In jungen Jahren können wir den nächsten Geburtstag kaum erwarten und wollen möglichst schnell erwachsen werden. Wenn wir es dann sind, wollen wir wieder jung sein - oder zumindest so wirken oder aussehen. Aber wieso eigentlich? Maria Pavlova ist Psychologie-Professorin und befasst sich mit dem Altern und dem Bild, das wir davon haben. Sie erklärt, warum viele von uns besessen von der Jugend sind - und was es bräuchte, um das zu ändern.

Ein Interview

Frau Pavlova, wie gehen wir in Ihren Augen mit dem Altern um?

Maria Pavlova: Schlecht. Während es in Asien oder Afrika ein positiveres Bild vom Alter gibt, ist Älterwerden in der westlichen Gesellschaft mit lauter negativen Dingen konnotiert: Gebrechlichkeit, geistiger Inflexibilität, mangelnde Fähigkeit zu erlernen. Das sind Stereotype des Alters.

Wie zeigen sich diese Vorurteile in unserem Alltag?

Es gibt viele Formen von Altersdiskriminierung. Die funktioniert übrigens in beide Richtungen – zum Beispiel im Arbeitskontext. So gibt es zum Beispiel Berufe, die eine gewisse Karriere voraussetzen. Jüngere Menschen haben hier Probleme. Andererseits wird man wegen des Alters diskriminiert, wenn man spät einsteigt oder sich eine lange Pause gönnt. Später ist es das hohe Alter, weswegen man im Job diskriminiert wird.

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Was müsste geschehen, damit sich das ändert?

Einerseits passiert schon einiges, weil die Politik in westlichen Ländern mittlerweile seit Jahrzehnten versucht, ein Bild vom aktiven und gesunden Altern zu vermitteln. Andererseits wäre allen geholfen, wenn man die Verschiedenheit beziehungsweise Diversität des Alterns und älterer Menschen stärker hervorhebt. Es kommt in vielen Fällen gar nicht auf das chronologische Alter an, sondern auf den individuellen Gesundheitszustand, Lebensumstände und Lebenserfahrungen.

Warum verbinden wir das Alter denn überhaupt mit Negativem?

Manche sagen, dass man hohes Alter mit Tod assoziiert, viele denken an Begleiterscheinungen. 'Alle wollen alt werden, aber keiner will es sein' - in dieser Redewendung steckt viel Wahres. Je älter sie werden, desto stärker scheinen sich die Menschen gegen die Vorstellung zu wehren, so alt zu sein, wie sie sind.

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Wie meinen Sie das?

In der Psychologie gibt es Untersuchungen, die zeigen, in welcher Phase des Erwachsenseins sich viele am besten fühlen oder genau so alt, wie sie sind. Das sind die Jahre zwischen 20 und 40. Man hat vielleicht noch nicht den Status oder das Prestige älterer Menschen, aber man geniesst sowohl die Vorzüge des Erwachsenseins als auch die des Jungseins – also etwa finanzielle Unabhängigkeit und Gesundheit.

Und wie fühlen sich Menschen demzufolge ab 40?

In vielen Fällen haben sie das Gefühl, jünger zu sein. Für den oder die Einzelne ist das auch gut, auch im höheren Alter. Man setzt sich von dem negativen Bild ab, das viele vom Alter haben.

Das hört sich nach einem "Aber" an ...

Aus gesellschaftlicher Perspektive fände ich es gut, wenn jedes Alter seine Berechtigung hätte. Und es Menschen erlaubt wäre, sich in ihrem tatsächlichen Alter wohlzufühlen.

Maria Pavlova © Uni Vechta

Was könnten wir selbst denn verändern oder welcher Gedanke könnte uns dabei helfen, weniger negativ über das Altern zu denken?

Man sollte sich erstens auf das hohe Alter bewusst vorbereiten, wie etwa soziale Kontakte ausserhalb des Berufs und der Familie pflegen oder einen aktiven, gesundheitsbewussten Lebensstil führen. Das mag offensichtlich klingen, wird aber deswegen nicht weniger wichtig für die künftige Lebensqualität im Alter. Zweitens gibt es natürlich viele schöne Aspekte beim Altern, wenn man denn überwiegend gesund altert und finanziell abgesichert ist: Man hat häufig weniger Verpflichtungen und viele Freiheiten, nimmt kleine Widrigkeiten gelassener hin, muss sich keine Sorgen mehr um Familiengründung und -versorgung oder Karriere machen. Manche alternden Menschen entdecken übrigens diese und andere Vorzüge des hohen Alters und verbessern ihre Altersbilder aufgrund ihrer eigenen positiven Erfahrung.

Wieso ist das Bild vom Altern in Afrika oder Asien positiver? Wie können wir uns davon inspirieren lassen?

Man sollte fairerweise festhalten, dass wissenschaftliche Studien negative Altersbilder auf der ganzen Welt finden. Nichtsdestotrotz ist klar, dass ältere Menschen in vielen afrikanischen und asiatischen Ländern einen anderen, höheren sozialen Status geniessen, etwa weil ihre Lebenserfahrung besser wertgeschätzt wird oder sie aufgrund religiöser Traditionen eine wichtige Rolle im Gemeindeleben spielen. Auch leben ältere Menschen in vielen anderen Ländern immer noch in grossen, mehrgenerationalen Familien. Die Tendenz zum Aussterben solcher Familien ist allerdings überall präsent und kann unter anderem zur Vereinsamung im Alter beitragen. Die vermeintlichen Faktoren, welche zum positiveren Altersbild in anderen Ländern beitragen könnten, sind auf eine westliche Gesellschaft nicht direkt übertragbar. Sich inspirieren lassen könnte man trotzdem, beispielsweise von der sozialen Eingebundenheit älterer Menschen in vielen ärmeren Gesellschaften.

Über die Gesprächspartnerin

  • Maria Pavlova ist Leiterin des Fachgebiets Psychologische Gerontologie an der Uni Vechta. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte sind wahrgenommene gesellschaftliche Erwartungen ans Altern.
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