Anlässlich des Ramadans, der am 11. März begonnen hat, erklärt ein Religionssoziologe, ob Nicht-Fastende in Anwesenheit fastender Muslime und Muslimas essen und trinken dürfen und ob Fastende ihren Arbeitgeber über ihren Fastenmonat informieren müssen.
Für etwa 1,9 Milliarden Muslime weltweit hat am 11. März der Fastenmonat Ramadan begonnen. Einen Monat lang verzichten fastende Muslime und Muslimas von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang auf Essen und Trinken. Aber eignet sich das Fasten für alle Menschen gleichermassen? Welche Speisen werden traditionell verzehrt, wenn sich die Fastenden zum gemeinsamen Abendessen zusammenfinden? Und gibt es typische Fettnäpfchen, in die man als Nicht-Fastender tappen kann?
Im Gespräch mit unserer Redaktion hat der Religionssoziologe Rauf Ceylan diese Fragen beantwortet und eingeordnet, warum individuelle Entscheidungen im Ramadan von so grosser Bedeutung sind.
Herr Ceylan, gratuliert man am Ramadan?
Rauf Ceylan: Wenn der Fastenmonat beginnt, kann man natürlich gratulieren und den Fastenden einen gesegneten Monat, Geduld oder auch Kraft wünschen. Zum Eid al-Fitr, dem Zuckerfest und Tag des Fastenbrechens, können ebenso Glückwünsche ausgesprochen werden.
Vom Fasten und Mondkalender
Eignet sich Fasten für alle Menschen gleichermassen?
Zu fasten ist meiner Meinung nach eine individuelle Entscheidung, die gut abgewogen werden sollte. In diesem Zusammenhang sollte hinterfragt werden, ob man sich dazu überhaupt in der Lage sieht und auch, ob es der Beruf, sowohl in körperlicher als auch geistiger Hinsicht, erlaubt, einen Monat lang zu fasten.
Warum verschiebt sich der Ramadan von Jahr zu Jahr?
Das hängt mit dem islamischen Mondkalender zusammen, sodass sich der Fastenmonat jedes Jahr um ein paar Tage nach vorne verschiebt. Diese Verschiebung bringt aber auch einen Effekt mit: Fällt Ramadan in den Sommer kann es durchaus passieren, dass die Muslime und Muslimas auf das Fasten verzichten, weil die Sonne erst so spät untergeht. Zu unserer jetzigen Jahreszeit hingegen ist das Fasten absolut machbar, weil es am frühen Abend bereits dunkel wird und sich zum Abendessen eingefunden werden kann. Demnach wird das Fasten in den nächsten Jahren viel einfacher werden und ich gehe davon aus, dass die Zahlen der Fastenden stabil bei über 50 Prozent bleiben werden.
Ob im Job oder im privaten Raum: Ist es in Ordnung, vor Muslimen, die den Ramadan begehen, zu essen und zu trinken?
Absolut. Ein anderes Verhalten wäre auch nicht im Sinne des Ramadans. Beim Fasten sollte Neid keine Rolle spielen – insofern sollen die Menschen, die nicht fasten, auch essen, trinken und geniessen können, ohne dabei ein ungutes Gefühl zu haben.
Gibt es dennoch typische Fettnäpfchen, in die man in der Begegnung mit Fastenden tappen kann?
Nicht wirklich, weil es vorrangig darum geht, miteinander ins Gespräch zu kommen, um das Verständnis und Interesse füreinander wachsen zu lassen. Dennoch begegnet vielen Muslimen immer wieder die typische Frage "Du trinkst beim Fasten nicht mal Wasser?". Daraus ist innerhalb der Community inzwischen ein kleiner Running Gag geworden (lacht). Wirkliche No-Gos gibt es in der Begegnung zwischen den Menschen aber nicht – auch wenn teilweise kontroverse Fragen gestellt werden. Aber nur so kann ein reflektierter Austausch untereinander stattfinden.
Beisammen sein spielt eine grosse Rolle
Ein Austausch über einen wichtigen Teil im Leben der Muslime und Muslimas.
Ja. Fasten ist, anders als die täglichen Gebete, ein Ritual, das stark eingehalten wird. Das zeigt auch die Studie "Muslimisches Leben in Deutschland", in der 2020 mehr als 50 Prozent der Muslime und Muslimas angegeben haben, regelmässig und gemäss der Vorschriften zu fasten. Das Fasten ist also, anders als andere Praktiken, sehr fest etabliert im Leben der Menschen, weil es etwas ist, das im Kollektiv, in der Gemeinschaft stattfindet.
In jenem Kollektiv kommen Muslime und Muslimas nach Einbruch der Dunkelheit zum gemeinsamen Abendessen zusammen: Gibt es typische Speisen, die hier verzehrt werden?
Das Abendessen, Iftar, sollte dem Geist des Ramadan entsprechen. Wir sprechen hier also nicht von einem Ess-Festival, bei dem alles, worauf am Tag verzichtet wurde, nachgeholt wird. Idealerweise nimmt man gemäss der Tradition vor allem Datteln, Suppen und Früchte zu sich. Ausserdem sollte man darauf achten, viel Wasser zu trinken. Häufig wird das Abendessen aber zu einer Art Festival, bei dem die Fastenden viele Kalorien zu sich nehmen und während des Fastenmonats mitunter sogar zunehmen. Das entspricht natürlich nicht dem Geist des Ramadan. All diese Entscheidungen müssen die Fastenden aber für sich treffen.
Das Stichwort "Individualität" spielt demnach stets eine grosse Rolle.
Ja, für viele Muslime und Muslimas ist Fasten noch immer etwas sehr Kollektives, was in der Gemeinschaft stattfindet. Das ist mit Blick auf die Leistungsgesellschaft, in der wir leben, nicht immer einfach umzusetzen. Hier spielen die Berufe der Menschen eine grosse Rolle und man muss sich ehrlich mit der Frage konfrontieren, ob man etwa seinen beruflichen Anforderungen während eines 30-tägigen Fastenmonats gerecht werden kann. Auf diese Fragen können nur individuelle und keine kollektiven Antworten gefunden werden.
Ramadan und Beruf
Apropos Beruf: Muss man den Arbeitgeber darüber informieren, dass man fastet?
Vielleicht lässt sich diese Frage gut anhand des Beispiels des Renteneinstiegs beantworten. Während es für einen Universitätsprofessor womöglich absolut vertretbar ist, mit 70 noch zu arbeiten, sieht das bei Menschen, die auf dem Bau arbeiten, anders aus. Ähnlich verhält es sich mit fastenden Menschen im Ramadan, wo mit Blick auf das Arbeitsfeld entsprechend abgewogen werden sollte. Arbeitet jemand beispielsweise in einer Stahlfabrik am Brennofen und muss über den Tag viel trinken, schliesst sich das Fasten meiner Meinung nach aus. In den meisten Berufen sehe ich persönlich aber keine Notwendigkeit, den Arbeitgeber über diese individuelle Entscheidung informieren zu müssen. Ohnehin sollten die Fastenden ihre Fastenzeit nicht zu sehr nach aussen tragen. Bedeutet: Sie sollten sich nicht zu sehr anmerken oder ansehen lassen, dass sie derzeit verzichten.
Wäre es demnach übergriffig, fastenden Kolleginnen und Kollegen Unterstützung im Job anzubieten?
Sofern eine persönliche Bindung zu den Kollegen und Kolleginnen stattfindet, kann man natürlich immer Hilfe anbieten. Das ist aber kein Muss. Wer fastet, erwartet nicht, dass Nicht-Fastende involviert werden.
Was, wenn die Fastenden im Ramadan merken, dass ihre Konzentration und Leistungsfähigkeit im Job leidet?
Auch hier spielt der Aspekt der individuellen Entscheidung eine wesentliche Rolle. Natürlich sollte ein Mensch die Arbeit, für die er bezahlt wird, auch erbringen. Insofern kann das Fasten selbstverständlich immer abgebrochen werden. Spielt Ramadan eine grosse Rolle im Leben des Einzelnen, kann der Fastenmonat beispielsweise auch rund um die Urlaubszeit begangen werden, damit er nicht mit dem Arbeitsalltag kollidiert.
Nicht jeder Muslim oder jede Muslima begeht automatisch den Ramadan. Ist es unsensibel, nachzufragen, ob eine Person fastet oder nicht?
Es ist ein Phänomen, dass die muslimische Community aus der Aussenperspektive als sehr fromm wahrgenommen wird. Dabei wird häufig die Vielfalt dieses Glaubens ausgeblendet. Insofern kann man hier also natürlich immer nachfragen. Man darf hierbei aber auch nicht vergessen, dass es auch Menschen gibt, die lediglich in eine muslimische Familie hineingeboren wurden, ohne nach dem Glauben zu leben. Hier spielen Säkularisierungsprozesse eine entsprechende Rolle. Somit kann die Frage "Fastest du?" oder "Warum fastest du nicht?" Anlass für einen spannenden Austausch untereinander geben.
Verwendete Quelle
- bamf.de: "Muslimisches Leben in Deutschland"
Über den Gesprächspartner
- Rauf Ceylan ist Professor für Gegenwartsbezogene Islamforschung am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück.
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