Gestern hat Deutschland gewählt und das Ergebnis mag manche Menschen verwundern. Wieso haben sich die Wähler so entschieden? Und was spielt bei der Entscheidung eine Rolle?

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Trotz zahlreicher Studien und verfeinerter Wahlprognosen: Der Wähler ist oft für Überraschungen gut. Wie und warum er wählt, ist trotz Umfragen oft nicht so klar vorauszusagen.

Vor allem mit dem "Warum" befassen sich Forscher schon seit vielen Jahrzehnten. Erste Modelle betonten die Bedeutung des sozialen Umfelds für die Wahlentscheidung, also etwa die Mitgliedschaft in einer Organisation, zum Beispiel einer Gewerkschaft.

Dazu kamen Faktoren wie das Elternhaus, Freunde, aber auch die Bewertung der Kandidaten und aktuelle politische Streitfragen. In den 1950er Jahren kam das Bild vom "rationalen Wähler" auf, der sich für die Partei entscheidet, die ihm mutmasslich am besten hilft, seine persönlichen Ziele zu erreichen.

Bindungen an Parteien schwächer geworden

Vieles an diesen Modellen gilt auch heute noch, allerdings sind sich die meisten Forscher einig, dass die Prägung durch die Familie, aber auch durch die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder der Kirche nachgelassen hat.

So sagt etwa der Politikwissenschaftler Florian Hartleb, dass die Wähler sehr viel unberechenbarer und spontaner seien als früher.

"Der Anteil der Stammwähler ist gesunken, etwa 30 Prozent der Wähler entscheiden erst unmittelbar vor der Wahl, für wen sie stimmen", erklärt Hartleb im Gespräch mit unserer Redaktion.

Wie unmittelbar, darüber gehen die Meinungen auseinander. Das Marktforschungsinstitut Infratest Dimap sprach vor einigen Jahren ebenfalls von rund einem Drittel der Wähler, die sich erst in der Woche vor der Wahl auf eine Partei festlegen.

Der Gründer des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, sagte hingegen in einem Interview, seine Umfragen hätten ergeben, dass die Wahlentscheidung bei den allermeisten Menschen schon zu Beginn des Wahljahres feststehe.

Immer mehr Nichtwähler

Unstrittig ist, dass sich immer mehr Menschen dafür entscheiden, gar nicht zu wählen: Lag die Wahlbeteiligung vor 20 Jahren noch bei über 80 Prozent, war sie bei der jüngsten Bundestagswahl bei rund 76 Prozent.

Bei Europa-, Landtags- und Kommunalwahlen war sie zum Teil noch erheblich niedriger.

Zu den Motiven der Nichtwähler gibt es zahlreiche Studien. Die meisten gehen davon aus, dass es gar nicht so viele dauerhafte Nichtwähler gibt (sondern viele "Wähler auf Urlaub") und dass ihre Gründe, nicht zur Wahl zu gehen, vor allem sind: das Gefühl, keinen Einfluss auf das politische Geschehen zu haben und dass die Politik nicht auf ihre Bedürfnisse eingeht.

Manche wollen einer bestimmten Partei oder den Politikern im Allgemeinen einen Denkzettel verpassen, ein kleiner Teil der Bürger ist so zufrieden mit den Verhältnissen, dass sie deswegen nicht wählen gehen.

Kopf-an-Kopf-Rennen gut für die Wahlbeteiligung

Die Untersuchungen zu Nichtwählern räumen auch mit einem Vorurteil auf: Dass nämlich Menschen, die nicht zur Wahl gehen, sich nicht für Politik interessieren.

Auch Florian Hartleb sagt: "Nicht alle Nichtwähler sind apolitisch, manche haben aber ein Gefühl von 'Ich kann doch eh nichts bewirken'". Einige von ihnen, so Hartleb weiter, könnten zum Wählen animiert werden, wenn der Wahlausgang besonders knapp zu werden verspreche.

Die Kommunikationswissenschaftler Carsten Reinemann, Marcus Maurer, Thomas Zerback und Olaf Jandura nennen dieses Motiv in ihrem Buch "Die Spätentscheider" "meinungsklima-orientiertes Wählen".

Es stellt für sie eine von vier möglichen Arten dar, eine Wahlentscheidung zu treffen. Die anderen sind: "partei-orientiert", "kandidaten-orientiert" oder "issue-orientiert".

Bei letzterem spielen aktuelle Streitfragen und die Lösungen, die Parteien dafür anbieten, die grösste Rolle.

Parteien setzen auf Personen

Natürlich werden in der Praxis meist Mischformen auftreten. Kaum ein Wähler wird sich ausschliesslich aufgrund des Kandidaten entscheiden.

Allerdings, sagt Florian Hartleb, spiele die Personalisierung im Wahlkampf eine immer grössere Rolle: "Natürlich gab es auch schon früher personalisierte Wahlkämpfe, im jüngsten Wahlkampf wurde aber sehr deutlich, dass vor allem die grossen Parteien - mit Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz -, aber auch die FDP mit Christian Lindner auf die Personen gesetzt haben."

Zumal sich die Parteien inhaltlich immer weniger unterschieden und die Position zu manchen Themen bei manchen Parteien nicht klar sei.

Wie viel Zugkraft die Spitzenkandidaten bei vergangenen Wahlen wirklich hatten, ist in der Forschung nicht ganz klar. Allerdings, so sagte der Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Gerd Gigerenzer in einem Interview, gebe es angesichts der immer schlechter unterscheidbaren Volksparteien bei einigen Wählern grosse Unsicherheit.

Ein vertrauenerweckender Kandidat könne da bei der Wahlentscheidung durchaus eine Orientierung geben.

Wahlprogramm wird gefiltert

Dass das Gros der Wähler Grundsatzprogramme oder Wahlprogramme wälzt, ist offenbar nicht der Fall. "Parteiprogramme spielen bei der Wahlentscheidung eine untergeordnete Rolle", sagt Florian Hartleb.

Am häufigsten schauten Wechselwähler ins Programm, so der Psychologe Gigerenzer.

Da sie aber in der Informationsfülle nicht alles gewichten und aufaddieren könnten, kürzten auch sie ab: "Sie versuchen herauszufinden, welche Aspekte ihnen persönlich am wichtigsten sind und wer diese vertritt." Und gründen darauf ihre Wahlentscheidung.

So viel Tiefgang trauen wahrscheinlich zwei Forscher der Universität von Lausanne nach ihrer Studie selbst Wechselwählern nicht mehr zu: John Antonakis und Olaf Dalgas legten ihren Probanden Porträtfotos von Kandidaten für eine Wahl vor, sie sollten deren Kompetenz einschätzen.

Tatsächlich lag die Quote für den richtigen Siegertipp bei mehr als 70 Prozent. Ihre Schlussfolgerung: Die Wähler entscheiden offenbar überwiegend nach den gleichen Kriterien wie die Probanden - nämlich nach dem Aussehen.

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