• Durch das digitale Zeitalter fällt es immer mehr Menschen schwer sich zu konzentrieren.
  • Experten sagen, dass sich die Kommunikationstechnik rasant entwickelt hat, das menschliche Gehirn allerdings noch immer das gleiche ist wie schon vor Tausenden von Jahren.
  • Fehlende Konzentrationsfähigkeit lässt sich aber wieder antrainieren.

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Die Fähigkeit, sich auf eine Sache zu fokussieren und Informationen zu filtern, ist eine Schlüsselqualifikation für die digitale Welt. Doch Internet und Soziale Medien führen langfristig dazu, dass vielen Menschen das immer weniger gelingt, obwohl sie mehr Zeit damit zubringen. Warum ist das so?

Mensch ist nicht dafür gemacht mehrere Informationen zur gleichen Zeit aufzunehmen

Der amerikanische Technikphilosoph Nicolas Carr sagt, dass sich die Kommunikationstechnik um den Menschen herum zuletzt rasant entwickelt hat, das menschliche Gehirn allerdings noch immer das gleiche ist wie schon vor Tausenden von Jahren. Der Mensch ist nicht dafür gemacht, tiefgehend mehrere Informationen gleichzeitig aufzunehmen. Aber was passiert, wenn der Kopf durch Smartphone und Computer mit vielen Informationen gleichzeitig konfrontiert wird?

Bastian Willenborg ist Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie. Er sagt zwar, dass sich das Gehirn mit der Zeit an neue Herausforderungen anpassen könne, so eben auch an die parallele Aufnahme von Informationen. Aber gleichzeitig habe das Gehirn nur eine bestimmte Kapazität, betont der ärztliche Direktor der Oberberg Fachklinik Berlin/Brandenburg. Die Umstellung führe letztendlich dazu, dass die Fähigkeit, sich auf eine Sache intensiv zu konzentrieren, nachlässt.

Nicholas Carr schreibt in diesem Zusammenhang von den Effekten der permanenten Aufmerksamkeitszerstäubung. Er habe die Folgen des dauerhaften Internetkonsums selbst beim Lesen von Büchern festgestellt. Nach ein oder zwei Seiten seien seine Gedanken immer wieder abgeschweift. Der US-Amerikaner stellt deshalb die These auf: Der dauerhafte Internet-Konsum führe dazu, dass wir komplexe Sachverhalte immer schlechter verstehen.

Effekte schon bei Kindern sichtbar

Was sagt die Wissenschaft dazu? Die Professoren Yee Lee Shing und Christian Fiebach haben mit der Wissenschaftlerin Isabelle Ehrlich von der Goethe-Universität Frankfurt in einem Fachartikel den aktuellen Forschungsstand zusammengefasst.

Demnach belegen zahlreiche Studien, dass Menschen, die häufig mehrere Inhalte auf verschiedenen Geräten wie Smartphone, PC und Fernseher parallel konsumieren, schlechtere kognitive Leistungen zeigen. Konkret fällt es ihnen schwerer, sich kontrolliert auf eine Aufgabe zu konzentrieren, da sie sich leichter durch irrelevante Informationen aus der Umgebung ablenken lassen.

Eine aktuelle Studie zeige einen Zusammenhang zwischen Medien-Multitasking und Verhaltensauffälligkeiten bereits bei Schulkindern, was sich unter anderem in Aufmerksamkeitsproblemen widerspiegelt, sagt Isabelle Ehrlich im Gespräch mit unserer Redaktion.

"Diejenigen Kinder, die schon seit früher Kindheit mit vielen Geräten oder Medien gleichzeitig spielten, liessen sich im Schulalter leichter von unwichtigen Sachen ablenken als Kinder, die generell weniger und vor allem später digitalen Medien ausgesetzt waren", erklärt die Wissenschaftlerin. "Sie können nicht mehr so gut fokussieren." Eine entscheidende Rolle scheinen in diesem Zusammenhang allerdings auch der Erziehungsstil und andere Verhaltensprobleme des Kindes zu spielen.

Ein weiterer Punkt ist die Nutzung von Computern und Smartphones als externe Gedächtnishilfen - der sogenannte Google-Effekt. "Der Effekt besagt, dass Informationen schneller vergessen werden, wenn man der Meinung ist, durch Internetsuche jederzeit auf diese Information zugreifen zu können", schreiben die Wissenschaftler.

Konzentrationsfähigkeit lässt sich trainieren

Hat die Konzentrationsfähigkeit erst einmal nachgelassen, heisst das aber nicht, dass dies nicht mehr zu ändern ist. Mit etwas Training lässt sich gegensteuern: Einerseits sei es sinnvoll, sich jeden Tag Medienfreizeiten zu geben, zu denen das Smartphone ausgeschaltet wird, sagt Mediziner Bastian Willenborg. Andererseits könne das Smartphone auch zur Konzentrationssteigerung genutzt werden - durch Sudoku-Apps oder Gedächtnistrainer. Ausserhalb der digitalen Welt könne beispielsweise das Lernen eines Musikinstrumentes helfen. "Die Konzentrationsfähigkeit lässt sich noch bis ins hohe Alter trainieren."

Wissenschaftlerin Isabelle Ehrlich weist auf positive Effekte von Computerspielen hin. So hätten Studien zeigen können, dass Spiele kleine Verbesserungen von Aufmerksamkeitsleistungen mit sich bringen können. In einer Untersuchung wurde gezeigt, dass regelmässiges Spielen von "Super Mario 64" zu einer Volumenvergrösserung von Gehirnregionen führt, die mit räumlicher Koordination assoziiert sind. Die Frankfurter Forscherin warnt aber, Computerspielen in Massen zu halten, weil das Suchtpotenzial nicht zu unterschätzen sei.

Warum das Smartphone süchtig macht

Die US-amerikanische Psychologin und Autorin Mary Aiken schreibt in ihrem Buch "Der Cyber-Effekt", dass Amerikaner im Durchschnitt 200 mal täglich auf ihr Handy schauen, um zu überprüfen, ob sie neue Nachrichten erhalten haben. Die amerikanische Originalausgabe des Buches ist von 2016, die Anzahl könnte heutzutage durchaus höher ausfallen. Aber was führt uns eigentlich zu diesem zwanghaften Verhalten, ständig auf unser Smartphone schauen zu müssen?

Es geht dabei nicht unbedingt darum, dass die Nachrichten wichtig sind. Es reicht, wenn zwischen allen Informationen hin und wieder positive bzw. überraschende Nachrichten dabei sind. Dieser kurze Glücksrausch genügt, dass wir in unserer ständigen Handy-Kontrolle bestärkt werden. Mary Aiken spricht hier von einer "intermittierenen Verstärkung" und vergleicht das mit einem Rubbellos. Das bedeutet: Die Wirkung ist sogar stärker, wenn die Lose nur hin und wieder einen Gewinn aufweisen. Wäre man jedes Mal erfolgreich, würde ein Gewöhnungseffekt eintreten.

Likes bringen Glücksgefühle

Bei Facebook, Instagram und Co. können zudem urmenschliche Bedürfnisse wie das Zugehörigkeitsgefühl sowie das Gefühl der Sicherheit und Anerkennung befriedigt werden. Die US-Psychologin Eva Ritvo schreibt, dass Interaktionen in sozialen Netzwerken die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin anstossen und gegen Einsamkeit helfen.

Bei Personen, die viele Fotos oder Stories von sich posten, wird das Belohnungssystem durch die Likes und Herzchen angesprochen, was ebenfalls mit der Ausschüttung von Glückshormonen einhergeht. "Das bestärkt dieses Verhalten und führt dazu, dass es die Person immer wieder macht", sagt Isabelle Ehrlich aus Frankfurt.

Auch Computerspiele sind so gestaltet, dass sie häufig belohnende Erlebnisse ermöglichen und den Spieler länger an sich fesseln. Das funktioniert unter anderem durch interaktive Objekte, auf die der Spieler Einfluss nehmen kann. Sie reagieren auf seine Handlung, binden seine Aufmerksamkeit und motivieren ihn, weiter zu spielen.

Unterschied zwischen Mädchen und Jungen

Internetsucht zählt zu den sogenannten nicht stoffgebunden Süchten. Die Entzugserscheinungen sind ähnlich wie bei stoffgebundenen Süchten, zum Beispiel von Cannabis oder Amphetamin. Beide Süchte wirken sich auf den Gehirnstoffwechsel aus, sagt Psychiater Bastian Willenborg. Man brauche das Medium, um innere Unruhe auszugleichen und sich positive Gefühle zu verschaffen oder zumindest negative nicht so stark zu spüren.

Ob ein Mensch wirklich internetsüchtig ist, hängt nicht allein von der Zeit ab, die er vor dem Rechner oder dem Smartphone verbringt, sagt der Mediziner. Vielmehr sei entscheidend, ob die Person noch die Kontrolle über sein Verhalten hat - oder diese verloren hat. Viele Menschen in Therapien hätten bereits Freundschaften, ihren Job oder ihre Partner verloren.

Laut Willenborg gibt es Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen. Während Jungen eher Abhängigkeiten bei Computerspielen entwickeln - insbesondere von den sogenannten MMORPGs (Massively Multiplayer Online Role-Playing Game) wie World of Warcraft - sind es bei Mädchen eher Soziale Netzwerke, wo sie sich positives soziales Feedback erhoffen.

Dabei könne es auch zu einer verzerrten Ich-Wahrnehmung und zu Problemen im direkten sozialen Umfeld kommen. "Die Nutzer von sozialen Netzwerken wollen meist ein bestimmtes positives Bild von sich teilen", sagt Willenborg. Wenn dies der Realität eigentlich nicht entspricht, könne das zu sozialer Isolation führen, weil man nicht mehr rausgeht und sich hinter den Computer zurückzieht.

Der Weg zurück in die Normalität

Aber wie soll man den Verlockungen der neuen Medienwelt entkommen? Eine Möglichkeit ist eine unfreiwillige Radikalkur. Mary Aiken schreibt in ihrem Buch von ihrer Reise nach Bora Bora, einem Land mit schlechtem Internetempfang. Am ersten Tag durchlebte sie alle Phasen des Handy-Entzugs: von Unglauben, über Wut, dann Panik begleitet von Schweissausbrüchen in der Nacht bis hin zu Erschöpfungen. Langsam stellte sich aber Akzeptanz ein. "Danach genoss ich meinen fünftägigen Urlaub ganz ohne Handy", schreibt sie.

Aber es geht auch einfacher - durch selbstbestimmte digitale Auszeiten. Sei es, dass man das Handy oder den Computer eine bestimmte Zeit am Tag ruhen lässt oder eine längere digitale Fastenzeit von Sozialen Medien.

Push-Nachrichten lassen sich ebenfalls leicht abschalten, empfiehlt Bastian Willlenborg. Er verweist auch auf Apps, mit denen man sich das ständige Aufs-Handy-Schauen abgewöhnen kann. Sie surren zwar regelmässig, wie als wenn eine Nachricht angekommen wäre. De facto ist das aber nicht der Fall. Durch die Apps soll man lernen, nicht unmittelbar zu reagieren und die Kontrolle über sein Verhalten zurückzubekommen.

Ist die Sucht erst ausgeprägt, gibt es immer noch einen Weg zurück. In Therapien werde mit den Teilnehmern daran gearbeitet, wieder normales soziales Verhalten und einen kontrollieren Umgang mit Medien zu lernen. Die Zeiten, die die Jugendlichen ansonsten mit Computerspielen oder mit Sozialen Medien verbracht haben, würden beispielsweise durch Teamsport gefüllt. "Es geht darum, das Selbstwertgefühl der Jugendlichen zu stärken. Sie sollen auch lernen, auf andere Menschen zuzugehen", erklärt Willenborg.

Lesen Sie auch: Computerspielsucht: Das können Eltern dagegen tun

Die Zukunft wird nicht besser

Das menschliche Gehirn wird wohl in den nächsten Jahren keinen Evolutionssprung machen, um dann problemlos mehrere Nachrichten gleichzeitig verarbeiten zu können. Und dass die verlockenden Apps, Netzwerke und Spiele plötzlich unattraktiv werden, davon ist auch nicht auszugehen. Eher im Gegenteil.

Der deutsche Philosoph Richard David Precht verglich vor kurzem zwei einflussreiche Weltbilder miteinander. Einerseits das europäische Weltbild der Aufklärung, auf dem unsere Demokratien beruhen. Dieses geht davon aus, dass der Mensch frei ist und seinen Verstand benutzt.

Auf der anderen Seite das zunehmend dominierende Weltbild des Silicon Valley. Es sieht den Menschen als steuerbares Wesen, der auf bestimmte Reize reagiert. Soziale Medien werden möglichst so gebaut, dass sich der Mensch gut darin fühlt und eben viel Zeit damit zubringt. Und eben dieses Weltbild des Silicon Valley gewinnt zunehmend an Bedeutung.

Verwendete Quellen:

  • Dr. Eva Ritvo: "Facebook and your Brain"
  • Gespräch mit Dr. Bastian Willenborg, Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie
  • Gespräch mit Isabelle Ehrlich, Wissenschaftlerin am Institut für Psychologie an der Goethe-Uni Frankfurt
  • Interview mit Richard David Precht unter anderem zum Weltbild des Silicon Valley
  • Mary Aiken: "Der Cyber-Effekt"
  • Nicholas Carr: "Wer bin ich, wenn ich online bin"



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