München (dpa) - Werdende Mütter sollen gesund essen und nicht rauchen. Wissenschaftliche Studien zeigen allerdings immer deutlicher: Das reicht längst nicht aus.
Auch das Essverhalten des Vaters vor der Zeugung und der Lebenswandel der Eltern insgesamt schlagen auf den Nachwuchs durch. Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes können vererbt werden. Kinder von Rauchervätern haben eher Asthma.
Zwar ändern sich durch das Rauchen oder durch fette und ungesunde Ernährung vermutlich nicht die Gene selbst. Aber die Wirkweise und Regulation bestimmter Gensequenzen wird beeinflusst - und diese epigenetischen Faktoren sind ebenfalls erblich.
"Es gibt keine Zweifel, dass es von Generation zu Generation eine Weitervererbung nicht nur der reinen Gen-Sequenzen, sondern auch der Gen-Regulationsbandbreite gibt", sagt Thomas Meitinger, Leiter des Instituts für Humangenetik am Münchner Uni-Klinikum rechts der Isar. Tierversuche hätten das belegt. Beim Menschen seien Studien nicht zuletzt wegen der langen Generationszeiten schwieriger.
Bisher untersuchten Wissenschaftler vor allem den Einfluss der väterlichen Seite - schon allein weil Spermien leichter zu gewinnen und untersuchen sind als Eizellen. Nun weist eine am Montag in dem Fachjournal "Nature Genetics" veröffentlichte Studie mit Mäusen bei Übergewicht und ernährungsbedingtem Diabetes nach: Der mütterliche Einfluss ist noch grösser als der väterliche.
"Was die Eltern zum Zeitpunkt vor der Schwangerschaft für eine Konstitution haben, spielt auf die nächste Generation über", sagt der Initiator der Studie und Direktor des vom Institut für Experimentelle Genetik (IEG) am Helmholtz Zentrum München, Martin Hrabě de Angelis.
Die Faustformel "dicke Eltern, dicke Kinder" sei bekannt. Das Argument mancher Dicker, es liege "an den Genen" wurde allerdings oft als Ausrede gewertet. "Jetzt ist klar, dass das auch wirklich über die Keimzellen vermittelt wird", sagt Hrabě de Angelis. "Der Effekt ist zumindest im Tierversuch massiv." Und: "Das könnte eine weitere Ursache für die epidemieartige Zunahme von Diabetes Typ-2 sein." Denn der Anstieg weltweit lasse sich durch die Veränderung der DNA selbst kaum erklären. "Dazu schreitet der Anstieg zu schnell voran."
Erst im Januar hatten US-Forscher im Fachjournal "Science" eine Studie mit Mäusemännchen veröffentlicht, nach der fettreiche Ernährung des Vaters den Stoffwechsel der Nachkommen negativ beeinflussen kann. Zuvor hatten Wissenschaftler aus Kopenhagen gezeigt, dass die Anfälligkeit für Übergewicht auch bei Menschen an die nächste Generation weitergegeben werden kann. In beiden Fällen fanden die Forscher epigenetische Veränderungen in Spermien; sie betrafen etwa die Regulierung von Genen zur Steuerung von Appetit.
Ein Untersuchung der norwegischen Universität in Bergenwies zeigte wiederum, dass Kinder von Ex-Rauchern ein erheblich höheres Asthma-Risiko haben, selbst wenn die Väter lange vor der Zeugung mit dem Laster aufhörten. Wer vor der Zeugung über zehn Jahre rauchte, erhöhte demnach das Asthmarisiko seiner Kinder um 50 Prozent.
Die Münchner Forscher verwendeten nun Tiere, die aufgrund fettreicher Nahrung übergewichtig geworden waren und einen Typ-2-Diabetes entwickelt hatten. Ihre Nachkommen wurden mit Hilfe der künstlichen Befruchtung gezeugt und von Leihmüttern ausgetragen, so dass Faktoren wie die Ernährung des Embryos in der Gebärmutter einer stoffwechselgestörten dicken Mutter, aber auch deren Verhalten in der Schwangerschaft und beim Säugen ausgeschlossen waren.
"Wir sehen, dass es einen massiven Einfluss in die nächste Generation gibt, der nur über die Keimzellen vermittelt werden kann. Und wir sehen unterschiedliche Effekte, was die mütterliche und die väterliche Seite betrifft", sagt Hrabě de Angelis.
Schon Charles Darwin habe in seinen Theorien zu Vererbung und Evolution die Möglichkeit eingeschlossen, dass Eltern im Laufe ihres Lebens erworbene Eigenschaften an ihre Nachkommen weitergeben könnten, sagt Studienleiter Johannes Beckers.
Angenommen wird, dass auch psychische Belastungen wie Kriegstraumata oder Verbrechen über das Erbgut in der nächsten Generation weiterleben. US-Wissenschaftler zeigten vor einigen Jahren an Mäusen, dass grosselterliche Negativ-Erlebnisse auf das Verhalten und zentrale Nervenstrukturen der Enkel wirken. Die Tiere lernten per Elektroschock, dass der Geruch von Acetophenon Ungutes verheisst. Obwohl die Enkel keine Elektroschocks bekamen, zuckten auch sie bei dem süsslichen Geruch. Schon die Bibel warnt, dass die Missetat der Väter die Nachkommen heimsucht bis ins dritte und vierte Glied.
Der Umkehrschluss: Guter Lebenswandel zahlt sich noch Generationen später aus. Denn epigenetische Vererbung ist anders als genetische Vererbung prinzipiell reversibel. Fettleibigkeit und Diabetes Typ 2 könnten also bei entsprechendem Lebenswandel über die Generationen wieder abnehmen. Hrabě de Angelis: "Das gibt Hoffnung." © dpa
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