Blindes Vertrauen und innige Liebe - aber auch Rivalität und Missgunst: Wer mit Geschwistern aufwächst, kennt diese Gefühle in den meisten Fällen gut. Welchen Einfluss haben intensive Beziehungen zu Brüder und Schwestern auf unser Leben?
Von den biblischen Figuren Kain und Abel bis zu den Reality-Stars des Kardashian-Clans: Geschwisterbeziehungen bieten zu allen Zeiten Stoff für aufregende Geschichten. In kaum einer anderen Konstellation liegen Hass und Liebe, Neid und Bewunderung, Solidarität und Zank so nah beieinander.
Dass zwischen Geschwistern starke positive und negative Gefühle gleichzeitig vorhanden sind, sei ganz normal, sagt der Entwicklungspsychologe und Geschwisterforscher Hartmut Kasten. Wer Brüder oder Schwestern hat, verbringt mit ihnen in der Regel auch deutlich mehr Zeit als mit den Eltern. Kein Wunder, dass Geschwister uns so sehr beeinflussen.
Immer mehr Einzelkinder
Während noch vor 50 Jahren grosse Familien nicht ungewöhnlich waren, wachsen heute viele Kinder ohne Geschwister auf. Im Durchschnitt werden in jeder Familie derzeit etwa 1,3 Kinder geboren.
Einzelkinder haben statistisch gesehen ein positiveres Verhältnis zu ihren Eltern, manchen Studien zufolge zeigen sie jedoch häufiger soziale Defizite und führen als Erwachsene weniger stabile Beziehungen.
Auf die Geburt eines Bruders oder einer Schwester reagieren Erstgeborene häufig ambivalent. Schliesslich müssen sie die Aufmerksamkeit der Eltern, die sich bislang allein für sich beansprucht haben, teilen. Doch unterm Strich profitieren sie vom Familienzuwachs.
Studien zeigen beispielsweise, dass die motorischen, kognitiven und sozialen Fähigkeiten von Vierjährigen, die mit einer jüngeren Schwester oder einem jüngeren Bruder zusammenleben, besser entwickelt sind, als die ihrer geschwisterlosen Altersgenossen.
Früher hat sich die Forschung stark mit der Frage beschäftigt, wie sich die Reihenfolge von Geschwisterkindern auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirkt. Heute sind Wissenschaftler vorsichtiger damit, pauschale Aussagen darüber zu treffen.
Dass etwa Erstgeborene verantwortungsbewusster und Nesthäkchen verspielter sein sollen, kann die aktuelle Forschung nicht untermauern. Zu viele andere Faktoren beeinflussen die Persönlichkeitsentwicklung, als dass die Geburtenfolge allein für solche Wesenszüge ausschlaggebend sein könnte.
Altersunterschied spielt eine Rolle
Wie sich die Anzahl der Geschwister auswirkt, ist ebenso schwer festzustellen. "Es ist anzunehmen, dass sich Menschen aus grossen Geschwisterreihen anders entwickeln als Menschen mit nur einem Geschwister, harte empirische Belege gibt es dafür aber nicht", sagt Kasten.
Erwiesen ist aber, dass der Altersunterschied und das Geschlecht das Verhältnis zwischen den Geschwistern beeinflussen. "Es gilt: Enger Altersabstand und gleiches Geschlecht führen häufig zu grosser Nähe und Intimität, gleichzeitig aber auch zu mehr Aggression und Neid", so Kasten.
Bei Geschwisterpaaren unterschiedlichen Geschlechts gibt es weniger Streit, weil sie in der Regel unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse haben. Das gilt umso mehr, je grösser auch der Altersunterschied ist.
Was das Geschwisterverhältnis in jedem Fall ausmacht, ist das Schicksalhafte. Man kann sich Brüder und Schwestern nicht aussuchen und man kann das Verhältnis nicht wirklich beenden. Auf irgendeine Weise ist man gezwungen, miteinander umzugehen.
Im Kindesalter ist das Verhältnis am intensivsten, als junge Erwachsene schwächt sich der Kontakt unter Geschwistern häufig ab, weil jeder mit seinem eigenen Leben beschäftigt ist. Im Alter suchen sie in vielen Fällen aber wieder die Nähe. Auch wenn das Verhältnis sonst eher kühl ist: in Krisensituationen sind Geschwister meistens dennoch füreinander da.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Hartmut Kasten
- Dorothee Adam-Lauterbach: "Psychodynamische und psychopathologische Aspekte von Geschwisterbeziehungen"
- Inge Seiffge-Krenke: "Geschwisterbeziehungen zwischen Verbundenheit und Individuation"
- Statistisches Bundesamt: "Geburtenziffer 2017 leicht gesunken"
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