Ängste beschäftigen uns alle mal – manche mehr, manche weniger. Doch was, wenn sie zur dauerhaften Belastung werden und wir negative Gedanken nicht loswerden? Ein Psychotherapeut und einstiger Angstpatient gibt Tipps.

Ein Interview

Angst vor Spinnen. Angst davor, Fehler zu machen oder dass etwas Schlimmes passiert. Vielleicht sogar die Angst vor dem Tod. Jeder hat in gewissen Phasen des Lebens mit Ängsten zu kämpfen. Sie allerdings bewusst so zu benennen, fällt wohl den meisten ziemlich schwer. Vielleicht, weil man mit negativen Reaktionen rechnet, etwa, dass die Ängste heruntergespielt werden.

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Wie wir besser mit unseren Ängsten umgehen, erklärt Joshua Fletcher im Interview mit unserer Redaktion. Er war selbst einmal Angstpatient, mittlerweile hilft er als Psychotherapeut anderen. Ausserdem teilt der Brite seine Erfahrung mit seinen über 240.000 Followern bei Instagram unter dem Namen anxietyjosh.

Herr Fletcher, warum scheuen wir uns, über Ängste zu sprechen?

Joshua Fletcher
Joshua Fletcher berät vor allem Angstpatienten. © Jon Shard

Joshua Fletcher: Angst ist in der Gesellschaft immer noch ein gewisses Tabuthema. Angst umfasst ein breites Spektrum von Erfahrungen und Emotionen, was dazu führen kann, dass man nur schwer über sie sprechen kann. Viele Menschen zögern zu sagen: "Ich habe Angst", weil dieser Satz mit Verletzlichkeit oder Schwäche verbunden sein kann, vor allem für diejenigen, die emotional eher zurückhaltend sind oder sich scheuen, ihre Gefühle zu zeigen. In diesen Fällen könnte es sich gesellschaftlich akzeptabler anfühlen zu sagen, dass man sich Sorgen macht.

Wir sollten also aufgeschlossener gegenüber unseren Ängsten sein?

Ich persönlich finde es völlig in Ordnung, sich einzugestehen, dass man mit Ängsten zu kämpfen hat - ich habe das selbst schon erlebt. Meine eigenen Erfahrungen mit Ängsten prägen meine heutige Arbeit als Therapeut. Obwohl ich jetzt ein glückliches und zufriedenes Leben führe, gab es eine Zeit, in der ich sehr mit Ängsten zu kämpfen hatte.

Wie haben Sie es geschafft, sich von Ihren Ängsten zu lösen?

Ein Teil meines Weges zur Besserung bestand darin, mich dieser Angst zu stellen, zu lernen, warum ich mich so fühlte, und die Mechanismen hinter meiner Angst zu verstehen. Durch die Aufklärung über meine Erkrankung und das offene Eingestehen meiner Erfahrungen konnte ich mich erholen. Das ist etwas, das ich anderen vorleben möchte, um zu zeigen, dass das Annehmen und Verstehen von Ängsten ein entscheidender Schritt zur Besserung ist.

Viele sind mit ihren Ängsten in einem Gedankenkarussell gefangen und können die Ängste nicht loslassen. Wieso fällt uns das so schwer?

Schleifenförmige Gedanken sind häufig auf eine Bedrohungsreaktion des Gehirns zurückzuführen, insbesondere auf die Amygdala, die uns schützen soll. Wenn das Gehirn einen Gedanken oder eine Situation als potenziell gefährlich oder problematisch wahrnimmt, drängt es uns dazu, ihm unsere volle Aufmerksamkeit zu schenken, um das Problem zu lösen oder ein Sicherheitsgefühl zu bekommen. Bei der alltäglichen Problemlösung ohne den Einfluss der Angst sind wir normalerweise in der Lage, uns auf Wahrscheinlichkeiten einzulassen und ein gewisses Mass an Unsicherheit zu akzeptieren.

Und das ist mit zu viel Angst nicht möglich?

Genau, wenn die Angst und die Bedrohungsreaktion des Gehirns die Kontrolle übernehmen, erfordern sie unsere Aufmerksamkeit, bis wir das Gefühl haben, dass wir hundertprozentige Gewissheit über die Sorge haben - was oft unmöglich ist. Das kann kontraproduktiv sein: Je mehr wir grübeln, desto mehr verstärken wir das Signal des Gehirns, dass dieser Gedanke ständige Aufmerksamkeit erfordert. Dann sind wir im Gedankenkarussell gefangen, da wir auf der Suche nach Sicherheit und Beruhigung immer weiter grübeln müssen.

Wie schafft man es dann, aus diesen Gedankenschleifen herauszukommen?

Ich würde Ihnen raten, zunächst zu erkennen, wann Sie sich in einer Gedankenschleife befinden, und zu üben, sich in die Ungewissheit hineinzubegeben. Die Beobachtung Ihrer Gedanken und Verhaltensweisen kann hilfreich sein. Oft wird diese Art des Grübelns zur Gewohnheit. Sie zu erkennen, ist der erste Schritt. Danach geht es darum, Selbstmitgefühl zu kultivieren - sich einzugestehen, dass man keine 100-prozentige Gewissheit finden wird, und sich zu entscheiden, den Gedanken erst einmal beiseitezulegen oder mit der Wahrscheinlichkeit zu arbeiten, die sich vernünftig anfühlt.

Wir schenken unserer Angst also zu viel Aufmerksamkeit?

Viele Menschen, die unter chronischer Angst leiden, mögen das Gefühl nicht und neigen dazu, sich dagegen zu wehren, es oft falsch zu interpretieren und ihm übermässige Aufmerksamkeit zu schenken. Das macht es oft nur noch schlimmer. Wenn wir die Ungewissheit absichtlich tolerieren und üben, diese Fähigkeit allmählich zu verbessern, kann das Leben Stück für Stück leichter werden.

Das hört sich jetzt vermutlich viel leichter an, als es ist …

Es ist ähnlich wie beim Erlernen eines Instruments, eines neuen Jobs oder beim Autofahren. Man wird es nicht am ersten Tag oder gar in der ersten Woche beherrschen. Aber je mehr man sich in die Ungewissheit hineinbegibt, Unbehagen akzeptiert und den Drang zum zwanghaften Grübeln reduziert, desto besser wird das Gehirn in der Lage sein, diese Situationen zu bewältigen.

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Was hilft dabei, beunruhigende Gedanken aufzuschieben oder zu ignorieren?

Stellen Sie sich die Ängste als eine Stimme unter vielen an einem runden Tisch in Ihrem Kopf vor, wie ich es in "Und wie fühlen Sie sich dabei?" beschreibe. Sorgen und Ängste verdienen einen Platz am Tisch neben analytischen Gedanken, Empathie, Mitgefühl und all den anderen Stimmen in Ihrem Kopf. Hören Sie sich an, was die Sorgen zu sagen haben. Aber das bedeutet nicht, dass Sie sie zu ernst nehmen oder jedes Mal danach handeln müssen. Es ist gesund, alle Aspekte Ihres Geistes zu berücksichtigen, wenn Sie Entscheidungen treffen, und Sorgen und Ängste sind da keine Ausnahme. Sie sind ganz natürlich und sie sind in Ordnung - solange sie in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen.

Über den Gesprächspartner

  • Joshua Fletcher ist ein britischer Autor und Psychotherapeut. Er hat sich auf die Behandlung von Angst- und Panikstörungen spezialisiert. Fletcher ist Mitglied der British Association for Counselling and Psychotherapy. In seinem neuen Buch "Und wie fühlen Sie sich damit?" berichtet er von Therapiesitzungen und gibt konkrete Ratschläge zu psychischen Problemen wie Angstzuständen, Zwangsstörungen und Panikattacken.

Redaktioneller Hinweis

  • Das Interview wurde schriftlich und auf Englisch geführt und im Anschluss übersetzt.

Gefangen in der Gedankenspirale? Machen Sie's wie Dumbledore

Grübeln, das uns nicht weiterbringt und nur quält, ist ein weit verbreitetes Problem. Deshalb sollte jeder die "Dumbledore-Methode" kennen: Sie gehört zu den erprobten Mitteln, durch die wir uns schneller wieder leichter fühlen. (istock/laflor)
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