Kein anderes Hochfest der Kirche scheint so schwer begreifbar wie Pfingsten. Die Hauptfigur ist nicht Jesus, sondern der Heilige Geist. Ganz schön kompliziert – oder? Eine Ordensschwester erklärt: Die Sache mit dem Heiligen Geist ist viel alltäglicher, als wir meinen. Und kann eine Kraftquelle sein.

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Wie war das noch? An Karfreitag wurde Jesus gekreuzigt, an Ostern feiern Christen die Auferstehung, an Christi Himmelfahrt die Heimkehr zu seinem Vater. Zehn Tage später: Pfingsten. Neben Weihnachten und Ostern ist es eines der drei wichtigsten Feste der Christen:

  • Pfingsten wird 50 Tage nach Ostern gefeiert. Daher kommt auch der Name, der auf das griechische Wort "Pentekoste" (der Fünfzigste) zurückgeht.
  • Laut Bibel ging an diesem Tag der Heilige Geist nieder auf die Anhänger und Anhängerinnen von Jesus (die Jünger sind mit Frauen aus seiner Anhängerschaft und Maria versammelt). Sie konnten plötzlich in verschiedenen Sprachen sprechen und werden von allen Menschen "aus allen Völkern unter dem Himmel" verstanden.
  • Deshalb ist auch vom "Pfingstwunder" die Rede und häufig von Pfingsten als "Geburtstag der Kirche": Es entsteht eine neue Einheit in seinem Geist, die christliche Botschaft wird in die ganze Welt getragen.

Pfingstwunder in der Bibel

In der Bibel finden wir die Beschreibung, auf die das Pfingstfest zurückgeht, im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte:

"Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie (die Jünger) waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen liess sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab."

Nachdem Jesus zehn Tage zuvor die irdische Welt verlassen hatte, spielt also an Pfingsten der Heilige Geist die zentrale Rolle. Das klingt ziemlich abstrakt. Was hat es mit ihm auf sich? Theologisch gesprochen: Der Heilige Geist ist neben Gott und Jesus Christus die dritte Person der "Trinität", also der Dreifaltigkeit.

Heiliger Geist: "Viel alltäglicher, als viele denken"

So kompliziert sei das mit dem Heiligen Geist aber gar nicht, erklärt die Dominikanerin Schwester Ursula Hertewich OP vom Kloster Arenberg im Gespräch mit unserer Redaktion: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten Menschen schon ihre Erfahrungen mit ihm gemacht haben."

Einerseits sei der Heilige Geist das "ausführende Organ Gottes in dieser Welt". Er bedinge nicht nur die Geburt der Kirche und schaffe ihre Gemeinschaft. Bereits bei der Schöpfung sei er dem Glauben nach tätig. Er bewirke die Heilungen durch Jesus und mache seine Anwesenheit etwa in den Sakramenten erfahrbar, er wirke bei jeder Offenbarung und in jedem Glaubenserlebnis.

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Doch Begegnungen mit dem Heiligen Geist seien noch viel alltäglicher, sagt Sr. Ursula und nennt ein Beispiel: "Wir grübeln über etwas und wissen nicht weiter – plötzlich geht uns im wahrsten Sinne ein Licht auf und alles wird klar. Der Ein-Fall ist da, die Antwort, wie es nun weitergeht."

Sie bete im Alltag oft bewusst zum Heiligen Geist anstatt zu Jesus oder Gott: "Um Klarheit zu gewinnen, um Zusammenhänge zu erkennen. Ich erbitte seine Hilfe vor jedem einzelnen Gespräch – gerade wenn es stressig ist, gerade mitten im Gewühl: Ich bete darum, dass es eine gute Begegnung wird und ich die richtigen Worte finde."

Taube, Wind, Feuer: Viele verschiedene Symbole für Heiligen Geist

Die Sinnbilder für den Heiligen Geist unterscheiden sich im christlichen Glauben stark. Zu ihnen zählen:

  • Wasser
  • Wolke
  • Feuer
  • Licht
  • Wind
  • Taube

Für Schwester Ursula ist das Feuer als Symbol am treffendsten: "Weil es so schön zeigt, wie er uns in Flammen aufgehen lassen kann. Ich kann in einem tollen Konzert sitzen, aber nichts geschieht mit mir. Oder ich kann gepackt werden, ich bin Feuer und Flamme. Eine solche Erfahrung, die mich ganz und gar durchwirkt, kann lebensverändernd sein." Menschen, die für etwas brennen, seien von solch einer Kraft erfüllt: "Ob es nun in der Kirche ist, in der Flüchtlingshilfe oder anderen Lebensbereichen: Sie agieren kraftvoll und reissen andere mit."

Gebet als Psychohygiene in schwierigen Zeiten

So wie diese positive Kraft kenne jeder aber auch diese ganz anderen Kräfte in sich: "Die, die uns klein halten, uns runterziehen, unsere Ängste, unsere Gefühle des Nicht-Genügens." Gerade in schwierigen Zeiten lauerten diese Gegenkräfte in uns: "Sie sind für mich das Gegenteil vom Heiligen Geist: Er fordert heraus, er befähigt aber auch. Er macht uns stark, wenn er in uns wirkt, und stellt uns auf die Füsse."

Die Verhaltenstherapie kenne viele Methoden, um zu solch einer positiveren Grundeinstellung zu gelangen. Für Sr. Ursula ist aber das Gebet, die Bitte um Erkenntnis die helfende Instanz: "Es überfordert uns schnell, wenn wir meinen, wir müssten uns selber immer aus dem Sumpf ziehen. Auch positive Gedanken helfen nur bedingt, da kommt man schnell an seine Grenzen." Die Stütze sei für sie der Glaube: "Ich muss mich nicht selber retten. Doch ich muss den Raum dafür geben, für das Wirken des Heiligen Geistes."

Ihre konkrete Empfehlung dafür: Beispielsweise "Momente der Wahrnehmung" im Alltag zu schaffen. "Mir wurde einmal geraten, mich fünfmal am Tag zu fragen: Wie geht es mir eigentlich gerade? Das dauert ungefähr eine Minute. Welche Gedanken und Gefühle sind in mir, was davon schadet mir? Kann ich vielleicht gerade einfach dankbar sein, weil ich für etwas brenne und glücklich bin?"

"Glaube und Heiliger Geist sind alles andere als eine Parallelwelt, sondern für Gläubige im Alltag extrem wichtig. Sie geben Halt."

Schwester Ursula Hertewich

Durch dieses tägliche Training habe sie gelernt, brenzlige Momente früh zu erkennen: "Wenn ich merke: Jetzt ist es wieder so weit, ich rutsche in ein bestimmtes Fahrwasser, in eine Denkspirale, dann fange ich an zu beten. Genau in den Momenten, in denen ich auf 180 bin: Kurz einmal Stopp sagen, sich dem Himmel öffnen, Weite schaffen und sich fragen, kann ich vielleicht auch mal anders agieren?"

So sei das Gebet für sie auch eine Art der Psychohygiene: "Glaube und Heiliger Geist sind alles andere als eine Parallelwelt, sondern für Gläubige im Alltag extrem wichtig. Sie geben Halt."

Einfach erklärt: Das Sprachenwunder im Pfingstereignis

Schwester Ursula Hertewich OP
Sr. Ursula Hertewich OP ist promovierte Pharmazeutin und trat 2006 ins Kloster ein. © imago/Horst Galuschka

Als weiteres Beispiel für das Wirken des Heiligen Geistes nennt sie zwischenmenschliche Beziehungen: "Wir kennen alle auch die Situation von verhärteten Fronten selbst da, wo Menschen eigentlich keinen Streit wollen. Manchmal ist es ein Fünkchen, das dann noch eine Lösung ermöglicht, wo es undenkbar schien. Auch das ist Wirken des Heiligen Geistes, der Himmel und Erde, aber auch Menschen miteinander verbindet: die Liebe Gottes, die in der Welt wirkt."

Dazu passt, dass die Jünger laut Bibel plötzlich in mehreren Sprachen sprechen. Ein geradezu multikulturelles Ereignis wird da geschildert, bei dem urplötzlich eine neue Einheit entsteht: "Erst meinen die Zuhörer, die Apostel seien 'vom süssen Wein betrunken'", gibt Sr. Ursula wieder, "dann wird klar: Wir verstehen einander, egal wo wir herkommen, und zwar auf einer viel tieferen Ebene. Jeder kapiert‘s, so universell ist die Botschaft Gottes."

Wir im Heute: Eher Sprachverwirrung als Einheit

Blicke man auf die Geschehnisse der Welt, sehe man, wie notwendig eine solche tiefe Einheit unter den Menschen wäre: "Stattdessen sind Mauern da, die jedes Verstehen verhindern." Sie zieht zum Vergleich eine Bibelstelle aus dem Alten Testament heran: die "Sprachverwirrung" beim Turmbau zu Babel (Gen 11,1-9). "Die gemeinsame Sprache hatte die Menschen zu Hochmut verführt, sie wollten sich Gott gleichmachen. Gott ruft schliesslich die Sprachverwirrung hervor, das heisst, die Menschen können sich nicht mehr verständigen - und ihr Turmbau scheitert."

"Es wird immer Menschen geben, die demütig bleiben, die sich für Friede und Versöhnung einsetzen und die die Welt zum Guten verändern."

Sr. Ursula Hertewich

Der Gegenpol dazu sei das Pfingstwunder, in dem alles wieder zu einer Einheit verheile: "Nach Tod und Auferstehung sind die Jünger demütig geworden. Sie waren gefallen, dachten, es sei alles verspielt und vorbei, sie wissen um ihre Grenzen. Da setzt Gott einen neuen Anfang. Sie verstehen die Botschaft der Auferstehung und tragen sie in die Welt. Das ist ein extrem starkes Bild. Es entsteht unter den Anhängern ein innerer Zusammenhalt, aber keine Einheit des Hochmuts. Das wird die Stärke der Menschen."

Von beiden – Turmbau und Pfingstwunder – sieht sie Tendenzen in der heutigen Zeit: "Wir sind einerseits extrem hochmütig geworden." Wo Menschen, Länder und Gesellschaften sich wie Gott, wie Alleinherrscher aufspielten, würden sie durch tiefe Barrieren getrennt. Die Einheit aber, das Verbindende sei die widerstreitende, heilende Kraft dagegen: "Es wird immer Menschen geben, die demütig bleiben, die an einem Strang ziehen und sich für Friede und Versöhnung einsetzen und die die Welt mit viel Kreativität zum Guten verändern."

Über die Gesprächspartnerin

  • Die Dominikanerin Sr. Ursula M. Hertewich OP, 1975 im Saarland geboren, ist promovierte Pharmazeutin. 2003 war sie zu Besuch im Kloster Arenberg, zu dem auch ein Gästehaus samt Vitalzentrum gehört, und fand dort ihre Berufung. 2006 trat sie ins Kloster ein. Seit ihrer Ewigen Profess 2013 ist Sr. Ursula unter anderem für Seelsorge und die Ausbildung junger Schwestern zuständig. Immer wieder ist sie in Talkshows zu Gast und hält Vorträge etwa zum Thema Heilkräuter, über das sie auch ein Buch mitverfasst hat.

Weitere verwendete Quellen:

  • Bibel (Einheitsübersetzung)
  • Katechismus der Katholischen Kirche
  • Katholische Kirche in Deutschland: "Pfingsten: Was bedeutet das Fest nach Ostern?"
  • evangelisch.de: "AHA, das ist die Bedeutung von Pfingsten"

Redaktioneller Hinweis

  • Dies ist ein Artikel aus unserem Archiv, den wir anlässlich Pfingsten 2024 aktualisiert haben.
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