Postkoitale Dysphorie, im Volksmund: Post-Sex-Blues, ist zwar keine offiziell anerkannte psychische Störung, dennoch scheint sie nicht wenige Menschen zu betreffen. Nach dem Sex - auch nach eigentlich gutem - fühlen sie sich melancholisch, traurig, manche auch gereizt. Die Ursachen hierfür sind noch weitgehend ungeklärt.

Mehr Wissensthemen finden Sie hier

Wer den Begriff postkoitale Dysphorie noch nie gehört hat, stellt ihn sich vielleicht am besten als Gegenteil einer postkoitalen Euphorie vor, die wohl die meisten Menschen kennen.

Statt eines Glücks- und Hochgefühls durchströmen bei der postkoitalen Dysphorie selbst nach befriedigendem (und einvernehmlichen) Sex negative Gefühle den Körper.

Sie können von Melancholie über Angst bis hin zu Aggression reichen, meistens aber ist es aber eine tiefe Traurigkeit oder auch Gereiztheit.

Laut einer Studie aus dem Jahr 2015 hat fast die Hälfte aller Frauen so etwas schonmal erlebt. Zwei Prozent gaben sogar an, sich meist oder immer nach dem Sex unerklärlich traurig zu fühlen.

Eine aktuellere Untersuchung hat auch für Männer ähnliche Zahlen ermittelt: 41 Prozent hatten schonmal den Post-Sex-Blues, drei bis vier Prozent haben ihn regelmässig.

Doch warum sind manche Menschen nach dem Sex niedergeschlagen? Braucht es dazu eine traumatische Vorgeschichte oder kann es jede oder jeden treffen?

Zusammenhang zwischen Missbrauch und postkoitaler Dysphorie

Andrea Burri ist Psychologin, Sexual- und Paartherapeutin und Mitautorin der erwähnten Studie. Sie beschäftigt sich schon seit einiger Zeit mit diesem Phänomen und sieht noch jede Menge Forschungsbedarf, vor allem was die Ursachen angeht. Klar sei lediglich, dass mehrere Faktoren eine Rolle spielen, sagt sie.

So legt die Untersuchung aus dem Jahr 2015 zum Beispiel nahe, dass Frauen, die in ihrer Kindheit sexuellen Missbrauch erlebt haben, anfälliger für postkoitale Dysphorie sind. Aber auch andere Persönlichkeitsmerkmale können Post-Sex-Blues begünstigen.

Schwache "Ich"-Position als Risikofaktor

So könnte es zum Beispiel sein, dass Menschen, die sich in einer Beziehung nicht gut vom Partner abgrenzen können, nach dem Sex eher negative Emotionen haben als solche, die auch in einer Beziehung ihre Eigenständigkeit wahren.

Mangelnde Abgrenzung äussert sich zum Beispiel dadurch, dass man Schwierigkeiten hat, seine Meinung gegenüber dem Partner zu vertreten und dazu tendiert, bei einem Streit dessen Meinung oder Ansichten anzunehmen.

Das auf Dauer zu machen, kann psychisch sehr belastend sein - und diese psychische Belastung ist laut der Autoren der Studie ein Risikofaktor für postkoitale Dysphorie.

Ebenso ist es möglich, dass solche Menschen, die ihrem Partner meist besonders nahe sein wollen, schlicht und ergreifend das Auseinandergehen nach dem Sex als besonders schmerzhaft empfinden.

Dysphorie kann auch körperliche Ursachen haben

Aber selbst wenn das so ist und fast jede zweite Frau nach dem Sex schonmal ein schlechtes Gefühl hatte, ist nicht bei jedem der Leidensdruck so hoch, dass eine Behandlung erforderlich wäre.

Schlimm wird es aber, wenn der Sex aus Angst vor der depressiven Verstimmung hinterher gemieden wird und die Partnerschaft so in Gefahr gerät. Oder wenn aus einer postkoitalen Dysphorie Angstzustände oder handfeste Depressionen werden.

Für diese Fälle - oder wenn es tatsächlich das Trauma eines Missbrauchs in der eigenen Historie gibt - rät Andrea Burri, sich an einen Sexualtherapeuten zu wenden.

Es könne aber auch sinnvoll sein, einen Gynäkologen beziehungsweise Urologen aufzusuchen, denn ein Post-Sex-Blues könne auch körperliche Ursachen haben. "Beim Sex werden eine Reihe von Hormonen und Neurotransmittern ausgeschüttet", so die Psychologin zu unserer Redaktion.

Bei einer postkoitalen Dysphorie bestehe unter Umständen ein Hormonungleichgewicht oder es würden von bestimmten Transmittern oder Hormonen zu viele oder zu wenige ausgeschüttet. In einem solchen Fall könne auch über eine Hormontherapie nachgedacht werden, sagt Burri.

Fazit: Es gibt zu diesem Thema zwar einige Hypothesen, aber bislang wenig Handfestes. Andrea Burri will mit einer weiteren Studie nun unter anderem mehr über die Symptome erfahren.

Wer möchte, kann unter folgendem Link an einer Online-Umfrage teilnehmen, die mehr Erkenntnisse über die postkoitale Dysphorie bringen soll: Studie zur postkoitale Dysphorie

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.