Kontroverse Themen zu diskutieren kann anstrengend sein. Trotzdem sollte man sich dabei nicht hinter einem Blatt Papier oder einem Computer verstecken. Eine neue Studie zeigt, dass es bei gegenteiliger Meinung besser ist zu sprechen, anstatt zu schreiben. Der Grund liegt wohl in der Stimme des Menschen.
Haben Sie schon einmal versucht, jemanden von der eigenen Meinung zu überzeugen? Das kann mitunter ganz schön schwer werden. Einstellungen sind, gerade bei kontroversen Themen, oft fest verankert und nur schwer zu verändern.
Wenn Sie es aber dennoch probieren wollen, dann sollten Sie es zumindest im Gespräch tun und nicht schriftlich. WhatsApp, Email oder Brief können nämlich dazu führen, dass Sie als weniger menschlich wahrgenommen werden.
Zu diesem Ergebnis kommen mehrere Experimente, die nun in einer Studie in der Fachzeitschrift "Psychological Science" veröffentlicht wurden.
Ob dies auch der Grund dafür ist, dass in sozialen Netzwerken die Diskussionen gern mal eskalieren? Die Forschungsleiterin Juliana Schroeder von der University of California und der Universtiy of Chicago hat die Ergebnisse in der "Washington Post" präsentiert und gibt auch auf diese Frage erste Antworten.
Personen mit anderer Meinung werden "entmenschlicht"
Im ersten Experiment der Untersuchung schauten, hörten und lasen etwa 300 Probanden Argumente von Personen zu Krieg, Abtreibung und Musik. Danach sollten die Teilnehmer die Person beurteilten, welche die Argumente kommunizierte.
Es wurden absichtlich kontroverse Themen ausgewählt, um bei einer konträren Meinung eine starke Abwehrreaktion hervorzurufen. Beim Thema Musik legten die Forscher Argumente zu Rap und Country-Musik vor - zwei Stile, zu denen Menschen oft starke Vorurteile haben.
Wie von den Wissenschaftlern erwartet, werteten die Probanden die Personen ab, die eine gegenteilige Meinung vertraten. Die Forscher sprechen in diesem Zusammenhang von "entmenschlichen". Das bedeutet, dem Kommunikator wird ein Stück weit die Fähigkeit abgesprochen vernünftig zu denken oder fühlen zu können.
Interessanterweise verringert sich diese Abwertung, wenn die Personen die Argumente hören oder sehen. Die Teilnehmer, die Texte erhielten, waren besonders hart in ihrem Urteil über den Kommunikator.
Die Stimme scheint laut Schroeder dazu zu führen, dass der Sprecher als vernünftiger, sogar menschlicher wahrgenommen wird.
Menschliche Stimme schwächt harte Urteile ab
Die Ergebnisse des Experiments liessen sich auch in weiteren Untersuchungen bestätigen. Bei einem zweiten Versuch erhielten 600 Teilnehmer jeweils eine von acht verschiedenen Meinungsäusserungen.
In den Äusserungen unterstützte die Person einen Kandidaten für die amerikanische Präsidentschaftswahl 2016. Dabei erhielten die Teilnehmer wieder jeweils die Meinung, die ihrer eigenen widersprach.
Die Befunde deckten sich mit dem ersten Versuch. Die Probanden, die Meinungsäusserungen als Audio oder Video hörten, schwächten ihre harten Bewertungen im Vergleich zu denen ab, die nur einen Text erhielten.
Teufelskreis der Technik: Mehr Polarisierung - mehr "Entmenschlichung"
Wenn Menschen unterschiedliche Einstellungen zu einem Thema hätten, würden sie dazu tendieren, die geistigen Fähigkeiten des jeweils anderen herabzusetzen, erklärt Juliana Schroeder gegenüber der "Washington Post". Das liege wohl daran, dass die Gedankenwelt des Anderen für uns nicht direkt erfahrbar ist.
Daher ziehe man die Schlussfolgerungen zu den mentalen Fähigkeiten anderer Menschen aus indirekten Erfahrungen. Die menschliche Stimme, die durch geschriebene Texte nicht transportiert werden kann, spielt hier eine wichtige Rolle.
Schroeder ist überzeugt, dass diese Forschung auch helfen kann, aktuelle Phänomene zu erklären. Durch technologischen Fortschritt werde immer mehr menschliche Interaktion textbasiert.
Dadurch könne die "Entmenschlichung" des Gegenübers verstärkt werden und die Meinungen zunehmend polarisieren. Mehr Polarisierung führe zu mehr "Entmenschlichung" - ein Teufelskreis. (mhe)
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