Ein Dorfmetzger verkündet, dass er für einmal nicht im weiss gefliesten Hinterzimmer schlachtet, sondern zwei Schweine öffentlich zerlegt. Tierschützer schreien auf, drohen mit Anwälten, drängen die Regierung den Anlass zu verbieten. Die Geschichte einer alten Tradition, die ihren Platz nicht mehr findet.

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Ein Schuss. Innert Millisekunden zerstört der Bolzen das papayagrosse Schweinehirn. Noch sendet es seine letzten Signale in die Nervenbahnen. Die rosa Beine zucken im Heu.

Zwei Männer halten den schweren Leib. Einer sticht in die Halsschlagader, Blut spritzt dunkelrot in einen weissen Kessel. Kleine Tropfen landen auf den Plastikschürzen der Metzger, und an den Kragen ihrer feingestreiften Hemden.

In Sissach im Kanton Basel-Land, einem kleinen Dorf im Norden der Schweiz, werden an diesem feuchten Samstagmorgen öffentlich zwei Schweine geschlachtet. Eine sogenannte Hausmetzgete, ein alter Schweizer Brauch, der traditionellerweise dann stattfindet, wenn der Nebel schwer auf den Dächern liegt, die Blätter von den Bäumen fallen.

Ungefähr ab dem 18. Jahrhundert besorgten sich Schweizer Familien auf dem Dorf jeweils im Frühling zwei bis drei Ferkel, mästeten sie den Sommer über. Im Herbst wurden sie dann auf dem Hof geschlachtet. Das Fleisch wurde eingekocht, gepökelt, geräuchert, getrocknet – und als Vorrat für den harten Winter gelagert.

Einige Innereien, die nicht lange frisch gehalten werden konnten, bereitete man gleich vor Ort zu. Beispielsweise Blutwürste, deren Hauptzutat – der Name sagt's – frisches Schweineblut ist.

"Eine Spass-Show"

Eine ländliche Tradition, die heute ihren Platz im modernen Gesellschaftsgebilde der Schweiz allerdings nur noch schwer findet. Das zeigt das Getöse rund um den Sissacher Anlass.

Als der Dorfmetzger Rolf Häring vor wenigen Wochen in der Lokalzeitung die öffentliche Schlachtung auf seinem Privatareal ankündigt, füllen sich die Leserbriefspalten der lokalen Zeitungen. Krank sei das, was er tue. Er mache eine Spass-Show daraus, töte zur Volksbelustigung.

In seinem Briefkasten liegt ein Drohbrief, in dem man ihn mit Terroristen vergleicht, die öffentlich töten. Der Schweizer Tierschutz schaltet sich ein. Er fordert in einem Schreiben an die Kantonsregierung, den Anlass zu unterbinden.

Auch der Schweizer Pfarrer Lukas Baumann meldet sich. Er ist bereits medial bekannt als "Chüngelipfarrer". An seiner letzten Arbeitsstelle errichtete er mit seiner Frau eine Auffangstation für falsch gehaltene Kaninchen. Er sagt, die öffentliche Metzgete sei eine entwürdigende Veranstaltung. Sie sei grausam und gehöre ins letzte Jahrhundert.

17.000 Tiere pro Tag geschlachtet

Ein Sturm der Entrüstung fegte also durch die Schweiz. Durch ein Land, indem gemäss der Vegetarier-Organisation Swissveg jährlich mehr als 60 Millionen Tiere geschlachtet werden, also rund 17.000 Tiere pro Tag.

Hinzu kommen jährlich mehrere hundert Tonnen Fleisch, die vom Ausland importiert werden. International gesehen liegt die Schweiz weit hinter dem Spitzenreiter Australien mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 120 Kilogramm Fleisch.

Doch wie vielerorts auf der Welt ist der Fleischkonsum auch hierzulande stark gewachsen. Gemäss der Konsumentenzeitschrift "Beobachter" verdoppelte er sich in den letzten 50 Jahren, auf heute knapp 51 Kilogramm pro Person und Jahr.

Metzger Rolf Häring ist überrascht von dieser landesweiten und gar bis Deutschland reichenden Aufruhr, die seine Metzgete verursacht.

"Meine Idee war es nur, Wissen zu vermitteln. Und eine alte Schweizer Tradition wieder in Erinnerung zu rufen." Ausserdem wollte er eine Diskussion über die Herkunft des Fleisches lostreten.

Denn: "Ist es respektvoller ein Schwein in Spanien zu schlachten, es im Tessin zu Parmaschinken zu verarbeiten und es in Polen zu verkaufen?", fragt er. In der Hausmetzgete würden die hohen Schweizer Tierschutzbestimmungen eingehalten werden. Ein Tierarzt sei vor Ort, um das zu kontrollieren.

Die Tiere stammen von einem Bio-Hof. Der schnelle Bolzenschuss gelte überdies als humaner, als die Massenbetäubung durch Gas, wie sie im Schlachthaus durchgeführt wird. Unter Umständen müssen sie so mehrere Sekunden Atemnot durchstehen, haben Erstickungsangst.

Tierschützer protestieren

Die Tierschützer sehen das anders. "Tiere töten zum Spass? Nutztiere werden wie eine Ressource ausgebeutet", schreiben sie auf Flyern, die sie vor dem Schlachtareal verteilen.

Eine Handvoll Leute steht hier. Sie halten ein schwarzes Transparent: "Tiere fühlen, Tiere leiden". Grabeskerzen stehen am Boden. Und auf dem Teer der Strasse steht mit Kreide geschrieben: Stoppt die Genussgewalt.

Währenddessen steigt im Innenhof Rauch in die Luft. Es riecht nach verbranntem Haar. Das Tier liegt nun auf einem Holzbock. Metzger Rolf Häring hält einen Flammenwerfer in der Hand.

Zwei Männer schaben mit kleinen Werkzeugen über den Körper, um die harten Borsten zu entfernen. Rolf Häring streicht mit der orangen Flamme über die Haut des Tieres, brennt die restlichen Härchen ab. Dann wird das Schwein mit einem scharfen Messer aufgeschnitten, ausgenommen, aufgehängt, damit das letzte Blut aus den Muskelsträngen tropft.

Jeder Arbeitsschritt, jeder Handgriff wird begleitet von Rolf Härings ruhigen, ausführlichen Erklärungen. Mal hält er einen rosa Lappen hoch, den er zuvor aus dem Gedärme gezogen hat: die Bauchspeicheldrüse. "Die hat man früher zu blutzuckersenkenden Medikamenten verarbeitet."

Dann hält er die runde Gallenblase zwischen zwei Fingern. "Die älteren von Ihnen kennen das sicher noch, daraus wird Gallenseife hergestellt. Ein sehr effektives Putzmittel." An die 100 Personen haben sich um den Schlachtplatz geschart, hören und sehen dem versierten Metzger zu, auch Kinder.

"Individuelle und kollektive Verdrängung"

Es ist eine seltene Möglichkeit, die sich hier öffnet. Ein Anschauungsbeispiel in einer Gesellschaft, aus der die Fleischproduktion verschwunden ist. Ethiker Christoph Ammann von der Universität Zürich glaubt, dass dieses Verschwinden mit ein Grund dafür sei, dass in der Schweiz "beim Thema Fleischessen eine individuelle und kollektive Verdrängung stattfindet".

Man verdränge beim Genuss des Steaks den Tod eines Lebewesens. Und auch, wie solche Tötungen genau ablaufen. Denn: "Diese Aufgabe haben wir kollektiv an Schlachthäuser delegiert. Weil es uns unangenehm wäre, wenn eine Schlachtung öffentlich stattfindet." Diese Verdrängung belege, dass hier ein ethischer Konflikt schlummere.

Die Tabuisierung mache es schwierig, das Thema auf angemessene Weise wieder in die Öffentlichkeit zu holen. Für den Ethiker steht fest, dass sich Menschen wieder vermehrt damit befassen müssen, wie ihr Fleisch hergestellt wird.

Ob eine solche Schlachtung wie in Sissach der richtige Weg sei, könne er nicht beantworten. "Auch wenn es angeblich um Wissensvermittlung geht, schwingt dabei Sensationslust mit", sagt Christoph Ammann. Andererseits werde für einmal öffentlich gezeigt, was sonst hinter hohen Mauern versteckt wird, "ein Stück moralisch relevanter Realität."

Würste und Peitschenhiebe

Ein Stück Realität, das am Ende dieser Metzgete auf dem Teller landet. Wie früher werden Teile der Sauen direkt vor Ort zu Blut-, Leber- und Bratwürsten verarbeitet. Und später gut gelaunt im Festzelt nebenan verspeist.

Aber auch ein Stück Realität, das nicht alle annehmen wollen. Zwei Tage nach der Metzgete steht der ehemalige Pfarrer Lukas Baumann abends mit nacktem Oberkörper in der Fussgängerzone. Mit einer Peitsche in der Hand.

"Ich bekenne, dass in diesem Dorf Unrecht geschehen ist durch die Zurschaustellung von zwei Schweinen, welche dem Tod zugeführt und geschlachtet worden sind." Dann lässt er die Peitsche auf seinen eigenen nackten Rücken niedersausen.  © swissinfo.ch

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