Vormittags in die Kita oder Schule, dann gemeinsames Lernen oder Spielen mit Freunden, am Wochenende Ausflüge oder Besuche bei Oma und Opa – eigentlich normaler Alltag für viele Kinder und Jugendliche. Aber nicht in den vergangenen Wochen. Was bedeutet das für ihre Entwicklung?
Die Massnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung des Coronavirus haben das Leben vieler Bürger wochenlang eingeschränkt. Auch Kinder und Jugendliche waren angehalten, ihre sozialen Kontakte zu reduzieren, nicht mit ihren Freunden zu spielen oder die Grosseltern zu besuchen.
Viele Eltern fürchten sich vor negativen Auswirkungen dieser Kontaktsperren, denn der Austausch mit anderen ist für die Entwicklung von Kinder und Jugendlichen immens wichtig.
Kinder lernen voneinander
“Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen profitieren von ihren sozialen Kontakten zu Gleichaltrigen. Insbesondere für Kleinkinder ist die Spielsituation mit Gleichaltrigen wichtig, sie lernen voneinander und lernen, erste Freundschaften zu haben. Mit zunehmendem Alter erhält die Digitalisierung natürlich den Kontakt untereinander. Der persönliche Kontakt bleibt aber auch bei älteren Kindern und Jugendlichen wichtig. Nicht alles wird in den sozialen Netzwerken besprochen,“ erklärt die Sozialpädagogin Gabriele Hageneder-Hinz im Gespräch mit unserer Redaktion.
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Das Reduzieren der Kontakte auf die eigene Familie kann die Entwicklung von Kindern einschränken, sie verlieren möglicherweise eine bereits erlangte Selbstständigkeit oder es kommt zu sprachlichen Entwicklungsrückschritten.
Durch gemeinsames Spielen oder das Erledigen von Hausaufgaben mit Gleichaltrigen beginnen sie, Teamfähigkeit auszubilden und lernen gleichzeitig, mit Konflikten umzugehen. Diese Art von Verhaltenstraining fehlt vielen Kindern momentan, vor allem wenn sie keine Geschwister haben.
Wie stark Kinder und Jugendliche erlernte soziale Fähigkeiten durch die Kontaktsperre verlieren und wie lange es dauern wird, mögliche Verluste wieder aufzuholen, hängt vom Lebensumfeld der Kinder und ihrer Begabung ab. Ob sich mögliche Schäden durch die Isolation langfristig auf ihre Entwicklung auswirken können, ist momentan noch schwer abschätzbar.
Vielen Kindern fehlen Bezugspersonen
Das Lernumfeld vieler Kinder ist vor ein paar Wochen weggefallen, viele Schulen und Kindertageseinrichtungen bieten zurzeit maximal einen Notbetrieb an. Bereits absolvierte Vorbereitungszeiten für einen Wechsel vom Kindergarten in die Schule oder von der Grundschule auf eine weiterführende Schule müssen nachgeholt werden. Auch Krippenkinder, die gerade erst eingewöhnt wurden, werden den Eingewöhnungsvorgang noch einmal durchmachen müssen.
Vor allem Jüngere haben in Erziehern und Erzieherinnen oder Lehrern und Lehrerinnen oft wichtige Bezugspersonen, mit denen sie Sorgen und Ängste teilen.
Die anhaltende Überlastung vieler Eltern kann sich zudem ungünstig auf das Erziehungsverhalten auswirken. Neben emotionaler Vernachlässigung befürchten Experten auch einen Anstieg von Misshandlungen sowie häuslicher und sexueller Gewalt.
“Durch den alleinigen Kontakt zu den Eltern und die möglicherweise beengten Verhältnisse zu Hause entstehen Spannungssituationen. Grössere Gefahrensituationen entstehen insbesondere für ohnehin schon gefährdete Kinder und Jugendliche, die sich nun längere Zeit zu Hause aufhalten. Hier gilt es jetzt, besonders hinzuschauen,“ sagt Hageneder-Hinz.
In dieser Situation kann die Kommunikation mit den Grosseltern oder ähnlichen Vertrauenspersonen wichtig sein, denn oft geben sie als objektive Betrachter hilfreiche Tipps bei mögliche Konflikten.
“Grosseltern übernehmen in der Familie häufig Zeiten, in denen die Eltern arbeiten, und sind auch oft ein guter Ausgleich, wenn es zwischen Eltern und Kindern zu Spannungen kommt. Erziehen Eltern ihre Kinder streng, sind die Grosseltern oft nachsichtiger, und ebenso umgekehrt,“ erklärt die Sozialpädagogin.
Gelassen mit gutem Beispiel voran
Ängste, Stress, finanzielle Sorgen und fehlender sozialer Kontakt – für viele Familien sind die Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus eine Herausforderung. Da sich die Belastung der Eltern meist auf die Kinder auswirkt, sollte man versuchen, Gelassenheit vorzuleben und Nachsicht mit sich selbst und gegenüber den Kindern walten zu lassen. Ein offenes Ohr und Fürsorge sind jetzt besonders wichtig.
Zudem können Regeln Halt und Orientierung geben. Rituale wie gemeinsames Essen sorgen für Sicherheit und helfen den Alltag zu strukturieren. Wenn manche Dinge nach einem bestimmten Schema ablaufen, gibt es oft weniger Streit.
“Alles, was den familiären Stress entzerren kann, wie Bewegung an der frischen Luft, feste Vorlesezeiten oder Spieleabende, wirkt sich positiv auf das Miteinander aus. Es ist wichtig, auch andere Gesprächsthemen ausser Corona zu haben und Schulstress nicht überzubewerten. Die Angst der Eltern sollte sich nicht auf die Kinder übertragen,“ sagt Hageneder-Hinz.
Wer Sorgen oder Hilfebedarf hat, kann sich an folgende Hilfestellen wenden:
- Nummer gegen Kummer: 116 111
- Elterntelefon der Nummer gegen Kummer: 0800 111 0550
- Medizinische Kinderschutzhotline: 0800 19 210 00
Verwendete Quellen:
- Kinderschutz München: "Zwischenmenschliche Beziehungen nicht vernachlässigen in der Sorge um das Virus"
- Der Kinderschutzbund: "Hinweise für gestresste Eltern und Anlaufstellen bei Konflikten und Gefahrensituationen"
- Augsburger Allgemeine: "Corona bremst Kinder in ihrer Entwicklung"
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