oftmals im Meer verloren. Das zehrte an der Substanz der Insel.
Buhnen verhinderten auch, dass Sand zur Insel gespült wurde
Seit 1870 gibt es Aufzeichnungen zum Rückgang der Küste auf Sylt. Durchschnittlich verlor die Insel bis 1951 im Jahr etwa 0,4 Meter im Norden und 0,7 Meter im Süden. Ab 1951 schrumpfte Sylt schneller: im Schnitt 0,9 Meter im Norden und 1,4 Meter pro Jahr im Süden.
Um die Küste zu schützen, wurden bereits ab 1867 rechtwinklig zur Küste sogenannte Buhnen aufgestellt, dammartige Küstenvorbauten aus Pfählen oder Steinen. Zunächst waren sie aus Holz, später dann auch aus Metall und Stahl. Danach folgten sogenannte Tetrapoden aus Beton. "Beide Massnahmen konnten den Rückgang der Küsten nicht aufhalten", sagt Hinrichsen. "Sie haben nicht nur Strömungen abgehalten, die Sand abtragen, sondern auch die Strömungen abgelenkt, die Sand zur Küste gespült hätten."
Deshalb werden die Buhnen und Tetrapoden überwiegend wieder rückgebaut. Hinzu kommt, dass sie eine Gefahr für Schwimmer darstellen, da sie die Strömungen auf gefährliche Weise verändern können.
Sandaufspülungen sind bislang das wirksamste Mittel auf Sylt
"Als einzig wirksames Mittel gegen die Erosion haben sich bislang die Sandaufspülungen erwiesen", sagt Hinrichsen. Sie finden seit 1972 an der Westküste von Sylt statt. 2020 begannen die Sandaufspülungen am 15. April. Westerland und Dikjendeel erhalten in diesem Jahr laut der Gemeinde Sylt jeweils 200.000 und der Strand Sansibar 380.000 Kubikmeter Sand.
Etwa acht Kilometer vor der Küste der Insel saugt ein Spülschiff, das auch als Hopperbagger bezeichnet wird, Sand an Bord. Danach fährt das Schiff in die Nähe der Küste und pumpt das Sand-Wasser-Gemisch an den jeweiligen Strand, wo Planierraupen es verteilen.
Das Schiff fährt dazu insgesamt rund sechs Monate lang rund um die Uhr hin und her, um etwa sechs Mal am Tag Sand an die Strände zu spülen. Von 1972 bis 2018 wurden so laut der Gemeinde Sylt rund 50,7 Millionen Kubikmeter Sand aufgespült.
Aktuell ist die Insel durch die Massnahmen stabil
Das kostet natürlich Geld. "Die Kosten für die Massnahmen tragen wir letztlich alle", sagt der Experte. Seit der Sturmflut von 1962, die in Hamburg zu erheblichen Überflutungen geführt hatte, wird der Küstenschutz als eine Gemeinschaftsaufgabe des Bundes und der Länder angesehen. Auch die EU beteiligt sich an den Kosten.
"Aktuell ist Sylt dadurch stabil", sagt Hinrichsen. "Es wird immer so viel Sand aufgespült, dass die Insel einen Winter lang schrumpfen kann, ohne grundsätzlich an Substanz zu verlieren." Solange diese Massnahmen laufen, behält die Insel ihre Gestalt.
Weitere Massnahmen zum Küstenschutz auf der Insel sind aktuell nicht geplant. "Die Sandaufspülungen funktionieren bislang sehr gut", sagt der Experte. "Wir führen ein intensives Monitoring durch und messen und beobachten die Entwicklungen sehr genau."
Im Moment sind die Spülungen das Mittel der Wahl. "Was zukünftige Generationen sich einmal für den Schutz der Insel überlegen, weiss ich natürlich nicht", sagt Hinrichsen. "Vielleicht gibt es da Ideen, die noch viel besser funktionieren, die heute für uns aber noch gar nicht denkbar sind."
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Arfst Hinrichsen vom Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein (LKNSH)
- Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein: Aktuelles zum Küstenschutz Sylt
- Stiftung Küstenschutz Sylt: Küstenschutz Fakten
- Landesregierung Schleswig-Holstein: Sylts Küsten sichern
- Sylt Marketing GmbH: Natürlich Sylt. Gute Buhnen, schlechte Buhnen
- Gemeinde Sylt: Sandvorspülungen 2020 stehen in den Startlöchern
- Forschungszentrum für marine Geowissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel: Klimaänderung und Küste – Fallstudie Sylt
- Achim Daschkeit, Horst Sterr: Klimawandel und Küstenschutz: Hat Sylt eine Zukunft? In: Bernhard Glaeser (Hrsg.): Küste, Ökologie und Mensch – Integriertes Küstenmanagement als Instrument nachhaltiger Entwicklung.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.