Wer das Glück sucht, wird es eher nicht finden. So die These in einem neuen Buch zum Glück. Vieles daraus klingt äusserst ungewohnt – und macht gerade deshalb nachdenklich.
Ratgeber zu dieser Frage füllen ganze Regalmeter: Wie werde ich glücklich? Der Feuilletonist und Autor Oliver Burkeman hält die Suche nach dem Glück für überbewertet, gar kontraproduktiv. "Das Glück ist mit den Realisten" heisst sein Buch dazu, für das er mit verschiedenen, oft selbsternannten Experten gesprochen hat und unter anderem nach Mexiko und in bitterarme Slums vor den Toren Nairobis gereist ist. Konzentriert ist die Analyse allerdings auf US-Experten und -Moden, wie man sich bewusst machen muss.
Burkeman schreibt, dass unsere Zivilisation, die doch so sehr auf das Streben nach Glück fixiert sei, dabei bemerkenswert inkompetent erscheine. "Eine der bekanntesten allgemeinen Erkenntnisse der 'Glücksforschung' ist die Feststellung, dass die zahllosen Vorzüge des modernen Lebens nur wenig zur Verbesserung unserer kollektiven Stimmung beigetragen haben."
Grösseres Haus – mehr Raum zum Trübsalblasen
Ein höheres Wirtschaftswachstum führe nicht zwangsläufig zu glücklicheren Gesellschaften, "ebenso wenig, wie ein höheres persönliches Einkommen oberhalb eines bestimmten Grundniveaus die Menschen glücklicher macht". Grössere und schönere Wohnungen böten vor allem mehr Raum zum Trübsalblasen, und Selbsthilfebücher seien der Forschung zufolge ebenfalls nur selten hilfreich. Ohnehin seien die Botschaften solcher Werke meist banal.
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Vor allem aber gebe es bei der damit verbundenen Fokussierung ein Problem: "Selbst wenn man davon ausgeht, dass Glück ein lohnenswertes Ziel ist, hat das Ganze einen bösen Haken, denn offenbar schmälert das Streben nach Glück die Chancen, es jemals zu erreichen." Der Philosoph John Stuart Mill habe einmal bemerkt: "Fragen Sie sich, ob Sie glücklich sind, und Sie hören auf, es zu sein."
Liefern wir uns eine Verfolgungsjagd mit dem Glück?
Womöglich sei "Wie können wir glücklich sein?" schlichtweg die falsche Frage, und es sei besser, sich stattdessen mit etwas Produktiverem zu beschäftigen. Burkeman erläutert, dass Versuchspersonen, die von einem unglücklichen Ereignis erfahren, aber angewiesen werden, zu versuchen, nicht traurig darüber zu sein, sich am Ende schlechter fühlen als Menschen, die zwar von dem Ereignis erfahren, aber keine Anweisungen bezüglich ihrer Gefühle erhalten. Andere Studien belegten, dass Druck hin zu positivem Denken die Stimmung gerade von Menschen mit eher negativem Selbstbild noch verschlechtern könne.
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Erklärt wird, was es mit dem Stoizismus auf sich hat, einer in Athen entstandenen philosophischen Schule, die das westliche Denken über Glück fast fünf Jahrhunderte lang beherrscht habe. "Gelassenheit sollte nicht dadurch erreicht werden, dass man krampfhaft nach angenehmen Erlebnissen strebt, sondern dadurch, dass man eine Art ruhiger Gleichgültigkeit gegenüber den eigenen Lebensumständen pflegt", heisst es dazu.
Ständiger Optimismus in Bezug auf die Zukunft sorge nur für einen umso grösseren Schock, wenn etwas schiefgeht. Krampfhafte Positivdenker seien am Ende schlechter vorbereitet und stärker verzweifelt bei Dingen, an denen sich schlicht nichts Gutes finden lasse – "und solche Dinge passieren". Das sei ein Problem, das allen Ansätzen zum Glücklichsein zugrunde liege, die ein zu grosses Gewicht auf Optimismus legen.
Eigentlich haben wir alles und meinen doch immer, dass etwas fehlt
Burkeman beschäftigt sich mit der Begeisterung für buddhistische Meditation in Amerika und Europa und den damit verbundenen Assoziationen. Dem modernen Bild nach sei Meditation eine ausgefeilte Form des Positivdenkens – was der Wahrheit weitgehend zuwiderlaufe. "Tatsächlich hat Meditation wenig mit dem Erreichen eines bestimmten gewünschten Geisteszustandes zu tun, egal ob glückselig oder gelassen." Kern des Buddhismus sei vielmehr die Loslösung.
An anderer Stelle wird beschrieben, wie aus Ulrich Tolle Eckhart Tolle wurde und dieser wiederum zum weltweit meistverkauften lebenden spirituellen Autor, "vielleicht mit Ausnahme des Dalai Lama". Tolle hat Burkeman ebenso besucht wie andere spirituelle Ratgeber und Glücksexperten. Um einen Blick über den Tellerrand derer zu werfen, die sich in relativ komfortablen Lebenssituationen befinden, besuchte er zudem den Kibera-Slum in Nairobi, einen der grössten städtischen Slums in Afrika. Was, wenn eine unentrinnbare alltägliche Grunderfahrung Unsicherheit ist?
Auf jemanden wie ihn wirkten die Lebensbedingungen der Menschen von Kibera unvorstellbar hart. "Der Slum hat kein fliessendes Wasser, und an Strom gibt es nur das, was sich die Bewohner "leihen", indem sie Kabel an die Überlandleitungen anschliessen, die die besseren Viertel Nairobis mit Strom versorgen." Sexuelle Gewalt sei an der Tagesordnung, Autodiebstahl und Raubmord ebenso. Menschliche Ausscheidungen würden von den Slumbewohnern in erster Linie in Plastiktüten entsorgt, die so weit wie möglich entfernt von der eigenen Wohnung weggeworfen würden. 20 Prozent der Bevölkerung seien mit HIV infiziert.
Dinge mehr sein lassen – anstatt in Aktionismus zu verfallen
In Gesprächen sei ihm dort aber klargeworden: "Offen gesagt scheinen die Kiberaner nicht so unglücklich oder deprimiert zu sein, wie man vielleicht erwarten könnte." Kibera wirke weniger wie ein Ort der Verzweiflung als vielmehr wie eine Brutstätte des Unternehmertums. "Diese unangenehme Erkenntnis – dass Menschen, die in extrem prekären Verhältnissen leben, erstaunlich gut funktionieren und alles andere als depressiv sind – gilt natürlich nicht nur für Kibera. Sie ist so bekannt, dass sie zu einem Klischee geworden ist, vor allem in Bezug auf die afrikanischen Länder südlich der Sahara."
Internationale Erhebungen zum Thema Glück hätten immer wieder ergeben, dass einige der ärmsten Länder der Welt zu den glücklichsten gehören. "Das also ist die tiefere Wahrheit über die Unsicherheit: Sie ist ein anderes Wort für Leben", schreibt Burkeman. "Damit soll nicht gesagt sein, dass es nicht klug wäre, sich so weit wie möglich vor bestimmten Gefahren zu schützen. Es bedeutet aber sehr wohl, dass das Gefühl von Sicherheit und ein wirklich gelebtes Leben in gewisser Weise Gegensätze sind."
"Optimismus ist etwas Wunderbares; Ziele können manchmal sehr hilfreich sein; auch positives Denken und positive Visualisierung haben bestimmte Vorteile", heisst es zum Ende des Buches hin. "Das Problem ist, dass wir uns angewöhnt haben, beim Nachdenken über Glück Positivität und die Möglichkeiten des 'Tuns' chronisch überzubewerten, während wir Negativität und die Möglichkeiten des 'Lassens' (wie das Ruhen in der Ungewissheit und das Sichanfreunden mit Misserfolgen) chronisch unterbewerten."
Auch wenn es sich bei Burkemans Buch um US-zentrierte Erläuterungen handelt und selbsternannte Gurus zu Wort kommen, so macht doch manches nachdenklich. Gerade für Menschen, die nach dem fünften gekauften Glücks-Ratgeber immer noch nicht zum Glück gefunden haben, könnte sich die Lektüre lohnen. (Annette Stein, dpa/af)
Verwendete Quellen
- Oliver Burkeman: "Das Glück ist mit den Realisten. Warum positives Denken überbewertet ist", Piper Verlag, München, 2023.
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