Die Mufflons hatten keine Chance: Als der Wolf in die Region östlich von Lüneburg zurückkehrte, verschwand das Wildschaf dort fast vollständig aus den Wäldern. Zu ihrem Ende hat eine besondere Eigenart der Tiere beigetragen, die in ihrer ursprünglichen Heimat nützlich war – im flachen Niedersachsen jedoch fatal.

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Über mehr als hundert Jahre streiften Mufflons durch das abgelegene Waldgebiet von Göhrde, einer Gemeinde östlich von Lüneburg. Nun sind sie verschwunden. Für Förster und Mufflon-Experte Peter Pabel ist das keine Überraschung: "Das war zu erwarten - wenn der Wolf kommt, verschwindet das Muffelwild."

Ursache ist das merkwürdige Fluchtverhalten der Wildschafe, das die eindrucksvollen Tiere mit den schneckenförmigen Hörnern aus ihrer Heimat mitgebracht haben. Die Vorfahren der Europäischen Wildschafe stammten aus Korsika und Sardinien. Bereits 1903 wurden die ersten bei Lüneburg ausgesetzt. Sie vermehrten sich, doch nun blieb ihnen keine Zeit, sich dem seit einigen Jahren nach Deutschland zurückkehrenden Wolf anzupassen.

Schleicht sich einer der grauen Jäger an, so machen die Schafe einen kurzen schnellen Sprint – und bleiben dann stehen. In ihrer ursprünglichen Heimat, den steinigen Inseln im Mittelmeer, konnten sich die Tiere so auf Felsen und Klippen retten. So etwas gibt es im Waldgebiet von Göhrde aber nicht.

Arme Schafe – böser Wolf?

Pabel glaubt, dass die Herden bei Lüneburg die einzigen reinrassigen Exemplare des Mufflons in Deutschland gewesen sein könnten. "Diese Genressource ist jetzt verloren gegangen, das macht es so bedauerlich."

Die letzten Wildschafe habe er im Herbst 2017 gesehen. "Bis zu 300 waren es, dann kam der Wolf." Es sei alles ganz schnell gegangen: Binnen drei Jahren hatten Wölfe die Mufflon-Population ausgelöscht. Nur ganz vereinzelt würden noch Wildschafe gesichtet. Pabel hatte versucht, die Mufflons einzufangen, doch alle Versuche scheiterten. Für den Menschen waren sie zu schlau, ausserdem hat der Wolf die Schafe sehr scheu werden lassen.

Arme Schafe – böser Wolf? Der Förster sieht die Sache differenziert: "Es liegt mir fern, einen Krieg gegen den Wolf anzuzetteln", betont er ausdrücklich. "Ich bin selbst Wolfsberater und dem Tier gegenüber durchaus positiv eingestellt."

Mufflon ist nicht unumstritten

Doch auch der Mufflon ist hierzulande nicht unumstritten. Manch Förster und Waldbesitzer in Deutschland ist von den Wildschafen genervt, weil einige von ihnen die Rinde von den Bäumen "schälen". Selbst einige Naturschützer sehen die Wildschafe kritisch.

So fordert der Naturschutzbund Nabu in Nordrhein-Westfalen seit Jahren sogar, die Art komplett abzuschiessen. Der Mufflon sei als Felsinselbewohner an die weichen Böden hierzulande nicht angepasst.

"Das Muffelwild passt nicht überall hin", bestätigt auch Förster Pabel. Bei weichen Böden drohe die sogenannte Moderhinke. Das sei in Göhrde wegen der trockenen, sandigen Böden aber kein Problem gewesen, und "geschält" hätten die Tiere da auch nichts. Aber: "Der Mensch hat es hier in die Natur gebracht - da scheiden sich die Geister."

Muffelwild, wie es Jäger nennen, wurde in Europa als Jagdwild oder schmückender Zugewinn für Parks und Wälder ausgesetzt. Während in Deutschland die Population wuchs, waren die Wiederkäuer in ihrer Heimat zunehmend bedroht. "Nur die Auswilderung im kontinentalen Europa hat der Mufflon vor dem Aussterben bewahrt", heisst es beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Bayern.

Wo der Wolf heimisch wird, verschwindet der Mufflon

"Der bundesweite Bestand wurde vor einigen Jahren auf rund 8.000 geschätzt. Wir wissen aber nicht, wie viele es heute sind", sagt Sebastian Kolberg. Er ist für den Naturschutzbund Nabu auf Bundesebene für den Artenschutz zuständig. Im Westen und Süden scheint es noch sehr gut um den Mufflon-Bestand zu stehen. Dort wird bislang nur selten ein Wolf gesichtet.

Doch wie sieht es da aus, wo es schon viele Wölfe gibt? Nach der Wiedervereinigung hatten sich diese zunächst in Sachsen angesiedelt. Das erste Rudel entstand in der Lausitz - die Mufflons verschwanden dort vollkommen. Im "Wolfsland" Brandenburg sinkt die Zahl der erlegten oder überfahrenen Mufflons seit Jahren stetig.

In Niedersachsen sind nach Schätzungen der Landesjägerschaft rund 250 von bundesweit etwa 1000 Wölfen unterwegs, doch noch sind die Schafe dort nicht überall verschwunden. Ein genetisch vermutlich ähnlich gutes Vorkommen wie einst in der Göhrde lebe im Ost-Harz in Sachsen-Anhalt. Noch gibt es dort kein Wolfsrudel - doch das dürfte sich nach Einschätzung des niedersächsischen Umweltministeriums ändern. Dann haben die Wiederkäuer auch dort ein Problem.

"Sollte sich der Wolf bundesweit etablieren, so ist nicht davon auszugehen, dass die Population in Deutschland dauerhaft bestehen wird", fasst Nabu-Experte Kolberg zusammen. Dabei sei aber nicht auszuschliessen, dass bei idealen Geländebedingungen kleinere Inselvorkommen überleben werden.

"Wenn man die Mufflons erhalten will, muss man rechtzeitig etwas tun", warnt Förster Pabel nach den Erfahrungen in der Göhrde. "Der Naturschutz wird seiner Verantwortung nicht gerecht, wenn er sich nicht auch um Strategien zur Arterhaltung des Mufflons kümmert - es gilt als Stammform aller Hausschafrassen."

"Um ein vollständiges Erlöschen zu verhindern, unterstützt das Land die Bemühungen um eine Sicherung der genetischen Ressourcen des Muffelwildes in Niedersachsen", sagt eine Sprecherin des Landesumweltministeriums. Das gelte auch für Fangversuche wie in der Göhrde, sollten diese eines Tages etwa im Harz notwendig werden. Darum sollte man sich aber kümmern, bevor die Wölfe zurückgekehrt sind, rät Pabel. (jwo/dpa)

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