• In New York einigen sich mehr als 160 Staaten nach fünfjährigen Verhandlungen erstmals auf globale Naturschutzregeln für internationale Gewässer.
  • Das Ziel sind Meeresschutzgebiete, weniger Plastikverschmutzung und eine nachhaltige Nutzung genetischer Ressourcen.

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Nach langwierigen Verhandlungen schlägt die Staatengemeinschaft ein neues Kapitel im Umgang mit den Weltmeeren auf. In New York gelang es Vertreterinnen und Vertretern von 164 Staaten, erstmals international gültige Regeln zum Schutz von Natur und Biodiversität in der sogenannten Hohen See zu schaffen. Die Staatenvertreter beschlossen in der Nacht zum Sonntag (Ortszeit) ein Abkommen über den gemeinsamen Umgang mit Arten und Lebensräumen im Ozean jenseits nationaler Einflusszonen. "Das Schiff hat das Ufer erreicht", sagte die aus Singapur stammende Versammlungspräsidentin Rena Lee. Details der Einigung stehen noch aus.

Die sogenannte Hohe See, für die das Abkommen gelten soll, erstreckt sich über rund 40 Prozent der Erdoberfläche und 60 Prozent des Ozeans. Sie beginnt in der Regel ab einer Entfernung von 200 Seemeilen (370,4 Kilometern) abseits der Küsten und umfasst auch einige der tiefsten Meeresgebiete. Räumlich betrachtet umfasst die Hohe See deshalb über 95 Prozent der belebten Natur.

Das neue Regelwerk ist Teil des UN-Seerechtsübereinkommens und regelt künftig,

  • wie internationale Meeresschutzgebiete geschaffen und betreut werden.
  • wie vor geplanten menschlichen Eingriffen in die Hohe See mögliche Umweltfolgen rechtzeitig geprüft und vermieden werden.
  • wer genetische Informationen von Tieren und Pflanzen aus der Hohen See nutzen und wer an ihnen verdienen darf.
  • wie ärmere Länder dabei unterstützt werden, marine Biodiversität zu schützen und nachhaltig zu nutzen.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) begrüsste die Einigung von New York als "historischen und überwältigenden Erfolg für den internationalen Meeresschutz". "Damit können wir auch an den erfolgreichen Weltnaturgipfel von Montreal anknüpfen, auf dem das Ziel beschlossen wurde, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen", erklärte Lemke.

Der Meeresbeauftragte der Bundesregierung, Sebastian Unger, forderte, das neue Abkommen müsse nun schnell umgesetzt werden. "Wir brauchen die Ozeane als Verbündete zur Bekämpfung der Klima- und Biodiversitätskrisen", erklärte Unger.

Alles andere als unerschöpflich

Auch die Umweltorganisation WWF begrüsste das neue Abkommen und sprach von einem "Tag zum Jubeln". "Die Staatengemeinschaft hat erhebliche Meinungsverschiedenheiten zugunsten der Natur überwunden", sagte die Meeresexpertin des WWF Deutschland, Karoline Schacht. Der grösste Lebensraum der Erde könne mit diesem Abkommen besser geschützt werden.

Allerdings werden Details des Abschlussdokuments erst nach einer redaktionellen Überarbeitung des Textes veröffentlicht, teilte Konferenzpräsidentin Lee mit. Dann werde der Gesamttext formal verabschiedet. In einer entscheidenden Frage sieht Stefan Hain, Leiter der Stabsstelle Umweltpolitik des Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven, einen Durchbruch: Einzelne Staaten könnten internationale Meeresschutzgebiete nicht mit einem Veto verhindern.

Der Ozean ist Heimat von vielen Millionen Lebensformen, von mikroskopisch kleinen Algen bis zu den bis zu 30 Meter langen Blauwalen. Er beheimatet eine Vielzahl verschiedener Lebensräume, etwa Korallenriffe oder die Dunkelzonen der Tiefsee, deren Organismen jeweils an die oftmals extremen Lebensbedingungen angepasst sind. Das Meer ist für Menschen in vieler Hinsicht überlebenswichtig – von Fisch als wichtiger, proteinreicher Nahrungsquelle über den Transport von Waren bis zur stabilisierenden Rolle des gigantischen Wasserkörpers für das Weltklima.

Der Handlungsbedarf beim Schutz des Ozeans ist gross. Zwar erscheint das Meer noch immer vielen Menschen als unverwüstlich und seine Ressourcen als unerschöpflich. Doch warnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon seit längerem vor wachsenden Risiken durch zu intensive Fischerei, Versauerung und Erhitzung durch menschliche Kohlendioxid-Emissionen sowie durch Verschmutzung etwa mit Plastikmüll und mit Rückständen aus der industriellen Landwirtschaft.

Bisher nur acht Prozent Meeresschutzgebiete

Zugleich nimmt der Nutzungsdruck zu. Vor allem in Asien gibt es eine wachsende Zahl von internationalen Konflikten um die Fischerei. Weitgehend ungeregelt haben internationale Unternehmen Genproben aus dem Ozean entnommen, um sie wirtschaftlich zu nutzen. Nachdem die Vereinten Nationen die Hohe See 1970 zum "gemeinsamen Erbe der Menschheit" erklärt hatten, stellt sich die Frage, wer am Ende von Profiten aus solchen genetischen Informationen profitieren darf. Hinzu kommen Pläne, in der Tiefsee Bergbau zu betreiben, um den Hunger der Industrienationen nach metallischen Rohstoffen zu decken.

Derzeit bedecken Schutzgebiete nur rund acht Prozent der Gesamtfläche des Ozeans. Die meisten von ihnen befinden sich in national kontrollierten Gewässern.

Vor diesem Hintergrund bekommt die Vereinbarung der Staatengemeinschaft von Ende 2022, bis zum Jahr 2030 nicht nur an Land, sondern auch auf dem Meer 30 Prozent der Fläche mit Schutzgebieten vor übermässiger Ausbeutung zu schützen, besondere Bedeutung. Das in New York vereinbarte Abkommen schafft dafür nun ein wichtiges Instrument. Wie beim Klima- und beim Biodiversitätsabkommen werden, sobald sechzig Staaten das neuartige Hohe-See-Abkommen unterzeichnet haben und es in Kraft treten kann, regelmässige Vertragsstaatenkonferenzen ("COPs") stattfinden, um Fortschritte zu überprüfen und neue Ziele zu formulieren.

Serie von Initiativen für den Meeresschutz

Parallel zur Tagung in New York gab es für den internationalen Meeresschutz auch bei der sogenannten "Our Ocean"-Konferenz in Panama Erfolge. Das vom früheren US-Aussenminister und heutigen US-Klimaschutzbeauftragten John Kerry geschaffene Format hat das Ziel, freiwillige Beiträge von Staaten zum Meeresschutz zu mobilisieren.

Bei der diesjährigen Konferenz gab es Zusagen in Höhe von rund 18 Milliarden Euro, von denen nach jeweils eigenen Angaben die USA knapp sechs Milliarden Euro, die EU 816 Millionen Euro und die Bundesregierung 300 Millionen Euro beigesteuert haben. Die panamaische Aussenministerin Janaina Tewaney gab zum Abschluss bekannt, dass auf dieser Konferenz "341 neue Verpflichtungen" im Volumen von rund 20 Milliarden US-Dollar eingegangen worden seien.

2022 hatten die Vereinten Nationen bereits mit dem Beschluss, ein Abkommen gegen die Plastikverschmutzung der Meere zu schaffen, und mit dem Weltnaturabkommen von Montreal wichtige Erfolge erzielt. Zudem hat die Vollversammlung der Welthandelsorganisation (WTO) beschlossen, schädliche Fischereisubventionen schrittweise abzubauen.

Allerdings leiden solche Vereinbarungen oft an mangelnder Umsetzung. Grosse Schwierigkeiten haben die Staaten trotz vieler Bemühungen etwa mit einem erfolgreichen Kampf gegen die illegale Fischerei, einer Form organisierter Kriminalität.

In allen diesen Fragen kommt dem Schutz der Hohen See eine zentrale Bedeutung zu. Bis zu einem Abstand von rund 370 Kilometern von einer Bezugslinie entlang der Küste setzen die jeweiligen Anrainerländer oder Inselstaaten eigene Regeln, was auf und im Meer erlaubt ist oder nicht. Das gilt auch bei den sogenannten überseeischen Gebieten aus der Kolonialzeit, zu denen etwa die zu Grossbritannien gehörenden Falkland-Inseln im Südatlantik oder die französische Insel Neukaledonien im Pazifik gehören.

Abschied von der "freien See"

Das 1982 beschlossene UN-Seerechtsübereinkommen – im Englischen abgekürzt als "Unclos" – schuf erstmals umfassende Regeln für die Hohe See. Bis dahin war noch der aus dem Jahr 1609 stammende Grundsatz der "Freien See" (mare liberum) des niederländischen Juristen und Philosophen Hugo Grotius prägend. Ihm zufolge steht die Hohe See allen Staaten zur freien und unbegrenzten Nutzung zur Verfügung. Grotius wehrte damals Bestrebungen Portugals ab, den Handel in Richtung Asien zu kontrollieren, sein Grundsatz wurde aber prägend für das Seerecht.

Nachdem 1902 ein erstes internationales Abkommen über die gemeinsame Erforschung der Meere und 1946 die Internationale Walfangkommission geschaffen worden waren, ebnete ab 1958 die Genfer Seerechtskonvention den Weg zu einem umfassenden Regelwerk.

Das UN-Seerechtsübereinkommen von 1982 markierte dann den endgültigen Abschied vom mare liberum. Es schuf Regeln für Forschung, Überflüge, Fischerei, Schifffahrt sowie für unterseeische Rohrleitungen und Kabel. Bis, wie vorgeschrieben, der sechzigste Staat das Abkommen unterzeichnete und es damit in Kraft trat, dauerte es bis 1994. Anschliessend nahmen der Internationale Seegerichtshof mit Sitz in Hamburg, die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) mit Sitz in Jamaika und die Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels, die den Grenzverlauf der nationalen und internationalen Gewässer festlegt, ihre Arbeit auf.

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Wichtiger Lückenschluss

Für den Schutz der Natur und der Vielfalt von genetischen Informationen, Arten und Lebensräumen gab es bisher dagegen nur teilweise zuständige internationale Organisationen. Dazu zählen die sogenannten Regionalen Fischereiorganisationen, die entweder für bestimmte Meeresgebiete wie den Südpazifik oder für bestimmte Arten wie Thunfisch zuständig sind. Zudem gibt es als Teil des Antarktisvertrags seit 1980 die Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis sowie seit 1992 die "Ospar"-Konvention für den Schutz des Nordost-Atlantiks.

Was aber bisher gefehlt hat, war eine umfassende Einigung darüber, wie die Natur und die Ressourcen der Hohen See genutzt werden. Diese Lücke wird nun mit dem neuen Abkommen zum Schutz der Biodiversität der Hohen See geschlossen.

Als Vertreter der deutschen Meeresforschung beurteilte Stefan Hain, Leiter der Stabsstelle Umweltpolitik des Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung, das neue Abkommen positiv. "Wichtig ist vor allem, dass in vielen Bereichen des neuen Abkommens – wie zum Beispiel der Einrichtung von Schutzgebieten auf der Hohen See – zukünftig Entscheidungen mit einer Dreiviertelmehrheit getroffen werden können", betonte Hain in einer Stellungnahme für das Science Media Center.

Beschlüsse könnten also nicht durch ein oder zwei Staaten blockiert werden, was seit vielen Jahren den Fortschritt in der Ausweisung von antarktischen Meeresschutzgebieten verhindert habe, da diese einstimmig angenommen werden müssten. Der Verzicht auf Einstimmigkeit habe allerdings nur durch die Einfügung einer sogenannten Opt-out-Klausel erzielt werden können. "Das heisst, einzelne Staaten können sich vorbehalten, dass ihnen die Schutzvorschriften nicht entgegengehalten werden", erklärte Hain. So ein Opt-out müsse aber regelmässig erneuert werden und sei politisch für das jeweilige Land schwierig.

Verwendete Quellen:

  • International Institute for Sustainable Development (IISD): Coverage of Resumed 5th Session of the Intergovernmental Conference (IGC) on BBNJ
  • Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV): Historischer Durchbruch für den Schutz der Weltmeere
  • WWF: Einigung im UN-Verhandlungsmarathon zum Schutz der Hohen See: Ein Tag zum Jubeln
  • ScienceDirect: Global patterns of fisheries conflict: Forty years of data
  • Webseite der "Our Ocean"-Konferenz 2023
  • UN Environment Programme: Historic day in the campaign to beat plastic pollution: Nations commit to develop a legally binding agreement
  • Welthandelsorganisation (WTO): Fisheries subsidies deal will contribute to sustainable blue economy: DG Okonjo-Iweala
  • United Nations: Convention on the Law of the Sea
  • Umweltbundesamt: Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis
  • Webseite der OSPAR Kommission
Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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