Die skandalösen Methoden des Aufreisser-Gurus Julien Blanc sorgen seit Wochen für Schlagzeilen. Die Pick-up-Artist-Szene der Verführungsstrategen ist wegen erniedrigender und sexistischer Vorgehensweisen schwer unter Beschuss. Was lässt die Schurken-Typen unter den Pick-Up-Artists dennoch bei einigen Frauen Erfolg haben?
Pick-up Artists (PUAs) haben "die Kunst fortschrittlicher Verführung" zu einer Disziplin entwickelt, zu einem Spiel mit komplexem Regelsystem und umfangreichem Fachvokabular. Auf Foren und Blogs, via Youtube, Lehrbücher und Seminare – "Bootcamps" nennt sie Julien Blanc – wird das Know-how über Verführungskunst verbreitet. Die Wirksamkeit dieser Flirt-Techniken hat der Mainzer Psychologe Andreas Baranowski vor einigen Jahren in seiner Diplomarbeit untersucht und danach die Entwicklung der Subkultur weiter beobachtet. Nicht alle PuAs setzten wie etwa Blanc auf ein dominierendes und unterdrückendes Verhalten, sagt Baranowski. "Die Szene und die Methoden sind sehr heterogen." Seine frauenverachtenden Strategien haben Julien Blanc unter anderem ein Einreiseverbot in Grossbritannien beschert und einen Visumsentzug für Australien. Die Aktionen von Blanc führt der Psychologe auch auf den grossen Konkurrenzdruck zwischen den Anbietern zurück. "Da muss man wohl schon extreme Dinge bieten."
Warum aber funktionieren provokante, gar aggressive Taktiken bei einigen Frauen? Laut einer Untersuchung des Psychologen Dr. Peter Jonason von der New Mexico State University verfügen "bad boys" nachweislich über eine grosse Faszination: Diejenigen der 200 Studenten, die in der Studie als narzisstisch und manipulativ eingestuft worden waren, hatten mehr Sex-Partner als die anderen Studenten. Ihr offensives Verhalten, ihre Extrovertiertheit und Experimentierfreude führten zu mehr Kontakten mit Frauen - evolutionsgeschichtlich gesehen eine erfolgreiche Strategie und dennoch weit weg von den Parolen des "Real Social Dynamics"-Coaches Julien Blanc.
Baranowski ist in seiner Arbeit zu einem ähnlichen Schluss gekommen wie Jonason. Auch das blosse Vorhandensein einer Strategie und ihr Ausprobieren in der Praxis führt zu mehr Selbstbewusstsein und auch einer höheren Erfolgsquote: "Wenn ich mehr ausgehe, habe ich mehr Kontakt und mehr Erfolg als derjenige, der nichts versucht."
Leichte Beute
Die Hamburger Psychotherapeutin Dr. Eva Wlodarek hat "grosses Mitgefühl" mit Frauen, die sich von den perfiden Strategien von Pick-up Artists haben verführen lassen. "Niemand von uns ist vor Manipulation gefeit", betont sie. "Jeder Mensch ist dafür empfänglich. Das hat nichts mit Intelligenz zu tun, denn hier geht es um Gefühle und auch die eigene Geschichte." Dennoch seien manche Frauen anfälliger als andere.
Eine Ursache sei ein mangelndes Selbstbewusstsein. "Das muss nicht heissen, dass man schüchtern ist oder als graue Maus rumläuft. Es bedeutet, dass einem im Inneren das Bewusstsein für den eigenen Wert fehlt." Auch Frauen, die in ihrer Kindheit und Jugend erlebt haben, "dass sie ihren Gefühlen nicht trauen dürfen', seien anfällig für manipulative Techniken. Es gibt kein verlässliches "Bauchgefühl", das einen warnt. Die Psychotherapeutin erklärt: "Wer etwa immer wieder gesagt bekommen hat, 'stell Dich nicht so an' oder 'das bildest Du Dir doch nur ein', der beginnt an sich zu zweifeln." Auf der Seite der Männer fehlt es laut Wlodrek aber ebenso das Selbstbewusstsein. "Aus der Kombination aus Minderwertigkeitsgefühlen und einem verzerrten Rollenbild wird mit der Zeit eine Sucht nach Dominanz."
Raus aus der Opferrolle
Wlodarek rät Frauen, die von einem Pick-up Artist getäuscht worden sind, das Erlebnis offen mit Freundinnen zu besprechen. "Es ist gut, wenn ich die Erfahrung in ein Weiterkommen für mich selbst verwandeln kann. Wenn ich mich nicht nur als Opfer sehe, sondern auch meinen Anteil daran erkenne und mich für die Zukunft gegen solche Manipulationen wappne. Wichtig ist dabei, dass ich mich nicht selbst verurteile."
Die Diplomarbeit von Andreas Baranowski hat in der PUA-Szene viel Beachtung gefunden. Die Reaktionen hätten von Äusserungen wie "völliger bullshit" bis hin zu einem sehr ausführlichen Schriftstück eines amerikanischen PUAs gereicht: "Der hat sich in fast ähnlichem Umfang mit meiner Arbeit auseinandergesetzt", sagt Baranowski.
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