• Die Menschen in Skandinavien sind weltweit am glücklichsten.
  • Das zeigt erneut der aktuelle Weltglücksreport, der 150 Länder miteinander verglichen hat.
  • Judith Mangelsdorf, Glücksforscherin und Deutschlands erste Professorin für Positive Psychologie, erklärt im Interview, warum das so ist.
Ein Interview

Frau Mangelsdorf, Sie erforschen das Glück. Was ist Glück überhaupt?

Judith Mangelsdorf: Wir unterscheiden in der Wissenschaft zwei Formen des Glücks. Bei dem sogenannten hedonistischen Glück geht es um Zufriedenheit und das Erleben positiver Emotionen wie Freude, Dankbarkeit oder Gelassenheit. Beim eudaimonischen Glücksverständnis geht es hingegen um die Gestaltung eines erfüllten Lebens, das gekennzeichnet ist durch tiefe Beziehungen, Lebenssinn und das Leben im Einklang mit den persönlichen Werten.

Ist Glück etwas, das jeder von uns erfahren kann, oder die einen mehr, die anderen weniger?

Beides stimmt. Generell gehört evolutionspsychologisch das Erleben von Freude und Glück genauso zum Spektrum des menschlichen Seins wie das Durchleben von Angst oder Wut. Wir können aber darüber hinaus auch proaktiv danach streben, das eigene Leben erfüllender zu gestalten. Die Forschung hat allerdings gezeigt, dass die meisten Menschen ein gewisses Glücksniveau haben, das sie nur selten oder nur in Extremsituationen verlassen. Es gibt also Personen, denen das Glück mehr in die Wiege gelegt ist als anderen.

Darum sind die Skandinavier so glücklich

Der World Happiness Report, der jährlich erscheint, offenbart zum wiederholten Mal, dass die Menschen in Skandinavien besonders glücklich zu sein scheinen. Woran liegt das?

Die Antwort findet sich hier nicht auf einer individuellen, sondern einer gesellschaftlichen Ebene. Die skandinavischen Länder haben sehr starke Sozialsysteme, die vor allem die Ärmsten der Armen in existentiellen Fragen auffangen. Dadurch gibt es weniger der ganz unglücklichen Menschen in der Gesellschaft und damit steigt auch das, was wir als "Bruttoinlandsglück" bezeichnen. Es geht hier also vor allem um die Frage, was der Staat dazu beiträgt, dass die Bevölkerung nicht nur reicher wird, sondern vor allem auch ein erfüllteres Leben führen kann.

Wie kommt der Welt-Glücksbericht zustande?

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat vor über zehn Jahren festgestellt, dass es nicht ausreichend ist, politische Entscheidungen primär an der Steigerung des Bruttoinlandsproduktes auszurichten. Sie hat deshalb alle Mitglieder aufgefordert, jährlich die Lebenszufriedenheit der eigenen Bevölkerung zu messen. Ziel ist es, einen weiteren Entwicklungsindikator zu erhalten, aus dem bessere politische Entscheidungen abgeleitet werden können.

Ausserdem versuchen die beteiligten Wissenschaftler natürlich zu ergründen, was besonders glückliche und sehr unglückliche Länder unterscheidet und was wir daraus für die politische Gestaltung der Zukunft ableiten können.

Was wir uns von den Skandinaviern abschauen können

Was können wir von den Skandinaviern lernen?

Die skandinavischen Länder zeigen deutlich, dass das Wohlfahrtsstaatsmodell ein wichtiger Indikator für gesellschaftliches Glück ist. Dies beinhaltet, dass es umfangreiche und leicht zugängliche sozialstaatliche Leistungen gibt, die vor allem die ärmeren Bevölkerungsteile vor existentiellen Nöten schützt. Auch verlässliche, gut funktionierende Institutionen, wie Schulen, Ämter und ganze Regierungen, sowie eine klare Regulierung des Arbeitsmarktes sagen das Glück der Bevölkerung vorher.

Jenseits dieser sozialstaatlichen Leistungen zeigen sich Gerechtigkeit, Freiheit und Autonomie als Schlüsselindikatoren. Die skandinavischen Länder haben eine vergleichsweise geringe Schere zwischen Arm und Reich und ein hohes Mass an Freiheiten, die der Bevölkerung zugestanden werden. Diese Kombination scheint ein staatlicher Garant für ein besseres Leben zu sein.

Was hat es mit dem Narrativ auf sich, dass Menschen in Skandinavien eher zu Depressionen neigen, eine hohe Suizidrate haben - wie passt das mit diesen Glücksstudien zusammen?

Es stimmt, dass die skandinavischen Länder erhöhte Suizidraten aufweisen, die allerdings immer noch unterhalb von Nationen wie beispielsweise der USA liegen. Wichtig ist hierbei zu verstehen, dass Suizid ein verhältnismässig seltenes Phänomen ist. Es betrifft beispielsweise in Norwegen 0,02 Prozent der Bevölkerung im Jahr, während der World Happiness Report versucht, repräsentative Aussagen über die Gesamtbevölkerung zu treffen.

"15 Minuten fürs Glück": Glück im Alltag finden

Auch noch nicht im Lotto gewonnen? Das wäre natürlich ein Riesenglück. Glück gibt es aber auch mitten im Alltag und völlig kostenlos. Wie wir es finden, erklärt die Therapeutin Anette Frankenberger in unserem Podcast "15 Minuten fürs Glück". (Bild: istock/4421010037)

Häufig sind die Ursachen für Suizidalität auch eher individualpsychologisch zu verorten, während das Glück einer ganzen Nation stark von gesamtgesellschaftlichen Themen abhängt. Es handelt sich also weitestgehend um unabhängige Phänomene.

Mehr Glück mit diesen einfachen Tipps

Was ist das Erfolgsrezept, um jeden Tag Glück zu erleben? Gibt es ein paar einfache Tipps?

Wer danach strebt, jeden Tag glücklich zu sein, ist häufig unglücklicher, als Menschen, die das persönliche Glück weniger wichtig nehmen. Wonach es sich aber lohnt zu streben, ist, jeden Tag erfüllt zu gestalten. Häufig folgt das Glück dann von allein und wenn nicht, dann ist auch das ein wichtiger Teil des menschlichen Seins. Wenn Sie Schritte in Richtung von mehr Erfüllung gehen möchten, dann können Sie sich bewusst Zeit nehmen für die wichtigsten Beziehungen des eigenen Lebens.

Qualitätszeit mit dem Partner, den Kindern oder guten Freunden ist eine der grössten Quellen für Glück. Oder engagieren Sie sich für ein gesellschaftliches Thema, das Ihnen wichtig ist: Ob Klima, Friede, Bildung oder Armut – unsere Gesellschaft braucht Menschen, die sich für eine bessere Zukunft starkmachen. Das schenkt Sinn im Leben und hilft nicht nur dem eigenen Glück.

Mehr Glück in nur fünf Minuten

Und nehmen Sie sich jeden Tag 5 Minuten Zeit nehmen, um darüber zu reflektieren, wofür Sie heute dankbar sind. Das ermöglicht Ihnen, das Gute im eigenen Leben bewusster wahrzunehmen. Damit wirken Sie der zutiefst menschlichen Tendenz entgegen, grundsätzlich dem Negativen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Zusammengenommen lässt sich also sagen: Glück wird uns nicht ausschliesslich in die Wiege gelegt, sondern auch durch unsere Lebensgestaltung und die Gesellschaft, in der wir leben, mitgeprägt. Wenn wir uns jeden Tag dafür einsetzen, dass unsere Gesellschaft für alle Menschen etwas besser werden kann, dann ist dies eines der besten Erfolgsrezepte für mehr Glück für jeden von uns.

Über die Expertin: Prof. Dr. Judith Mangelsdorf ist Glücksforscherin und Deutschlands erste Professorin für Positive Psychologie. Sie leitet an der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport Deutschlands ersten Masterstudiengang in Positiver Psychologie an den Standorten Berlin, Hamburg und Ismaning. Sie ist zudem Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Judith Mangelsdorf
  • World Happiness Report 2022 (Länderranking)
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