Konflikte sind Teil unseres Alltags, doch sie können sehr belastend sein. Eine Trainerin für gewaltfreie Kommunikation erklärt, wie Sie Konflikte respektvoll und empathisch bewältigen können – sowohl privat als auch beruflich - und was zu allererst passieren muss.
Immer, wenn Menschen zusammentreffen, prallen zwangsläufig auch unterschiedliche Interessen, Gefühle und Wahrnehmungen aufeinander – der ideale Nährboden für Missverständnisse und Uneinigkeit. Daraus entstehen oft Konflikte, im privaten wie im beruflichen Kontext.
Auseinandersetzungen sind also normal – und doch können sie enorm anstrengend und belastend sein. Da ist zum Beispiel diese eine Person, die einen nie ausreden lässt – das kann einen zur Weissglut treiben. Wer seinen Ärger aber immer nur hinunterschluckt, schadet nicht nur seiner Gesundheit, sondern riskiert auch, dass sich die Wut irgendwann Bahn bricht – und tiefe Gräben und verhärtete Fronten hinterlässt. Wie lässt sich mit solchen Situationen besser umgehen?
Die vier Schritte der gewaltfreien Kommunikation
"Zunächst einmal würde ich die Situation beobachten und das Problem ganz objektiv benennen", rät Laura Schnelle, Trainerin für gewaltfreie Kommunikation (GFK). Beobachten – das ist bereits der erste von vier Schritten, die das Modell der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg im Umgang mit Konflikten empfiehlt.
Die vier Schritte der gewaltfreien Kommunikation
- Beobachten: Beschreiben Sie neutral, was Sie tatsächlich sehen und hören.
- Gefühle: Drücken Sie aus, wie Sie sich in Bezug auf das Beobachtete fühlen.
- Bedürfnisse: Benennen Sie die Bedürfnisse, die hinter Ihren Gefühlen stehen.
- Bitte: Formulieren Sie eine konkrete und positive Bitte, die Ihre Bedürfnisse erfüllen würde.
Im zweiten und dritten Schritt geht es dann um die eigenen Gefühle und Bedürfnisse. "Ich könnte zum Beispiel sagen: Es macht mich unruhig, wenn Du mich unterbrichst. Ich würde meine Geschichte wirklich gerne zu Ende erzählen", sagt Schnelle. Zum Abschluss, als vierter Schritt, folgt dann die Bitte: "Zum Beispiel: Ich wünsche mir, dass Du mir Deine Aufmerksamkeit schenkst und mich diese Geschichte zu Ende erzählen lässt. Danach kannst Du mir von Deiner erzählen", sagt Schnelle.
Die Idee dahinter: Wenn wir das Verhalten unseres Gegenübers erst einmal beobachten, anstatt es zu bewerten, wenn wir unsere Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche äussern, anstatt direkt mit Vorwürfen zu reagieren, dann wird eine respektvolle Atmosphäre geschaffen, in der sich Konflikte auf faire und friedliche Weise lösen lassen. Empathie statt Angriff und Verteidigung – das ist das Grundprinzip der GFK.
Erst die Wut abreagieren: Willkommen zur Wolfsshow
Ist die Wut und der Ärger auf das Gegenüber zu gross, um direkt empathisch zu reagieren, kann die sogenannte Wolfsshow Abhilfe schaffen. Gemeint ist ein gedankliches, verbales oder schriftliches Abreagieren. "In diesem Prozess der Selbstklärung haben die eigenen Urteile – auch Verurteilungen, Verwünschungen, Beschuldigungen und negativen Gefühle ihren Platz", sagt Schnelle. Denn erst wenn die erste Wut verraucht ist, kann man mit den vier Schritten der GFK starten.
Welche Worte genau man dann im Rahmen der vier Schritte wählt, sei dabei gar nicht so wichtig, sagt Schnelle. "Entscheidend ist die Grundhaltung: Menschen mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen zu respektieren und zumindest zu versuchen, die Bedürfnisse aller zu berücksichtigen."
Gewaltfreie Kommunikation: "Simple, but not easy"
Der US-amerikanische Psychologe Marshall Rosenberg entwickelte das Konzept der gewaltfreien Kommunikation bereits in den 1960er-Jahren, nachdem er in seiner Jugend in den USA erlebt hatte, wie Menschen verschiedener Hautfarbe in Konflikte gerieten und er selbst aufgrund seiner jüdischen Wurzeln ausgegrenzt wurde. Nach Ansicht von Rosenberg ist das alles auch die Folge eines Mangels an Empathie und Einfühlungsvermögen – für sich selbst und für andere.
Doch so simpel die vier Schritte auch klingen: Einfach umzusetzen sind sie nicht. Rosenberg selbst prägte dazu den Satz "simple, but not easy". "Die Schwierigkeit liegt darin, dass wir es nicht gewohnt sind, auf unsere Gefühle und Bedürfnisse zu hören", glaubt Schnelle. In Konflikten sei uns manchmal gar nicht bewusst, warum wir uns gerade ärgern oder warum sich unser Gegenüber verhält, wie es sich verhält.
"Wenn mir an der Person etwas liegt, dann lohnt es sich, sich damit zu beschäftigen, warum mich mein Gegenüber zum Beispiel nicht ausreden lässt – und darauf mit Empathie zu reagieren", sagt Schnelle. Vielleicht treibt die Person gerade etwas um, sodass er oder sie nicht die Kapazitäten hat, der Erzählung aufmerksam zu folgen. Das haben wir alle schon einmal erlebt.
Nein sagen ist erlaubt
Das bedeutet aber nicht, dass man immer mit allen Menschen empathisch umgehen müsse. "Das ist eines der grossen Missverständnisse bei GFK", sagt Schnelle. Grenzen zu setzen und das Gespräch notfalls auch zu beenden, sei grundsätzlich immer erlaubt – zum Beispiel, wenn das Gegenüber auf den vierten Schritt, die Bitte, partout nicht eingehen möchte und mich weiterhin nicht ausreden lässt.
"Es ist eine Bitte, kein Befehl. Wir können andere Menschen nicht kontrollieren", sagt Schnelle. Druck aufzubauen, um seinen Willen durchzusetzen, widerspreche dem Grundprinzip der GFK. Im Zentrum steht die Freiwilligkeit – ohne Gewalt. "Ich muss also auch akzeptieren, wenn andere Menschen zu meiner Bitte nein sagen. Das Gute ist aber: Ich darf dann ebenso nein sagen."
"Gefühle anzusprechen, trifft bei Kindern immer auf offene Ohren"
GFK kann überall eingesetzt werden, wo Konflikte auftreten – in Verhandlungen, der Diplomatie oder im privaten und familiären Kontext. Besonders gut funktioniere die gewaltfreie Kommunikation aber mit Kindern, sagt Schnelle. "Gefühle und Bedürfnisse anzusprechen, trifft bei Kindern immer auf offene Ohren. Erwachsene sprechen oft nicht so gerne über ihre Gefühle."
Schon etwa im Alter von drei Jahren, sobald die Sprache ausreichend gut entwickelt ist, könne GFK angewendet werden, sagt Schnelle. In manchen Grundschulen wird GFK bereits als Unterrichtsfach integriert, um den Schülern einen wertschätzenden Umgang untereinander beizubringen.
Lesen Sie auch
GFK zwischen Eltern und Kind: Es kommt auf die Haltung an
Doch wie gewaltfrei kann die Kommunikation im Beziehungskontext Eltern-Kind sein, wenn das Kind am Ende doch keine andere Wahl hat, als elterlichen Bitten wie "Zieh Dir die Schuhe an" nachzukommen?
Zwischen Eltern und Kind komme es bei der GFK ganz entscheidend auf die Haltung an. "Natürlich haben Eltern eine Verantwortung und können ihr Kind nicht bei minus fünf Grad barfuss herumlaufen lassen", sagt Schnelle. Aber Eltern könnten versuchen, die Bedürfnisse ihres Kindes ernst zu nehmen und sich fragen: Warum will mein Kind die Schuhe jetzt nicht anziehen? Was könnte dahinterstecken?
"Eine Mutter hat mir neulich von diesem Problem erzählt", sagt Schnelle. "Es stellte sich heraus, dass ihre Tochter die Schuhe morgens nicht anziehen will, weil das bedeutet: Ich muss Mama gleich Tschüss sagen – dabei braucht sie eigentlich noch ein bisschen mehr Nähe. Seitdem die Mutter das verstanden habe und ihre Tochter die Schuhe morgens auf ihrem Schoss anziehen lasse, klappe es viel besser.
Auch im Job: Gefühle und Bedürfnisse bewusst machen
Auch im Arbeitskontext könne gewaltfreie Kommunikation funktionieren – wenn auch ein wenig anders. "Ein grosser Teil von Marshalls Motivation war, dass wir auch in Hierarchien zwischenmenschlich auf Augenhöhe kommen", sagt Schnelle. Doch vor der Chefin oder dem Chef die eigene Gefühlswelt auszubreiten, davon rät die GFK-Expertin eher ab. "Im beruflichen Kontext empfehle ich, sich Gefühle und Bedürfnisse für sich selbst bewusst zu machen. Wenn ich darüber Klarheit habe, kann ich ganz anders in ein Gespräch gehen", sagt Schnelle.
Kritiker sehen allerdings die Gefahr, dass GFK instrumentalisiert werden oder zur Manipulation genutzt werden kann – zum Beispiel, um betriebliche Interessen durchzusetzen. So könnten Führungskräfte eine empathische Sprache benutzen, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu zu bringen, Überstunden zu machen. Oder die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden verwenden, um deren Verhalten in der Firma zu steuern.
GFK-Trainerin Schnelle sieht auch noch ein anderes Problem: "Es gibt auch das Potenzial, dass die GFK dogmatisiert wird." Gewaltfreie Kommunikation als einzige richtige Methode anzusehen, sei ein Widerspruch in sich. "Die Grundidee der GFK ist, dass es per se kein Richtig oder Falsch gibt", sagt Schnelle. Wenn es kein Richtig und kein Falsch gebe, könne man die Massstäbe anhand der eigenen Gefühle und Bedürfnisse setzen und schauen, was zu einem passt. "Im Idealfall finde ich so Menschen, die ähnlich ticken – dann bereichern wir gegenseitig unsere Leben."
Über die Gesprächspartnerin
- Laura Schnelle ist zertifizierte Trainerin für gewaltfreie Kommunikation und gibt dazu Seminare und Einzelcoachings.
Verwendete Quellen
- Telefoninterview mit GFK-Trainerin Laura Schnelle
- gfk-info.de: Was ist Gewaltfreie Kommunikation (GFK)?
- geo.de: Wie man sich im Streit höflich, aber bestimmt ausdrückt
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.