• Ständig lächeln, dankbar sein, Zuversicht zeigen. Hilft das immer oder kann es auch gefährlich werden?
  • Wann positive Gedanken helfen und wann nicht, erklären eine Psychologin und eine Lernforscherin.

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Wie einfach es manchmal sein kann: Du musst nur denken, dass du am meisten Glück auf dieser Welt hast. Und plötzlich wendet sich alles zum Guten. "Seitdem ich denke, dass mir grossartige Dinge passieren, fliegen sie mir plötzlich zu", erzählt etwa eine junge Frau beim Schminken auf Tiktok. Das Video setzte im Dezember die Grundlage für den Trend "Lucky Girl Syndrom", bei dem Frauen gerade erzählen, wie solch ein positives Denken ihr Leben bereichert hat.

Positivität – wenig wird derzeit so gefeiert, aber auch so stark kritisiert. Im vergangenen Jahr präsentierte sich der Komiker Aurel Mertz als "ausgebildeter Positivologe", der mit einem unbeholfenen Schulterklopfen deprimierte Menschen heilt. Auch andere Komiker, Moderatorinnen und Moderatoren und Schriftstellerinnen widmeten sich der "toxischen Positivität", dem Ausblenden aller negativen Gefühle. Stets solle man dankbar und achtsam sein. Stets solle man an das Gute denken. Das nerve.

Aber abgesehen von digitalen Trends und sich schminkenden Social-Media-Mädchen: Wie sehr hilft Positivität? Wann schadet sie eher? Vor allem in einer Welt, die gerade wenig Anlass zum Optimismus bietet. Laut Studien, sowie einer Psychologin der Universität Bamberg und einer Lernforscherin der Universität Trier kann eine bestimmte Positivität der Psyche helfen. Nur auf die passende Methode kommt es an.

Immer schön dankbar bleiben

Vor allem ein Gefühl soll positive Emotionen auslösen: Dankbarkeit. Auf sozialen Medien trenden Hashtags wie "gratitude" oder "blessed", doch eigentlich ist Dankbarkeit ein jahrtausendealtes Konzept. Religionen von Christentum bis Hinduismus predigen davon, im Buddhismus gilt sie sogar als Kern einer edlen Person. Für den römischen Politiker und Philosophen Cicero war dieses Gefühl nicht nur die grösste aller Tugenden, sondern auch die "Mutter von allen".

Seit etwa zwanzig Jahren widmen sich Forschende vermehrt diesem Konzept. Bei der sogenannten positiven Psychologie stehen weniger Krankheitsbilder wie Depressionen im Fokus, sondern eher die positiven Aspekte des Geistes. Es wird zum Beispiel darauf geachtet, wie Optimismus und Hoffnung die Gesundheit beeinflussen oder wie Talent und Kreativität zur Entfaltung kommen. Die Lernforscherin Michaela Brohm-Badry von der Universität Trier leitet die Deutsche Gesellschaft für Positiv-Psychologische Forschung. "Unsere Psyche sucht ständig nach dem, was uns bedroht", erklärt sie. "Dadurch haben wir eine starke Verzerrung. Wir fokussieren uns auf das Negative."

Übungen wie das Führen von Dankbarkeitstagebüchern sollen da ansetzen: Am Ende eines Tages schreibt man etwa drei Dinge auf, für die man dankbar war. Oder man packt für jedes schöne Erlebnis jeweils eine Murmel von der einen in die andere Hosentasche, egal ob es der Tanzkurs, gutes Wetter oder ein leckerer Kaffee war. Am Ende des Tages klimpern viele Dankbarkeitsbekundungen in der einen Hosentasche. Solche Übungen helfen, meint Brohm-Badry, um den Fokus von der "globalen, bedrohlichen Perspektive" auf das individuelle Leben zu lenken. Vielleicht sei man dankbar für den Partner oder die Partnerin, das Cello, eine gute Nachbarschaft.

Wie zuträglich Dankbarkeit der psychischen Gesundheit ist, zeigen zahlreiche Studien: Dankbare Menschen führen engere Beziehungen, sind weniger anfällig für Depressionen und schlafen besser. Allerdings regen sich auch Zweifel: Im "Journal of Happiness Studies" erschien vor drei Jahren eine Metaanalyse zur Frage, wie sich solche Dankbarkeitsübungen auf Menschen mit Angststörungen oder Depressionen auswirken. In die Bewertung flossen 27 Studien ein, doch die Effekte auf das Wohlbefinden wurden insgesamt als "relativ bescheiden" bezeichnet.

Astrid Schütz, Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Bamberg, spricht gar von einem "Hype der Positivität". Die Studienlage bescheinigte den Übungen nur eine geringe Wirkung. Wie sich die Übungen auswirkten, dafür sei der "person-activity fit" entscheidend, sagt die Psychologin. Das heisst, wie gut eine Übung zu der jeweiligen Person passe. Wenn man ein introvertierter Mensch sei, wäre vielleicht ein Dankbarkeitstagebuch hilfreich, wohingegen Extravertierte lieber "Dankbarkeitsbesuche" abstatten und ihren Mitmenschen persönlich sagen, wofür man sie schätzt. Prinzipiell sollten solche Aufgaben nur umgesetzt werden, wenn die Betroffenen sie für sich als stimmig erleben.

Die Suche nach dem Sinn

"Alles passiert aus einem guten Grund." Kaum einen Satz hören Menschen, die gerade einen schweren Schicksalsschlag erlitten haben, so ungern wie diesen. Der Gedanke dahinter ist wohl: Kaum hat man einen Sinn in einem Unglück entdeckt, fällt es einem leichter, damit umzugehen.

Einen Sinn im Schlechten zu finden – das ist auch eine Form des positiven Denkens. Ähnlich beschrieb es auch der berühmte Psychiater Carl Gustav Jung Anfang des 20. Jahrhunderts. Er gilt als Mitbegründer der analytischen Psychologie und arbeitete eng mit Sigmund Freud zusammen. "Die Depression ist wie eine Dame in Schwarz", diese Worte sollen auf Jung zurückgehen. "Tritt sie auf, so weise sie nicht weg, sondern bitte sie als Gast zu Tisch und höre, was sie zu sagen hat." Man solle sich also mit der Krankheit anfreunden, auseinandersetzen, verstehen, warum sie auftritt.

Jungs Thesen werden bis heute kontrovers diskutiert. Auch Michaela Brohm-Badry kann schwer in einer psychischen Krankheit einen Grund erkennen. In belastenden Situationen, die nicht mit einer psychischen Erkrankung einhergehen, kann es ihr zufolge trotzdem helfen, einen Sinn im Negativen zu sehen: "Wir wissen aus Untersuchungen: Wenn man etwa einen Sinn im Tod eines geliebten Menschen sieht, wird man mit dem Leid leichter fertig."

Zum Beispiel kann man nach dem Versterben des kranken Partners daran denken, dass dieser nun keine Schmerzen mehr leiden muss. Und nach einer Trennung sei es hilfreich, sich vor Augen zu führen, dass man sich befreit und vielleicht lebensfroher fühle. Die Trauer über das Leid von anderen könne einen zum Beispiel in Aktion bringen, im Falle von Geflüchteten etwa, indem man bei der Unterbringung und Versorgung helfe.

Was wäre, wenn nicht ...

Was jedoch gegen zu viel Positivität und das "Lucky Girl Syndrom" spricht: Negative Fantasien könnten in gewissen Situationen durchaus nützlich sein, meint Psychologin Astrid Schütz, nämlich um sich aufzuraffen. Zur Motivation könnte man sich Worst-Case-Szenarien ausmalen: Was würde schlimmstenfalls passieren, wenn ich durch die Prüfung falle? Mich von meinem Partner trenne, im Job gekündigt werde? "Meistens sind die möglichen Folgen bei genauerem Blick gar nicht so dramatisch, wie man sie vorher vage erlebt", meint Schütz.

In Studien der Psychologin Gabriele Oettingen, die an der New York University und an der Universität Hamburg tätig ist, finden sich ebenfalls Belege für den Nutzen einer negativen Vorstellungskraft. Sie begleitete beispielsweise übergewichtige Frauen, die abnehmen wollten. Diejenigen, die sich die Zukunft besonders rosig ausgemalt hatten, erzielten dabei die wenigsten Erfolge. Selbst in der Liebe liessen sich ähnliche Effekte feststellen: Je positiver befragte Studierende sich eine Beziehung mit ihrem Schwarm ausmalten, desto weniger wahrscheinlich war es, dass es zu einer solchen Beziehung kommen würde.

In einem Aufsatz, den Oettingen mit zwei anderen Forscherinnen für das Buch "Psychologie der Selbststeuerung" aus dem Jahr 2019 beisteuerte, heisst es: Das rein positive Denken helfe zwar, verschiedene Möglichkeiten für die Zukunft zu explorieren, bei der Wunscherfüllung könne es aber "durchaus hinderlich" sein. Für Schütz, die Menschen auch als Coach betreut, erscheint es wenig sinnvoll, zu imaginieren, dass man nach einer Crash-Diät mit Traumkörper am Strand entlanglaufen wird. Motivierender sei es, sich vorzustellen, dass man im Auto nicht mehr den Anschnallgurt anlegen kann.

Vergleiche dich nach unten!

"Anderen geht es doch viel schlechter", "Sei doch froh über das, was du hast" – mit solchen Sätzen möchten manche die Stimmung ihrer Mitmenschen heben. Aber was nützt das positive Denken auf Kosten anderer? Tatsächlich wird der grundlegende Gedanke dahinter von der Wissenschaft unterstützt. Es klingt zynisch, doch die sogenannten abwärtsgerichteten Vergleiche helfen der Psyche oft.

In einem Aufsatz von deutschen, chinesischen und kanadischen Forschenden in der Fachzeitschrift "Human Brain Mapping" aus dem Jahr 2018 heisst es, sie reduzierten Ängste, bestärkten freudige Gefühle und befriedigten das Bedürfnis, sich selbst zu verbessern. Unterschiedliche Gehirnareale werden bei dem aufwärts- und dem abwärtsgerichteten Vergleich aktiv, bei Letzterem etwa Strukturen im ventralen Striatum und dem ventromedialen präfrontalen Cortex. Diese Bereiche werden mit dem körpereigenen Belohnungssystem und somit guten Gefühlen in Verbindung gebracht.

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Was rät man anderen?

Eine gewisse Positivität kann somit als sinnvoll gelten, ob es um Dankbarkeit geht, darum, das Gute im Schlechten zu sehen, oder um abwärtsgerichtete Vergleiche. Allerdings kommt es auf die Kommunikation dieser Positivität an. Der Komiker Aurel Mertz bringt es in einem satirischen Video-Beitrag auf die Spitze: "Denken Sie doch mal an die Nähmaschinenkinder in Bangladesch", sagt er zu einer Frau, die in diesem Sketch an einem Burnout leidet: "Denen geht es schlecht. Also geht es Ihnen . . ." Er lässt eine kurze Pause: ". . . gut." Plötzlich steht die Frau auf, dramatisches Licht erhellt ihr Gesicht. Sie kann wieder das Positive in der Welt sehen. Wenn es doch nur so einfach wäre. Aber wie geht man nun wirklich mit jemanden um, der in einer düsteren Stimmung steckt?

Grundsätzlich gilt: Bei gravierenden Problemen und den Anzeichen einer Depression ist professionelle Hilfe nötig, etwa durch eine Psychotherapie oder einen Klinikaufenthalt. Damit es nicht so weit kommt, können Freunde oder Partner mit den rechten Worten unterstützen. Astrid Schütz rät, die Situation bisweilen gemeinsam auszuhalten. Der Freund oder die Freundin müsse nicht prompt wieder gut drauf sein. Und Brohm-Badry empfiehlt, sich zunächst zu bemühen, den anderen zu verstehen.

Statt "Du musst etwas Gutes darin sehen" könnte man, meint die Professorin für Lehr-Lernforschung, etwa fragen: "Gibt es an der Sache trotzdem etwas, was gut ist?" Es helfe zudem, an zurückliegende Erfolge anzuknüpfen und den Betroffenen oder die Betroffene an bisher Erreichtes zu erinnern. Auch Nostalgie sei für das Wohlbefinden unglaublich zuträglich: sich Fotos vom vergangenen Urlaub anzuschauen, in Filmen aus der Jugendzeit zu versinken. Auf diese Weise könnte man gemeinsam analysieren, was in der Vergangenheit geholfen habe, und den Blick auf die Zukunft richten. Auch gemeinsame Aktivitäten können helfen.

In einer Hinsicht sind sich die Lernforscherin Michaela Brohm-Badry und die Psychologin Astrid Schütz einig, dass besonders eines schädlich ist: konkrete Anweisungen. Den anderen zu belehren und zu seinem Glück zwingen zu wollen. Wie viel Positivität der Psyche guttut, ist eben höchst individuell.

Verwendete Quellen:

  • Tiktok: Laura Galebe
  • Youtube: Ein Mittel gegen Unzufriedenheit
Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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