Seit den 1970er Jahren nutzen Wissenschaftler die Masseinheit Mikromort, um die Sterbe-Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Million greifbarer zu machen. So kann man sogar das tödliche Risiko eines Pferdeausritts mit der Einnahme einer Ecstasy-Pille vergleichen.
Wie gross ist die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit, beim Zurücklegen einer Strecke von 160 Kilometern zu sterben? Das hängt vom Transportmittel ab: Das Auto ist mit einem halben Mikromort die sicherste Wahl. Mit dem Fahrrad steigt das Risiko auf fünf, zu Fuss auf sechs Mikromort.
Richtig gefährlich wird es auf dem Motorrad: Die Wahrscheinlichkeit zu sterben liegt bei 17 Mikromort. Mit der Einheit Mikromort kann man die Sterbe-Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Millionen ausdrücken.
Vorgeschlagen wurde diese Masseinheit in den 1970ern vom US-Amerikaner und Stanford-Professor Ronald A. Howard. Noch heute spielt sie in der Risikoforschung eine wichtige Rolle.
Grüne und rote Bälle im Aquarium des Lebens
Die Einheit Mikromort mutet etwas abstrakt an, lässt sich aber durch ein einfaches Bild erklären: Man stelle sich einen gläsernen Container vor, gefüllt mit einer Millionen Bällen. 999.999 dieser Bälle sind grün, ein Ball ist rot.
Jeden Morgen nach dem Aufstehen fasst man in den Behälter und nimmt einen Ball heraus. Ist es ein grüner Ball, steht dem Tag nichts im Wege. Hat man den roten Ball gezogen, wird das wohl der letzte Tag des Lebens sein.
Die Wahrscheinlichkeit, den anstehenden Tag nicht zu überleben, sondern durch Unfall, Mord oder Krankheit ums Leben zu kommen, liegt in Westeuropa etwa bei eins zu einer Million - bei einem Mikromort.
Risikofaktoren kosten Lebenszeit
Nicht bei allen Menschen befindet sich nur ein roter Ball im Glaskasten. Es gibt diverse Faktoren, die die Zahl beeinflussen.
Bestimmte Tätigkeiten sind der Gesundheit förderlich, andere richten enormen Schaden an – längerfristig oder auch kurzfristig. Jede ungünstige Tätigkeit färbt einen grünen Ball in einen roten um.
Zwei Stunden herumsitzen kostet beispielsweise eine halbe Stunde Lebenszeit. Jede gerauchte Zigarette kostet 15 Minuten.
Man kann seine Bälle jedoch auch grün färben, durch gesunde Ernährung zum Beispiel. Wer jeden Tag viel Obst und Gemüse isst, gewinnt vier Jahre an Lebenszeit.
Welches Verhalten entspricht einem Mikromort?
Auf Basis der Einheit Mikromort lassen sich Risiken miteinander vergleichen. 1,4 Zigaretten selbst rauchen oder zwei Monate mit einem Raucher zusammenleben: Beides birgt ein Risiko von einem Mikromort.
Gleich hoch ist das Risiko zu sterben, wenn man 0,5 Liter Wein oder ein Jahr lang das Leitungswasser von Miami trinkt. Ersteres führt im schlimmsten Fall zu Leberzirrhose, Letzteres zu Krebs.
Beim einem Pferdeausritt liegt das Risiko ebenso hoch wie bei der Einnahme einer Ecstasy-Pille: etwas über einem Mikromort.
Wie weit kann man mit einem Mikromort reisen? Gewinner ist die Bahn mit 9.656 Kilometern. Ein Flugzeug fliegt 1.609 Kilometer mit geringer Unfallwahrscheinlichkeit.
Per Auto kommt man immerhin 400 Kilometer weit. Mit dem Fahrrad überlebt man im Durchschnitt bis Kilometer 32. Die eigenen Füsse tragen einen nur 27 Kilometer sicher. Und per Motorrad könnte man dem Tod schon nach knapp zehn Kilometern begegnen.
Gefährlicher geht es dennoch: per Kanu. Bereits nach sechs Minuten droht ein tödlicher Unfall mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Millionen.
Alter ist die grösste Gefahr
David Spiegelhalter von der britischen Cambridge-Universität trägt den Spitznamen "Professor Risiko". Er analysiert die Gefahren des Alltags und hat ihnen ein Buch gewidmet: "Wirst du nicht vom Blitz erschlagen, lebst du noch in tausend Jahren: Was wirklich gefährlich ist".
Laut Spiegelhalter birgt bei aller Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung das Alter immer noch die grösste Lebensgefahr: "Egal was Sie machen, die Zeit bringt Sie um", sagt er. Klar: Wenn man jeden Tag einen Ball aus seinem gläsernen Behälter nimmt, werden es immer weniger.
Eltern von Siebenjährigen können übrigens durchatmen – zumindest in der westlichen Welt: Von 10.000 Siebenjährigen stirbt nur einer vor seinem achten Geburtstag. Danach steigt das Risiko zu sterben jedes Jahr konstant um neun Prozent an.
Zu viel Statistik bringt nichts
Ein Leben auf Basis von Wahrscheinlichkeiten zu führen, bringt freilich wenig. Mit dem Auto zur Arbeit zu fahren ist statistisch gesehen weniger riskant als per Fahrrad zu fahren. Doch Letzteres hat andere Vorteile: Man bewegt sich an der frischen Luft und steht nicht im Stau.
Wer übervorsichtig sei, büsse an Lebensfreude ein, findet "Professor Risiko" David Spiegelhalter. Dieser Ansicht war schon Johann Wolfgang von Goethe: "Der ist schon tot, der um seiner Sicherheit willen lebt."
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