Mit kantonalen Tests wird in der Schweiz gegenwärtig der Einbürgerungsprozess standardisiert. Doch das bedeutet nicht zwangsläufig eine grössere Professionalisierung und Objektivität der Gemeindebehörden.
"Es ist schwieriger, Schweizer zu werden, als den Führerschein zu machen", sagt Luca Cirigliano, Anwalt und Generalsekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB). Tatsächlich lässt sich der Einbürgerungsprozess in der Schweiz mit einer Art kompliziertem und langwierigem Hindernislauf vergleichen.
"Kandidierende müssen motiviert und bereit sein, einen Teil ihrer Zeit aufzuwenden, um die verschiedenen Etappen zu durchlaufen", sagt Monika Waldis, Leiterin des Zentrums für Politische Bildung und Geschichtsdidaktik am Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA).
Der Vorbereitungskurs
Seit zwei Jahren bietet der SGB in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz einen Tageskurs an. Für Gewerkschaftsmitglieder ist er gratis, für Nichtmitglieder kostet er 410 Franken.
"Am Morgen vermitteln wir einen Überblick über die rechtlichen Grundlagen, die Verfahren und die Anforderungen in den einzelnen Kantonen", sagt Cirigliano. "Der Nachmittag ist eher praktischen Aspekten gewidmet, zum Beispiel den Einbürgerungstests."
Seit letztem Jahr bietet auch die Migros-Klubschule in den Kantonen Bern, Zürich, Waadt und in der Ostschweiz einen Kurs an. Laut Programm werden in 12 Lektionen Kenntnisse über Demokratie, Föderalismus, Rechte und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger vermittelt.
Aber auch über Geografie, Geschichte, Sprachen, Religionen, Kultur und Feiertage. Für 300 Franken verspricht die Klubschule den Teilnehmenden eine angemessene Vorbereitung auf den Einbürgerungstest.
Diesen Test müssen alle bestehen, die den Schweizer Pass erhalten möchten – und das, bevor der Einbürgerungsprozess überhaupt angefangen hat. So zumindest im Kanton Bern, wo der Test 48 Multiple-Choice-Fragen zu Themen wie Geschichte, Geografie, Religion, Demokratie, Versicherungen, Gesundheit und Bildung umfasst.
Die Vorselektion
Die Fragen hat eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Urs Kernen zusammengestellt, dem Leiter der Abteilung "Integration und Sprachen" des Bildungszentrums Interlaken.
"Was muss eine Schweizerin, ein Schweizer wissen? Wie misst man den Grad der Integration? Die Beantwortung dieser beiden Fragen ist für uns die schwierigste Aufgabe", sagt Kernen.
Doch welche Fragen müssen Kandidierende beantworten? Auf der Website des Bildungszentrums Interlaken kann ein Beispiel eines Fragebogens heruntergeladen werden.
So wurde 2016 gefragt, wie der Schweizer Nationalheld heisse (Wilhelm Tell), ob die Persönlichkeiten Gölä, Sina, Beatrice Egli und Stephan Eicher aus dem Bereich Sport, Musik, Architektur oder Forschung bekannt sind (Musik), welche Direktnummer für die Rettungsdienste gewählt werden kann (144) oder welche Parteien im Bundesrat vertreten sind (SVP, SP, FDP, CVP).
Um den Test zu bestehen, müssen mindestens 60 Prozent der Fragen richtig beantwortet werden. "Seit 2014 haben im Kanton Bern mehr als 3.200 Personen den Test absolviert. Die Erfolgsquote liegt bei 83 Prozent", sagt Kernen. "Wer den Test nicht besteht, kann diesen ein paar Monate später wiederholen, natürlich mit anderen Fragen." Allerdings kostet jeder Versuch 300 Franken.
Der Sprachtest
Um den Einbürgerungsprozess zu starten, reicht der bestandene Eintrittstest allerdings nicht: Seit 2014 verlangen die Gemeinden des Kantons Bern vor der Einreichung eines Einbürgerungsgesuchs einen Sprachtest zum Nachweis der Deutsch- oder Französischkenntnisse.
Verlangt werden Sprachkenntnisse des Niveaus A2 im schriftlichen und B1 im mündlichen Gebrauch, basierend auf dem gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachenkenntnisse.
Den Kantonen steht es allerdings frei, strengere Bedingungen zu stellen, wie dies etwa die Kantone Schwyz und Nidwalden tun: Sie verlangen schriftlich Niveau B1 und mündlich B2.
Die Standardisierung
"Wir bewegen uns ganz klar in Richtung einer Standardisierung des Einbürgerungsprozesses, unabhängig von der Wohngemeinde", sagt die Bildungsforscherin Monika Waldis.
Ihre Abteilung in Aarau erarbeitete die Fragen für den Einbürgerungstest des Kantons Aargau, der aus einem Pool von rund 240 Fragen mit Multiple-Choice-Antworten besteht. Die Einbürgerungswilligen müssen jeweils rund 45 zufällig gezogene Fragen beantworten. Auf der kantonalen Website sind die Fragen mitsamt Antworten zu Übungszwecken aufgeschaltet.
Gewerkschafts-Generalsekretär Luca Cirigliano seinerseits hat 2010 eine Untersuchung durchgeführt. Sie trug den Titel: "Wie Integration gemessen wird: Eine rechtsoziologische Untersuchung zur Integrationsüberprüfung im kantonalen Einbürgerungsverfahren am Beispiel des Aargaus."
Die Untersuchung zeigte Folgendes: Vor allem in kleinen Gemeinden sind es Gemeinderäte oder Mitarbeitende der Gemeindeverwaltung, die das Interview zur Feststellung der Integrationsrate von Kandidierenden durchführen, und nicht eine eigens dafür bestimmte Einbürgerungs-Kommission.
Zudem habe die Befragung in einigen Fällen weniger als 15 Minuten gedauert – laut Cirigliano zu wenig Zeit für eine vertiefende Einschätzung.
2018, acht Jahre nach dieser Untersuchung, hat sich viel geändert, auch auf gesetzgeberischer Ebene. Einige jüngere Beispiele aber, wie etwa die Weigerung der Aargauer Gemeinde Buchs, einer jungen und sehr gut integrierten türkischstämmigen Frau die Staatsbürgerschaft zu gewähren, erinnern daran, dass eine Standardisierung nicht unbedingt gleichbedeutend mit Professionalisierung und Objektivität ist.
Was kostet es?
Im Kanton Aargau kostet die Einbürgerung für eine Einzelperson 2.350 Franken (Gemeinde: 1.500 Fr.; Kanton: 750 Fr.; Bund: 100 Fr.). zudem müssen etwa 900 bis 1.000 Franken für Einbürgerungskurs, Einbürgerungstest und Überprüfung der Sprachkenntnisse veranschlagt werden.
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