Für viele Menschen in einer Beziehung ist es früher oder später ein selbstverständlicher Schritt: Sie heiraten ihren Partner oder ihre Partnerin. Dabei ist zu beobachten, dass viele Hochzeiten immer exklusiver und aufwendiger werden. Die Soziologin Andrea Bührmann erklärt, was dahintersteckt.

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Mit Ende 20, Anfang 30 jagt bei einigen insbesondere in den Sommermonaten eine Hochzeit die nächste. Gefühlt löst der erste Heiratsantrag im Freundeskreis einen Dominoeffekt aus. Zwischen fünf und zehn Einladungen pro Jahr sind bei einigen keine Seltenheit. Die Paare stecken eine Menge Zeit und vor allem eine Menge Geld in diesen für sie ganz besonderen Tag.

Schöner, exklusiver, teurer

Ob romantische Gärtnerei, urige Skihütte, eleganter Festsaal, aufwendig dekorierte Scheune oder sogar eine filmreife Kulisse am Strand. Für die perfekte Location und Feier sparen Paare teilweise jahrelang.

"Floristen, Wedding-Planer, die Filmbranche – das Interesse daran, dass Menschen heiraten, ist gross", erklärt die Soziologin Andrea Bührmann dazu. "Vor allem durch Serien und Filme wird suggeriert, dass die Heirat etwas ist, das wir erstreben sollten."

Zusammen mit ihrer Kollegin Barbara Schaff fiel ihr schon vor rund zehn Jahren auf, dass Hochzeiten immer weniger privat und Junggesellen- und Junggesellinnenabschiede immer beliebter wurden. In vielen muslimischen Gemeinden würden Hochzeiten schon seit Langem sehr gross gefeiert und teilweise auch in die jeweiligen Heimatländer live übertragen, erzählt Bührmann.

Mithilfe von Studierenden in Göttingen führten sie und Schaff eine Studie zu dem Thema durch. "Am Ende hatten wir mehrere Studien mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Methoden, was uns einen Einblick in das aktuelle Geschehen, zumindest in Göttingen, gab", so Bührmann.

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Was bei der Untersuchung herauskam, fasst Bührmann so zusammen. "Hochzeiten und das Heiraten sind sehr aufgewertet worden, finanziell, aber auch kulturell. Eine Hochzeit ist nicht mehr nur eine Veranstaltung im Kreis der Familien, sondern es gibt mittlerweile einen öffentlichen Rahmen", sagt sie. Das zeigten auch die empirischen Beobachtungen.

Bührmann: Aufmerksamkeit ist vielen wichtig

"Diese Entwicklung zeigt sich bereits beim Heiratsantrag. Diese werden immer ausgefallener, sei es beim Bungeejumping, im Fussballstadion oder unter Wasser", sagt sie. Und im Anschluss werde der Antrag in den sozialen Medien gezeigt.

"Ein intimer, romantischer Moment wird für alle sichtbar und beobachtbar."

Andrea Bührmann, Soziologin

Die Aufmerksamkeit der anderen sei vielen Menschen wichtig. "Das nennt man Singularisierung", erklärt Bührmann. "In den sozialen Medien möchte man möglichst viele Likes auf Bilder und Videos bekommen. Es geht darum, dass möglichst viele das eigene Leben – und in diesem Fall dann die Hochzeit – bewundern."

Man wolle beweisen, wie einzigartig man ist. "Dies ist interessant, denn es geht doch eigentlich um eine intime Beziehung zwischen zwei Personen", meint Bührmann. "Ein intimer, romantischer Moment wird für alle sichtbar und beobachtbar."

Heiraten sei aber nicht so individuell wie gerne dargestellt, sondern habe viel mit Vorbildern zu tun. Eines stamme aus der Disney-Welt: "Der Märchenprinz und die Prinzessin heiraten." Bei Hochzeiten würden daher oftmals Rollenstereotype nachgestellt.

Bührmann nennt als Beispiel Hochzeitsfotos: "Auf vielen beugt sich der Mann über seine Frau, sie ist dabei nach hinten gebeugt. Der starke Mann hält die schwache Frau fest, die meistens auch noch auf hohen Schuhen steht."

Hochzeit als letzter Akt der Tradition?

Doch warum ist das so? Die Stereotypen, die Paare während der Hochzeit "aufführen", hätten mit der Realität nicht viel zu tun, meint Bührmann. "Unsere These ist: Da die Geschlechterhierarchie nicht mehr ökonomisch begründet wird, will man sie mindestens symbolisch darstellen. Das geschieht nochmal bei der Heirat – danach macht man, was man will."

"Nur weil eine Hochzeit Geschlechterrollen widerspiegelt, bedeutet das nicht, dass das Paar seine Ehe dann auch so lebt."

Andrea Bührmann, Soziologin

Man könne es so interpretieren: "Diese symbolische Zeremonie macht man einmal mit, danach möchte man nichts mehr mit diesen Rollenbildern zu tun haben. Nur weil eine Hochzeit Geschlechterrollen widerspiegelt, bedeutet das nicht, dass das Paar seine Ehe dann auch so lebt."

Mit einer Hochzeit wollten viele Paare vielleicht den äusseren Erwartungen entsprechen, ohne danach eine Ehe mit traditionellen Rollenbildern zu leben. "Das ist nicht nur für Frauen eine Entwicklung, sondern auch für Männer. Auch sie waren durch ihre Rolle eingeschränkt", sagt sie. "Aber ein Mann ist nicht nur der starke Verdiener, er kann auch ein liebender Vater sein, der Gefühle hat und seiner Frau den Vortritt bei der Karriere lässt."

Warum junge Menschen heiraten

Andrea Bührmann
© Andrea Bührmann

Aber wieso entschliessen sich junge Menschen überhaupt dazu, sich da Jawort zu geben? Schliesslich ist es heutzutage deutlich akzeptierter und "normaler", ohne Trauschein zusammenzuleben und Kinder zu bekommen. Für Bührmann hat das etwas mit unserem Bedürfnis nach Sicherheit zu tun.

"Kriege, Klimakrise, Wirtschaftskrise – viele Menschen sind verunsichert, unabhängig davon, ob sich für uns wirklich etwas verändert hat. Diese Verunsicherung kann dazu führen, dass man sich zumindest einer Person versichern möchte. Es ist dann umso wichtiger, eine sichere Beziehung zu haben", erklärt sie.

Heiraten habe natürlich aber auch finanzielle Vorteile – "und übrigens auch Karrierevorteile". Menschen, die verheiratet sind, hätten bessere Karriereaussichten als Unverheiratete: "Denn Arbeitgeber gehen davon aus, dass sie in geordneten Verhältnissen leben und unterstützt werden."

Über die Gesprächspartnerin

  • Prof. Dr. Andrea D. Bührmann studierte Soziologie, Philosophie und Politikwissenschaften. Nach ihrer Habilitation im Fach Allgemeine Soziologie arbeitete sie als Professorin in Dortmund, München sowie Münster und als nahm Gastprofessuren in Salzburg und Wien wahr. Seit 2011 lehrt sie an der Georg-August-Universität Göttingen, zunächst als Soziologieprofessorin, später übernahm sie den Lehrstuhl für die Soziologie der Diversität. Seit Herbst 2013 Bührmann geschäftsführende Direktorin des von ihr gegründeten Instituts für Diversitätsforschung. Seit Oktober 2024 ist sie Dekanin der Sozialwissenschaftlichen Fakultät.
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