• Die Schönheit einer Person prägt unser Bild über sie und wie wir über sie urteilen.
  • Attraktiven Menschen wird oft ein guter Charakter unterstellt - sie entgehen daher manchmal ihrer Strafe.
  • Der Serienmörder Ted Bundy ist das beste Beispiel für die Macht der Attraktivität.

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Schöne Menschen haben es im Leben oft leichter. Sie profitieren von der Annahme, dass attraktive Menschen auch innerlich schön sind. Dabei werden ihnen positive Kompetenzen wie Intelligenz, Sympathie oder Einfühlungsvermögen zugesprochen, ohne dass sie etwas dafür tun müssen.

Erst auf den zweiten Blick stellt sich raus, dass das Aussehen keine Rolle spielt, denn Schönheit hin oder her, ein Arschloch kannst du immer sein. Trotzdem neigen Menschen dazu, attraktive Personen bevorzugt zu behandeln – selbst verurteile Straftäter und Straftäterinnen.

Schönheit prägt unser Urteil über die Zu- oder die Abneigung gegenüber anderen Menschen – jedenfalls auf den ersten Blick. Aber nach welchen Kriterien bilden wir uns ein Urteil darüber, welcher Mensch als schön oder unschön in der Gesellschaft angesehen wird? Die Diskussion über Vielfalt und gegen festgelegte Schönheitsideale hat besonders in den letzten Jahren grossen Zuspruch erhalten, trotzdem wird unser Aussehen immer noch durch spezifische Muster und Ideale in Schubladen gesteckt und in attraktiv oder unattraktiv eingeteilt.

Wie diese Ideale entstehen, hat vor allem einen biologischen Hintergrund: Viele Attraktivitätsforscher und -forscherinnen gehen davon aus, dass eine Person aufgrund der Qualität als Fortpflanzungspartner oder -partnerin als attraktiv oder unattraktiv angesehen wird. Fortpflanzung hat immer etwas mit Jugendlichkeit zutun, deswegen empfinden viele Menschen ein faltenfreies, junges und ebenes Gesicht als schön.

Darüber hinaus hat der Psychologe Dr. Martin Gründl in seiner Attraktivitätsforschung festgestellt, dass es einen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, welche Gesichtsmerkmale als attraktiv eingestuft werden. Darunter zählen bei Frauen:

  • eine schmale Nase,
  • volle Lippen,
  • grosse Augen,
  • ein schmales Gesicht,
  • dunkle und schmale Augenbrauen sowie
  • eine hohe Stirnpartie.

Bei Männern sind die Merkmale ähnlich, jedoch empfinden viele markantere Gesichtszüge bei ihnen als attraktiver.

Keine Verurteilung für schöne Menschen

Aber wir gross ist der Einfluss des Aussehens wirklich? Werden schöne Menschen wirklich weniger verurteilt als jene, die gesellschaftlich als weniger attraktiv eingestuft werden?

Bedauerlicherweise ja. Viele vertreten die Annahme, dass ein schönes Gesicht gleichzeitig einen makellosen Charakter bedeutet. Wenn das Schema doch mal durchbrochen wird, werden häufig Gründe gesucht, um das Verhalten zu erklären – selbst bei Serienkillern. Ein bekanntes Beispiel ist der verurteilte Serienmörder Ted Bundy. Er vergewaltigte, tötete und zerstückelte rund 30 junge Frauen und wurde schlussendlich 1989 hingerichtet.

Man könnte also meinen, dass sich seine Beliebtheit in Grenzen hält – falsch gedacht. Schon zu Zeiten seiner Verhandlung pilgerten tausende Frauen zum Gericht, um sich selbst davon zu überzeugen, dass Bundy schuldig ist. Hat ein so charismatischer, hübscher Mann wirklich solche grausamen Verbrechen begangen? Ja, hat er. Und gerade sein charismatisches Auftreten hat ihm die Möglichkeiten dazu verschafft.

Schlussendlich bleibt die Frage offen, wie man aufgrund des äusseren Erscheinungsbildes – und trotz des Geständnisses von Bundy – Zweifel am Urteil haben kann.

Wahrscheinlich, weil die Maskerade nicht zum Inneren passt. Wenn Menschen versuchen, sich ein Bild von einer Person zu machen, die solche grausamen Taten vollbracht hat, dann stellen sie sich ein Monster vor. Wenn das Monster jedoch im Körper eines attraktiven Mannes steckt, passt plötzlich das Innere nicht zum Äusseren. Und die Menschen fangen an zu zweifeln – oder ihn anzuhimmeln.

Das Phänomen Ted Bundy reicht bis heute. 2019 erschien auf Netflix die Dokumentation "Ted Bundy: Selbstporträt eines Serienmörders". Die Doku löste bei vielen weiblichen Zuschauern einen regelrechten Hype um dessen Schönheit aus. Die makabren Fantasien reichten so weit, dass Netflix selbst sich dazu äusserte und betonte: "Ich würde euch gerne sanft darauf hinweisen, dass es wortwörtlich TAUSENDE heisse Männer gibt – fast alle von ihnen sind keine verurteilten Serienmörder."

Bad Boys sind beliebt

Dem Hype um Ted Bundy liegt wohl noch eine andere Komponente zugrunde, denn seien wir mal ehrlich, der schönste Mann der Welt war er nicht. Woher kommt also die absurde Faszination, die viele Frauen empfinden?

2016 hat eine Studie der Gent Universität in Belgien herausgefunden, dass sich Frauen oft von dem sogenannten Bad-Boy-Image angezogen fühlen. Männer, die rauchen oder trinken, sollen besonders sexuell anziehend auf Frauen wirken, weil diese sich wissentlich selbstzerstörerisch verhalten. Diese Form der Machtdemonstration ist bei Frauen besonders beliebt.

Zusätzlich zu dem Bad-Boy-Image empfinden wir einen gewissen Reiz an Dingen, die offensichtlich moralisch verwerflich sind. Wir sind fasziniert von Verbrechen, die gegen unseren moralischen Kompass sprechen und die wir dementsprechend niemals tun würden. Sieht der Verbrecher oder die Verbrecherin zusätzlich noch halbwegs passabel aus, fangen wir an, die Faszination auf den Protagonist oder die Protagonistin des Geschehens zu projizieren und erschaffen uns selber ein romantisiertes Bild.

Dieses Jahr macht ein weiterer Ted-Bundy-Verschnitt die Runde in den sozialen Medien: Cameron Herrin. Der 21-Jährige ist 2018 ein illegales Autorennen gefahren, bei dem er mit 100 km/h über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit zwei Menschen getötet hat – eine junge Mutter und ihr einjähriges Kind, die zusammen die Strasse überqueren wollten und von Cameron Herrin überfahren wurden. Heute, drei Jahre später, erhält er sein Urteil: 24 Jahre Haft.

Auf der Social-Media-Plattform TikTok geht das Video zu seiner Verurteilung viral. Aber nicht aus dem Grund, dass die Menschen die Tat von ihm verurteilen und ihre Solidarität mit den Opfern bekunden möchten, nein, das Video wurde tausendfach geteilt, weil die Nutzer und Nutzerinnen den 21-Jährigen attraktiv finden.

Und nicht nur das: Sie fordern die Freilassung von Cameron Herrin – schliesslich sei er viel zu hübsch, um ins Gefängnis zu gehen. Unter dem Hashtag #justiceforCameron (Gerechtigkeit für Cameron) verbreiten sich Videos, die eine mildere Strafe fordern. Das Ganze geht so weit, dass Nutzer und Nutzerinnen eine Petition angelegt haben, in der die Anhänger und Anhängerinnen die sofortige Freilassung von Cameron Herrin fordern. Die Petition wurde mittlerweile von über 30.000 Menschen unterschrieben.

Die Beispiele verdeutlichen die Macht der Attraktivität und die Annahme, dass ein schönes Äusseres gleichzeitig ein schönes Inneres bedeutet, was natürlich falsch ist. Nur weil jemand äusserlich makellos aussieht, bedeutet das nicht, dass der- oder diejenige positive Charakterzüge und einen intakten moralischen Kompass besitzt.

Dies ist ein journalistisches Angebot des Online-Magazins ZEITjUNG.

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