- In Oddly-Satisfying-Videos passiert nicht viel, trotzdem werden sie millionenfach geklickt.
- Doch gerade ihre Einfachheit macht ihren Reiz aus, denn beim Zuschauen können wir gut entspannen.
- Der Psychologe Claus-Christian Carbon erklärt, was hinter dem Netz-Trend steckt.
Blaue Kügelchen aus Spielsand plumpsen in ein schmales Glas, dann taucht ein Mörser hinein und drückt sie zu einer einheitlichen Masse platt. Als Nächstes fallen gelbe Perlen auf die einheitliche blaue Schicht und der Mörser stampft auch sie ein.
Dasselbe passiert mit roten Sandkugeln und am Ende ist der Behälter mit drei gleichmässigen Schichten befüllt. Mehr ist in dem Clip auf YouTube nicht zu sehen, dennoch wurde er bereits mehr als drei Millionen Mal angeklickt und es gibt zahlreiche ähnliche Videos, die das Netz als "oddly satisfying" bezeichnet, als seltsam befriedigend. Sie geben ihren Zuschauern die Entspannung, die ihnen im Alltag oft fehlt, sagt der Psychologe Claus-Christian Carbon. Er erforscht den Trend.
ASMR-Clips im Trend
Entspannung durch Konzentration auf einfache Handlungen
Oddly-Satisfying-Videos haben keine typischen Inhalte. Ihre Wirkung hängt nicht davon ab, was sie darstellen, sondern davon, wie sie etwas darstellen, sagt Carbon. Er arbeitet als Professor für Wahrnehmungspsychologie an der Universität Bamberg.
Ihr Aufbau ist dabei immer ähnlich: Sie bestehen aus kurzen Sequenzen, die eintönige Handlungen hintereinander zeigen, oft in sehr kurzen Folgen.
Bis die blauen, gelben und roten Sandkugeln im oben dargestellten Clip perfekt zusammengedrückt sind, dauert es nur knapp 50 Sekunden, dann beginnt die nächste Sequenz. Oft sind mehrere einzelne Kurzvideos zu einer sogenannten Kompilation zusammengefügt, die mehrere Minuten dauern kann. Aus psychologischer Sicht interessiert sich Carbon für den Oddly-Satisfying-Trend, weil er viele Anhänger hat, die beim Ansehen meist denselben beruhigenden Effekt spüren.
"Die Absicht der Videos ist nicht zu informieren, auch nicht zu gefallen, sondern eine gewisse Entspannung und einen Fokus während der kurzen Präsentation zu gewährleisten."
Oddly-Satisfying-Videos erzeugen die Illusion des Selbst-Anfassens
Carbon zufolge sind die Clips so beliebt, weil sie einfache Handlungen – wie eben das Pressen von Sand – im Detail zeigen. In manchen Sequenzen saugen Staubsauger Schmutz ein, in anderen stellen 3D-Drucker Schicht für Schicht Gegenstände her oder es sind menschliche Hände zu sehen, die Schleimklumpen durchkneten. Alle Tätigkeiten in den Oddly-Satisfying-Videos werden mit grosser Achtsamkeit durchgeführt. Dann drücken sich Finger langsam immer wieder in grünen Glibber, leise Schmatzgeräusche entstehen – eklig, aber auch irgendwie fesselnd. Es geht um bewusstes Erleben, das ist für Carbon der Grund für die Beliebtheit der Clips: Indem sie sich stark auf die unkomplizierten Handlungen konzentrieren und sie bewusst in Szene setzen, erleben die Nutzer die Situation hautnah.
Schleim-Videos zum Entspannen
Am stärksten zeigt sich der Effekt in Videos mit Elementen, die den Tastsinn ansprechen. Die Zuschauer nehmen sie haptisch wahr, das heisst, es kommt ihnen so vor, als würden sie die Gegenstände selbst berühren. Ihr Tastsinn wird angesprochen, obwohl sie den Schleimklumpen nicht selbst mit ihren Fingern durchkneten. Dabei würden die Nutzer genau das tun. Sie würden gern berühren, weil sie es lieben, sagt der Experte.
"Das sieht man sehr schön an Kindern, die mit Matsch spielen, die Bäume umarmen und Blätter oder Baumrinden begutachten." Das Tippen auf dem Smartphone oder Laptop kommt dem nicht gleich, es ist kein fühlbares Erleben, sondern eher ein kurzes Berühren. Deswegen suchen Menschen in den Oddly-Satisfying-Videos das, was im Alltag zu kurz kommt.
Flüstern, streicheln und schmatzen wirkt auf Menschen seltsam befriedigend
"Brain Massage" mit ASMR
Ihren Ursprung haben die Oddly-Satisfying-Videos im Bereich des Autonomous Sensory Meridian Response, kurz ASMR. Was wissenschaftlich klingt, ist in Wahrheit relativ aussagelos. Der Begriff beschreibt ein euphorisches Gefühl, ein Kribbeln, dass am Kopf beginnt und weiter über Nacken und Schultern geht. Manche empfinden es auch als Schaudern. 2010 verwendete die amerikanische Bloggerin Jennifer Allen erstmals die Abkürzung ASMR für Clips, die diese befriedigenden Empfindungen auslösen. Allerdings können sie auf den ersten Blick allerdings auch merkwürdig wirken, etwa wenn Frauen darin in ihre Mikrofone flüstern, darüberstreichen, darauf klopfen oder dicht daneben ihre Haare kämmen. Andere beissen lautstark in verschiedene Nahrungsmittel oder stellen Rollenspiel-Videos ins Netz, bei denen der Zuschauer direkt angesprochen wird.
Hörtest mit ASMR
ASMR spricht die Psyche der Zuschauer an
ASMR-Videos sind deutlich länger als die Oddly-Satisfying-Clips, sie dauern oft viele Minuten bis sogar Stunden. Das verstärkt ihre Wirkung, sagt Carbon. "Besonders eindrücklich bei ASMR ist, dass Videos aus verschiedenen Sequenzen bestehen, die jeweils am Anfang sogenannte Chills und Thrills auslösen, das heisst eine Art Gänsehautgefühl." Im Laufe des Clips werden diese Chills und Thrills öfter wiederholt, sodass sich die Zuhörer an die Reize gewöhnen. Die Gewöhnung wiederum sorgt für ein beruhigendes Gefühl. "Viele berichten von tiefer Entspannung, einige schlafen gegen Ende der Videos sogar ein", sagt Carbon.
ASMR: Essensgeräusche wie nie zuvor
Um die Wirkung genauer zu ergründen, führen Carbon und sein Team am Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie der Universität Bamberg experimentelle Studien durch. Die Forscher lassen dabei Menschen sehr lange ASMR-Videos anschauen, währenddessen messen sie Augenbewegungen, Hautwiderstand und Herzfrequenz. So erkennen sie, wie die Testpersonen Abfolgen von Erregung und anschliessender Entspannung erleben. Bislang sind die Clips insgesamt allerdings noch wenig erforscht. Sie bleiben seltsam befriedigend.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Prof. Dr. Claus-Christian Carbon
- Spektrum: Schlummern dank Einschlafvideos
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