Was haben Sie heute gem8? Unser Gehirn ist in der Lage, auch Wörter mit fehlenden oder vertauschten Buchstaben sinnvoll zu erfassen. Eine faszinierende und nützliche Fähigkeit, die trainiert werden kann.
Wer hat als Kind keine Geheimsprache mit Freunden entwickelt? Aus a wurde zum Beispiel z, aus b wurde y, aus c wurde x und auch die Regeln der Gross- und Kleinschreibung wurden auf den Kopf gestellt. Fertig war die eigene Sprache, deren Reiz darin bestand, dass ihr Code nur von Eingeweihten verstanden wurde.
Aussenstehende, bevorzugt Erwachsene, waren von der Kommunikation ausgeschlossen. Durch die gemeinsam entwickelte Sprache konnte man sich mit anderen verbunden fühlen und sich gleichzeitig gegen Nichteingeweihte abgrenzen.
Warum gibt es künstliche Sprachen?
Sich Geheimsprachen auszudenken ist jedoch keinesfalls nur ein kindlicher Zeitvertreib, der mit der Pubertät endet. Laut Prof. Dr. Martin Haspelmath vom Max-Planck-Institut gibt es weltweit ca. 6500 bis 7000 Sprachen.
Warum entwickeln Menschen zusätzlich künstliche, also konstruierte Sprachen, bei denen sie Syntax und Semantik selbst festlegen? Die Intentionen dafür sind sehr unterschiedlich.
Die Plansprache Esperanto
Der Philologe Ludwik Lejzer Zamenhof (1859 - 1917) beispielsweise wollte die Plansprache Esperanto keinesfalls als eine Geheimsprache weniger Eingeweihter verstanden wissen, die andere gezielt aus der Kommunikation ausschliesst.
Vielmehr träumte er von einer einheitlichen, neutralen Sprache über alle Ländergrenzen hinweg. Weltweite Verbundenheit durch eine gemeinsame Sprache also. Eine Idee, die bis heute überall Anhänger findet und sich doch nie durchsetzten konnte.
Die Schriftsprache Leetspeak
Der Netzjargon Leetspeak, der in den 1980er Jahren in den USA entwickelt wurde, ähnelt dagegen in seiner Absicht eher unserer kindlichen Geheimsprache. Es ist eine reine Schriftsprache und ursprünglich eine Sprache für ein illustres Grüppchen, die durch die Gamerszene populär wurde.
Die Intention ist bereits in der Namensgebung erkennbar. Der Name leitet sich vom Wort "elite", also Elite, ab. Das Prinzip ist einfach. Bei Leetspeak werden Buchstaben durch ähnlich aussehende Zahlen und teilweise auch Sonderzeichen ersetzt. Leetspeak selbst wird häufig durch die Zahlenfolge 1337 dargestellt, nach der Abkürzung Leet.
Die 1 ähnelt optisch dem L, die 3 dem (umgedrehten) e und die 7 dem t. Der Schriftsprache nicht mächtige Community-Mitglieder konnten so ganz leicht aus den Diskussionen in Chatrooms ausgeschlossen werden. Inzwischen hat Leetspeak eine eigene Grammatik mit eigenen Endungen entwickelt.
Es wurde auch für das Versenden von Spam-Mails genutzt, um Spam-Filter passieren zu können. Ein Spam-Filter mochte sich täuschen lassen, das menschliche Gehirn ist da weniger leicht auszutricksen.
Wieso kann unser Gehirn "verdrehte" Wörter lesen?
"Gmäess eneir Sutide eneir elgnihcesn Uvinisterät ist es nchit witihcg, in wlecehr Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wrot snid, das ezniige was wcthiig ist, ist, dass der estre und der leztte Bstabchue an der ritihcegn Pstoiion snid."
Diese Meldung sorgte im Netz für grosses Aufsehen. Stimmt das? Müssen jeweils nur der erste und der letzte Buchstabe eines Wortes an der richtigen Position sein, um Wörter erkennen und Texte verstehen zu können?
Anders als Grundschüler lesen geübte Leser ein Wort nicht mehr Buchstabe für Buchstabe. Sie erkennen das Wort beim Lesen wieder und setzen es zu dem restlichen Text in Kontext.
Lesen verändert das Gehirn
"Die Fähigkeit zu lesen verändert das Gehirn", betonte der französische Hirnforscher Stanislas Dehaene in einem Interview mit "Gehirn&Geist". Schon das Entziffern einzelner Wörter aktiviere zahlreiche Gebiete im Denkorgan, vor allem in der linken Hirnhälfte.
Beim Lesen werden semantische Systeme im Gehirn aktiviert. Dabei kommt dem Gehirn die Fähigkeit zugute, dass es unglaublich lernfähig ist. Ständig bildet es neue Schaltkreise. Wie man diese Fähigkeit des Gehirns erweitern kann, liegt auf der Hand. Durch lesen, lesen, lesen.
Textfehler müssen demnach kein Zeichen mangelnder Sprachbeherrschung sein. Ein geübter Leser liest beim Korrekturlesen manchmal einfach automatisch über sie hinweg.
Lesen aktiviert semantische Zusammenhänge im Gehirn
Werden allerdings weniger bekannte Wörter, wie beispielsweise Fachwörter, sehr lange Wörter oder zusammengesetzte Wörter durcheinandergewürfelt, kann das Gehirn diese Leistung nicht mehr erbringen. Erst recht nicht, wenn die Wörter aus dem Zusammenhang gerissen, also nicht in eine Satzstruktur, in Satzzeichen und Grammatik eingebettet, sind. Und können Sie das nun entziffern? |{°O°/\//\/3/\/ $13 |)4$ £3$3/\/?
Lesen versus sprechen
Laut der Bildungsforscherin Maryanne Wolf ist der Mensch zwar genetisch für das Sprechen programmiert, nicht aber für das Lesen. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte sie: "Das Sprechen ist ein Prozess, der sich nur entfalten muss. Das Lesen verfügt nicht über solch eine genetische Sequenz."
Das erklärt die eigentlich unglaubliche Fähigkeit, die uns allen ganz selbstverständlich vorkommt. Egal an welchem Ort der Welt ein Kind geboren wird, es kann die dort gesprochene Muttersprache mühelos lernen.
Laut dem Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften können Säuglinge bereits im Mutterleib Vokale voneinander unterscheiden. Ab einem Alter von sieben Jahren seien Kinder in der Lage, grammatikalisch anspruchsvolle Sätze zu verstehen.
Allerdings reiften die für die Sprache unterschiedlichen Hirnareale unterschiedlich schnell heran und verdichteten erst nach und nach ihr Netzwerk zu anderen Regionen. Erst durch diese Verbindungen können Informationen schnell und effektiv ausgetauscht werden.
Sprachen öffnen Türen
Egal ob als gesprochenes oder als geschriebenes Wort, bekanntlich öffnet einem jede erworbene Sprache die Tür zu einer neuen Kultur. Sprache schafft Verständnis und das Gefühl von Verbundenheit und Zugehörigkeit. Oder, um es mit dem grossen Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein zu sagen: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt."
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