Wenige Themen werden in Europa so widersprüchlich behandelt wie Prostitution. In Schweden gelten Prostituierte als Opfer und werden von einem Gesetz geschützt, das den Kauf sexueller Dienste verbietet. In Deutschland hingegen spricht man von professionellen SexarbeiterInnen.
Passend zum 10. Jubiläum des schwedischen Sexkaufverbots erklärt die Ideengeschichtlerin Susanne Dodillet, warum zwei Gesellschaften, die sich auf den ersten Blick in vielem ähneln, in der Prostitutionspolitik so unterschiedliche Wege gehen.
In Schweden ist der Kauf sexueller Dienstleistungen seit 1999 verboten. Das Sexkaufverbot wurde verabschiedet um zu zeigen, dass der Handel mit Sex in Schweden nicht akzeptiert wird. Nur zwei Jahre später verabschiedete der Bundestag ein Gesetz das SexarbeiterInnen in die Gesellschaft integrieren soll.
In Deutschland sind Prostituierte seither ebenso arbeitslosengeld-, krankengeld- und rentenberechtigt wie andere Berufsgruppen auch. Ausserdem wurde das Betreiben von Bordellen legalisiert. Diese Gesetzesänderungen sollten die Stigmatisierung und Diskriminierung von SexarbeiterInnen mindern.
Die Unterschiede zwischen den Prostitutionspolitiken dieser Länder lassen sich mit ihren wohlfahrtsstaatlichen, feministischen und religiösen Traditionen erklären, meint Susanne Dodillet vom Institut für Literatur, Ideengeschichte und Religion der Universität Göteborg.
Prostitution wird in Schweden als Beispiel für die ungleiche Machtverteilung zwischen den Geschlechtern in patriarchalen Gesellschaften gedeutet.
Das schwedische Sexkaufverbot wurde eingeführt, um die schwedische Bevölkerung für diese Ungerechtigkeit zu sensibilisieren. Es sollte zeigen, dass Sex für Geld in gleichberechtigten Gesellschaften keinen Platz hat.
Der normierende Gehalt des Gesetzes wurde unter anderem durch das vergleichsweise grosse Vertrauen der Schweden in den Staat ermöglicht. Deutsche hingegen tendieren eher dazu, die Verantwortung des Staates für die Normenbildung der Gesellschaft in Frage zu stellen, fasst Susanne Dodillet zusammen.
Die deutsche Skepsis gegenüber der Rolle des Staates als Normenbildner kann historisch erklärt werden. Schweden haben gute Erfahrung mit ihrem Wohlfahrtsstaat, während sowohl die nationalsozialistische Diktatur als auch die sozialistische der DDR deutlich machten, dass Staaten ihre normierende Macht missbrauchen können.
Die deutsche Linke, durch die die Legalisierung von Prostitution vorangetrieben wurde, war gegen die Normierung sexueller Beziehungen zwischen sich einigen Erwachsenen durch den Staat.
Was den Feminismus betrifft, haben vor allem radikalfeministische Theorien einen starken Einfluss in Schweden. Dort betont man Machtstrukturen, wie männliche Dominanz und weibliche Unterordnung. In Deutschland ähnelt die feministische Politik den Analysen der Queertheorie, was mit der beschriebenen Sicht auf den Staat zusammenpasst.
Während die schwedische Prostitutionspolitik auf einer normierenden Vorstellung davon beruht, wie ein gleichberechtigtes Leben für Männer und Frauen aussehen soll, betonen deutsche Linke, dass sexuelle Identitäten und Ausdrucksweisen variieren können. Die Ausweisung gewisser Konzepte als mehr gleichberechtigt und somit anderen überlegen kommt, ausgehend von dieser Denkweise, der Diskriminierung aller anderen gleich.
Was die Religion betrifft, verweist Dodillet auf den zentralen Platz der Christdemokraten in Deutschland. CDU und CSU besetzen traditionell fast die Hälfte des Parlaments, erinnert sie.
Ebenso wie die Kirchen ist die Union aus moralischen Gründen gegen Prostitution und sympathisiert mit der schwedischen Prostitutionspolitik. Sozialdemokraten und Linke wehren sich gegen diese Moralargumente und ihre Sichtweise ist daher liberaler als die ihrer schwedischen Kollegen, denen ein christlicher Gegenpol fehlt.
Titel der Doktorarbeit: Ist Sex Arbeit? Schwedische und deutsche Prostitutionspolitik seit den 70er Jahren (Är sex arbete? Svensk och tysk prostitutionspolitik sedan 1970-talet); Die Arbeit ist auf Schwedisch verfasst und enthält eine deutsche Zusammenfassung.
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